Brüssel. Die EU-Kommission will den CO2-Ausstoß europaweit drastisch senken. Deutsche Hersteller warnen vor einem massiven Arbeitsplatzabbau

Überraschend scharfe Grenzwerte für den künftigen CO2-Ausstoß von Autos in der EU versetzen die Autohersteller in Deutschland und Europa in Alarmstimmung: Der Verband der deutschen Autoindustrie (VDA) warnt vor massiven Arbeitsplatzverlusten und sieht den Industriestandort Europa geschwächt.

„Niemand weiß heute, wie die beschlossenen Grenzwerte in der vorgegebenen Zeit bis 2030 umgesetzt werden können“, sagt Verbandspräsident Bernhard Mattes. Auch der europäische Dachverband der Fahrzeugbauer ACEA zeigt sich „ernsthaft besorgt“ über die „völlig unrealistische“ Neuregelung.

Bedenken signalisiert auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der von „sehr ambitionierten“ Grenzwerten spricht.

Ambitionierte Ziele für 2025 und 2030

In der Nacht zum Dienstag hatten sich der EU-Rat der Mitgliedstaaten, das EU-Parlament und die Kommission auf drastische Vorgaben für die Verringerung der klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen (CO2) neuer Autos geeinigt. Bis 2030 soll der Ausstoß des Treibhausgases bei der Neuwagen-Flotte jedes Herstellers im Durchschnitt um 37,5 Prozent sinken, gemessen an den Auflagen des Ausgangsjahrs 2021.

Für 2025 gilt ein Zwischenziel von 15 Prozent. Vans sollen bis dahin 15 Prozent weniger CO2 ausstoßen, bis 2030 sogar 31 Prozent weniger. Zugleich sollen die Messmethoden verschärft werden.

Entscheidung gegen den Widerstand Deutschlands

Das Paket ist ein klassischer Kompromiss: Die EU-Kommission hatte ursprünglich ein Reduktionsziel von 30 Prozent vorgeschlagen – doch das war den anderen EU-Institutionen nicht genug.

Die Mitgliedstaaten verständigten sich im Oktober – gegen den Widerstand Deutschlands – auf den Vorschlag von 35 Prozent, das EU-Parlament forderte sogar 40 Prozent. Die finale Einigung liegt also in der Mitte der Positionen von Parlament und EU-Staaten.

Umweltministerin lobt die Regelung – Dissens ist offensichtlich

Wirtschaftsminister Peter Altmaier zweifelt an den Vorgaben: „Wir waren von Anfang an für realistische Grenzwerte, die man auch erreichen kann.“ Dagegen lobte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) die Einigung als „wichtigen Baustein für den Klimaschutz“.

Der Dissens in der Bundesregierung ist offensichtlich, die politische Schlappe auch. Die Regierung kämpfte (gegen den Willen der Umweltministerin) lange für den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission, den Autobauern ein Flotten-Reduktionsziel von 30 Prozent vorzuschreiben – gemessen am Jahr 2021, für das die Vorgabe schon bei 95 Gramm CO2 pro Kilometer liegt.

Schon dieses Ziel für 2021 dürften einige deutsche Hersteller verfehlen, ihnen drohen Milliarden-Strafzahlungen.

Merkel: Gefahr, Autoindustrie zu vertreiben

Die neuen Grenzwerte sind jetzt nur mit einem schnellen und umfassenden Umstieg auf Elektroautos zu erreichen, der aber von Faktoren wie der Batterietechnik oder Infrastruktur abhängt, die die Autohersteller nicht allein beeinflussen können.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte deshalb vor einigen Wochen erklärt, mit CO2-Zielen jenseits der 30 Prozent laufe man Gefahr, „dass wir die Automobilindustrie aus Europa vertreiben“. Eine breite Allianz in der EU kämpfte aber an Deutschland vorbei für mehr Klimaschutz.

Italien, Spanien und andere wollten noch striktere Vorgaben

Eine Mehrheit der 28 EU-Staaten, darunter Frankreich, Italien, Spanien, Schweden und Dänemark, forderte sogar eine CO2-Reduzierung um 40 oder 45 Prozent. Die deutsche Position war geschwächt, weil es in der EU ohnehin Unzufriedenheit mit der Autopolitik der Bundesregierung gibt, zuletzt wegen des Umgangs mit der Dieselkrise.

Das Ergebnis wird in der Branche als schwerer Schlag empfunden: „In keinem anderen Teil der Welt gibt es vergleichbar scharfe CO2-Ziele“, beklagt VDA-Präsident Mattes. So würden Hemmnisse nicht ausreichend berücksichtigt, zum Beispiel die bislang schleppende Akzeptanz von E-Autos bei den Kunden und die bereits ausgereizten Technologien zur Kraftstoffersparnis.

Volkswagen will nun Umbauprogramm überarbeiten

Volkswagen zieht bereits Konsequenzen: Wegen der scharfen Vorgaben müsse das Umbauprogramm des Konzerns überarbeitet werden. VW werde den Anteil der E-Autos am Gesamtabsatz bis 2030 auf über 40 Prozent steigern, möglicherweise müssten deshalb weitere Verbrennermodelle entfallen, sagte Vorstandschef Herbert Diess.

Die amtierende Vorsitzende des EU-Umweltminister-Rates, die Österreicherin Elisabeth Köstinger, wies Kritik zurück. Die Industrie habe immerhin elf Jahre Zeit, die Technik sei bereits sehr weit. Experten von CDU und SPD im EU-Parlament begrüßten den Beschluss.

Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, bezeichnet den CO2-Beschluss als „einen handfesten Denkzettel für die Bundesregierung und ihre fossile Lobbypolitik“.