Superreiche werden 2,5 Milliarden Dollar reicher – pro Tag
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Von Hannes Koch
Davos. Eine Oxfam-Studie zeigt, wie die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht. In einem Punkt gibt es aber Positives zu berichten.
Die Luftaufnahme zeigt eine Slumsiedlung: einstöckige Hütten, eng aneinandergedrängt. Direkt angrenzend: Wohnblocks, umgeben von eleganten Parks und Palmen. Das Foto hat die Entwicklungsorganisation Oxfam auf ihren neuen Bericht zur sozialen Ungleichheit gedruckt, der alljährlich zum Auftakt des Weltwirtschaftsforums in Davos erscheint. Oxfam will so Einfluss nehmen auf die Debatten der Mächtigen in dem Schweizer Ort.
Superreiche gewinnen 2,5 Milliarden Dollar pro Tag, aber die Hälfte der Weltbevölkerung wird ärmer – so lauten zwei alarmierende Ergebnisse aus dem aktuellen Bericht. Mit „superreich“ meint Oxfam die etwa 2000 Personen weltweit, die ein Vermögen von mehr als einer Milliarde besitzen.
Deren Kapital habe 2018 um zwölf Prozent zugelegt, erläutert die Oxfam-Deutschland-Referentin, Ellen Ehmke. Demgegenüber erlitt die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung einen Vermögensverlust von elf Prozent (500 Millionen Dollar pro Tag).
Unterstützende Zahlen lieferte am Sonntag der Wirtschaftsinformationsdienst Bloomberg: Die Vermögen reicher Davos-Besucher sind demnach deutlich gewachsen. So sei das Kapital von Marc Benioff (Salesforce) zwischen 2009 und 2019 von 700 Millionen auf 6,5 Milliarden US-Doller gestiegen. Das Plus betrug knapp 900 Prozent. Während Facebook-Chef Mark Zuckerberg 2009 etwa drei Milliarden Dollar besaß, seien es nun 59 Milliarden (plus 1900 Prozent). Ähnliche Tendenzen sieht Oxfam für die Bundesrepublik. „Die deutschen Milliardäre konnten ihr Vermögen im vergangenen Jahr um 20 Prozent steigern“, heißt es in der Studie.
Das ist Facebook-Gründer Mark Zuckerberg
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Oxfam-Studie: Extreme Armut geht weltweit zurück
Das reichste Prozent der Bevölkerung verfüge nun über ebenso viel Vermögen wie 87 Prozent der Bürger. Damit zähle Deutschland zu den Industrienationen mit der größten Vermögensungleichheit. Mit 15,8 Prozent liege die Armutsquote auf dem höchsten Stand seit 1996, jedes fünfte Kind sei von Armut betroffen. Frauen verdienten im Durchschnitt 21,5 Prozent weniger als Männer. Schlechter sei die Lage in der EU nur in Estland und Tschechien.
Zur Bekämpfung der Ungleichheit in Deutschland fordert Oxfam einen höheren Mindestlohn sowie eine stärkere Belastung von Vermögenden, Konzernen, Erbschaften und hohen Einkommen. „Der Mindestlohn ist zu niedrig, gerade in Ballungszentren“, sagte Ehmke. Die steigenden Mieten ließen sich mit dem derzeitigen Mindestlohn von 9,19 Euro pro Stunde nicht bezahlen.
Die Oxfam-Studie liefert aber auch positive Signale: Die extreme Armut geht demnach weltweit zurückgeht. „Zwischen 1990 und 2010 wurde sie halbiert“, erklärte Ehmke. Trotzdem hätten 2015 noch 736 Millionen Menschen weltweit mit weniger als 1,90 Dollar zurechtkommen müssen. Dies gilt als Definition von extremer Armut. Gemessen am Armutsbegriff wird die Welt gerechter – was den Abstand von Arm und Reich betrifft, wird sie allerdings ungerechter.
Kritik an Oxfams Definition von Armut
Fortschritte bei der Bekämpfung der Ungleichheit gebe es auch, sagte Oxfam-Steuerexperte Tobias Hauschild und verwies auf Pläne der EU zur Besteuerung von Großkonzernen oder die Aufhebung des Bankgeheimnisses in der Schweiz. „Das sind Dinge, über die vor zehn Jahren nicht geredet wurde.“
Im vergangenen Jahr wurde Oxfam wegen einer zu negativen Darstellung der Vermögenslage kritisiert, offenbar ausgelöst durch einen Rechenfehler. Vor dem Davos-Forum 2017 erklärte sie, dass die acht reichsten Personen der Erde so viel Vermögen besäßen wie die ärmeren 50 Prozent der Weltgesellschaft. Diese Zahl wurde inzwischen korrigiert. Nun waren es angeblich 49 Personen, nicht acht. Neue Statistiken hätten das gezeigt. In diesem Jahr werden die Zahlen daher von vielen Experten besonders kritisch begleitet.
Zum Phänomen Armut gibt es seit jeher verschiedene Vorstellungen und Definitionen. Oxfams Annahmen über das Vermögen der ärmeren Bevölkerung basieren auf Daten des „Global Wealth Report“ der Schweizer Großbank Credit Suisse, über jenes der Superreichen auf der jährlichen Milliardärsliste des Magazins „Forbes“. Kritiker sehen darin einen Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. Auch der Ökonom und Verteilungsforscher Andreas Peichl kritisiert, er könne die Oxfam-Zahlen nicht nachvollziehen. Dass die Vermögen der unteren Hälfte so zurückgegangen sein sollen, „entspricht nicht der makroökonomischen Realität“, sagte Peichl der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Kritiker stoßen sich auch an der Berechnungsmethode für die ganz arme Bevölkerung.
Wie eine Bank Armut beschreibt
Die Credit Suisse definiert in ihrem Report Vermögen als die Summe aus privaten Finanzanlagen, Vorsorge und Sachwerten wie Immobilien – allerdings abzüglich der Schulden. Daraus die Definition von Armut abzuleiten, ist ihrer Meinung nach problematisch.
Eine Beispielrechnung: Nach dem Credit-Suisse-Report hätte der Hochschulabsolvent eines westlichen Industrielandes, der zwar einen lukrativen Job begonnen, aber noch Zehntausende Euro Schulden aus einem Studentendarlehen hat, weniger Vermögen als ein schuldenfreier Bettler in Bangladesch, der womöglich von 1,50 Dollar am Tag über die Runden kommen muss. Oxfam stelle – so die Kritik – den Job-Neuling deswegen ärmer dar als den extrem bedürftigen Menschen in einem Entwicklungsland. Das heißt: Den Allerärmsten würden auch Menschen zugerechnet, die hoch verschuldet sind – aber eben nicht arm.
Oxfam hält dagegen: Würde selbst das ärmste Zehntel der Weltbevölkerung aus der Rechnung herausgenommen werden, ändere dies nichts an der grundsätzlichen Erkenntnis. Die ärmsten zehn Prozent hätten keinen großen Einfluss auf das Gesamtvermögen der ärmeren 50 Prozent. mit dpa
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