Berlin. Die Wirtschaftskraft ist um 0,1 Prozent gesunken. Ob Deutschland jetzt sogar in die Rezession schlittert, hängt vom dritten Quartal ab.

Statt eines Frühjahrsaufschwungs hat die deutsche Industrie erneut einen herben Dämpfer erlitten – das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging zwischen April und Juni um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal zurück. Zuletzt war das im Sommer 2018 der Fall. Auch die Aussichten für die kommenden Monate trüben sich zunehmend ein.

Ist der jahrelange Aufschwung nun vorbei? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Rutscht Deutschland in eine Rezession?

Die Gefahr einer Rezession hat sich nach einer Prognose des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts erhöht. Aufgrund der anhaltenden Schwäche der Industrie liegt sie bei 43 Prozent für die Monate August bis Oktober. Im Juli lag das Risiko bei 36,6 Prozent. „Deutschlands Konjunktur steht auf der Kippe“, sagt der wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien.

Nach der Abkühlung im zweiten Quartal ist eine „technische Rezession“ möglich – diese tritt ein, wenn zwei Quartale nacheinander negativ ausfallen. Tatsächlich sind die Zahlen für das laufende Sommerquartal nicht besonders stark. „Allerdings werden wir deshalb bei weitem keinen so starken Einbruch erleben wie zuletzt zur Finanzmarktkrise 2008 und 2009“, sagt der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Claus Michelsen, dieser Redaktion.

Was sind die Ursachen für den Abschwung?

Die Ursachen sind vielfältig und vor allem politisch begründet. Neben dem Handelskonflikt zwischen den USA und China sowie Strafzollandrohungen von US-Präsident Donald Trump gegen Europa belastet auch der bevorstehende Brexit die deutsche Wirtschaft. Dies alles sorgt für Unsicherheit und Investitionszurückhaltung in den Unternehmen. Schon in diesem Jahr ist der Handel mit Großbritannien zurückgegangen.

Maschinenbau und Autoindustrie spüren Rückgänge bei der Investitionsgüter-Nachfrage. Sollte Trump alle Güter aus Europa mit einem Strafzoll von 25 Prozent belegen, so wäre der konjunkturelle Einbruch deutlich größer als nach der Finanzmarktkrise, nennt Michelsen ein mögliches negatives Szenario. Doch es könnte auch positiv laufen: „Wenn die Konflikte gelöst werden können, stehen die Chancen gut, dass Deutschland wieder auf den Wachstumspfad einschwenkt.“

Was heißt das für den Arbeitsmarkt?

Der Arbeitsmarkt zeigt sich bislang relativ unbeeindruckt von der Eintrübung der Konjunktur. Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist zuletzt sogar noch gestiegen. Rund 1,39 Millionen offene Stellen registrierte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei der Bundesagentur für Arbeit im zweiten Quartal 2019 – 175.000 mehr als ein Jahr zuvor. „Wir haben eine weiterhin sehr hohe Personalnachfrage“, sagt IAB-Forscher Alexander Kubis.

Ein Grund, warum die Flaute nicht am Arbeitsmarkt ankommt: Angesichts des Fachkräftemangels versuchten die Betriebe laut Kubis, Mitarbeiter so lange wie möglich zu halten, um später nicht in Engpässe zu geraten. „Wir rechnen nicht mit substanziell steigenden Arbeitslosenzahlen in diesem Jahr“, sagt der DIW-Konjunkturchef. „Wahrscheinlich endet das Jahr erneut mit einer Rekordbeschäftigung.“

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    Ist nur Deutschland betroffen?

    Im Frühjahr ist auch die Wirtschaftsleistung in Großbritannien und Schweden leicht geschrumpft. Mit Blick auf die 28 EU-Länder oder die 19 Euroländer sieht die Lage jedoch anders aus. In beiden Fällen stieg die Wirtschaftsleistung jeweils um 0,2 Prozent gegenüber dem vorherigen Quartal.

    Besonders stark fiel das Wachstum laut dem europäischen Statistikamt Eurostat in Ungarn, Rumänien, Finnland und Litauen aus. In den Niederlanden etwa ist der Boom auch der Exportwirtschaft ungebrochen – das BIP der fünftgrößten Volkswirtschaft der Eurozone wuchs von April bis Juni wie schon in den zwei vorausgehenden Quartalen um 0,5 Prozent.

    Wirkt sich die Konjunktureintrübung auf die Inflation aus?

    Starke Preisanstiege sind vorerst nicht zu befürchten. „Wir erwarten eher moderate Preissteigerungen“, meint Michelsen. „Der Inflationsdruck ist relativ schwach.“ Zwar hat Deutschland mit 1,7 Prozent Inflation im Juli im Vergleich zu anderen Euro-Ländern eine hohe Inflationsrate, dennoch ist die Bundesrepublik noch weit von dem Zwei-Prozent-Ziel entfernt, das von der Europäischen Zentralbank angestrebt wird.

    Zuletzt wurde der Anstieg vor allem vom Öl und steigenden Nahrungsmittelpreisen angetrieben. Die sogenannte Kerninflationsrate – also ohne die Einberechnung von Energie und Lebensmitteln – ist dagegen relativ schwach. Auch ist nicht mit einem Anstieg der Leitzinsen zu rechnen. Im Gegenteil: Die Europäische Zentralbank will ihre Nullzinspolitik fortsetzen.

    Was erwartet die Bundesregierung?

    Die Bundesregierung hält an einer positiven Prognose fest: Für das gesamte Jahr rechnet sie mit einem Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent. Im vergangenen Jahr hatte das Bruttoinlandsprodukt noch um 1,4 Prozent zugelegt. Trotz der Flaute und Risiken lehnt Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Wachstumsprogramm ab: „Ich sehe derzeit keine Notwendigkeit für ein Konjunkturpaket.“