Berlin/München. VW arbeitet am autonomen Lastwagen. Doch Brummifahrer sind aus Sicht von Lkw-Vorstand Andreas Renschler auf Jahrzehnte unverzichtbar.

In den kommenden Jahren sollen Lkw nach dem Willen der EU deutlich weniger CO2 ausstoßen als bisher. Andreas Renschler, Chef der VW-Lkw-Tochter Traton (MAN, Scania) fürchtet dramatische Folgen für die gesamte Branche. Vor allem sieht er tausende Arbeitsplätze in Gefahr. Renschler erklärt, wo zurzeit die Grenzen beim E-Antrieb sind und warum der Brummifahrer auch in den nächsten Jahrzehnten gefragt sein wird – trotz Plänen für autonom fahrende Lastwagen.

Herr Renschler, die deutsche Autoindustrie hat jahrelang Dieselmotoren manipuliert, um die Grenzwerte für Stickoxide zumindest im Testbetrieb einzuhalten. Wie sauber haben die Lkw-Hersteller gearbeitet?

Andreas Renschler: Lkw und Busse sind von Haus aus auf Effizienz getrimmt. Es ist unser oberstes Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Kunden und damit letztendlich unsere eigene verbessern. Allein in 2013, beim Übergang von Euro 5 zu Euro 6, haben wir die Stickoxid-Emissionen um sage und schreibe mehr als 80 Prozent reduziert.

Die EU will die Grenzwerte für CO2 senken, das Parlament fordert 35 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 2019. Was halten Sie davon?

Renschler: Die aktuellen Pläne der EU drohen, den Motor der europäischen Nutzfahrzeug-Industrie abzuwürgen. Die Zielwerte sind wirtschaftlich und technisch völlig unrealistisch, die geplanten Strafzahlungen beim Überschreiten der Grenzwerte völlig überzogen.

Vielleicht haben Sie sich zu spät damit beschäftigt?

Renschler: Es ist ja nicht so, dass wir erst seit den EU-Plänen darüber nachdenken würden, Verbrauch und damit den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Die Hersteller haben vielmehr über viele Jahrzehnte intensiv daran gearbeitet, den Verbrauch sukzessive immer weiter zu drücken. Nutzfahrzeuge sind schon heute extrem sparsam. Jeder Liter mehr Verbrauch schmälert nämlich den Gewinn des Spediteurs. Je nach Preis entfallen insgesamt rund ein Drittel Ihrer Kosten auf den Treibstoff. Unsere Kunden wollen daher möglichst sparsame Fahrzeuge. Und je geringer der Verbrauch, desto geringer der CO2-Ausstoß.

Und warum können Sie dann nicht weiter daran arbeiten?

Renschler: Wir arbeiten seit jeher daran. Aber sie können nicht einfach einen Schalter umlegen und noch mal eben weitere 30 Prozent rausholen. Wäre das so einfach möglich, hätten wir es längst getan.

Wie viele Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, wenn die EU-Regeln kommen?

Renschler: Es geht um Zigtausende Jobs in der gesamten Branche. Nicht umsonst haben auch die Betriebsräte Ihren Unmut öffentlich sehr deutlich gemacht. Was immer vergessen wird: Der Transport von Waren wird in Zukunft teuer – und das bezahlen dann alle Verbraucher mit steigenden Preisen.

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    Oder die Waren werden anders transportiert. Vermehrt mit der Bahn zum Beispiel auf langen Strecken und nur mit Lastwagen dann in die Städte.

    Renschler: Es ist an der Zeit, die Grabenkämpfe zwischen Straße und Schiene ad acta zu legen. Ich bin ein großer Freund der intermodalen Mobilität, also von Systemen, die die Stärken von Lkw und Bahn kombinieren und die Flexibilität des Lkw verbinden mit dem Transport großer Gütermengen von Bahnhof zu Bahnhof. Die Automobilindustrie ist beispielsweise schon heute größter Kunde der Bahn – mehr als 50 Prozent der Neuwagen werden per Schiene transportiert. Wenn künftig irgendwann ausreichende Kapazitäten, pünktliche Lieferung und marktgerechte Preise garantiert sind, wandern automatisch noch mehr Güter auf die Schiene, weil es sich wirtschaftlich lohnt.

    Die deutsche Autoindustrie schaltet in einem Tempo auf E-Antrieb um, dass man meinen könnte, Verbrennungsmotoren, vor allem Diesel seien Technologie von gestern. Ein E-Antrieb würde allerdings viele Emissionsprobleme nachhaltig lösen. Wie sieht es beim Lkw aus?

    Renschler: Einen Lkw kann man nicht mit einem Pkw vergleichen. Den auf Effizienz getrimmten Diesel wird es im Fernverkehr noch lange geben. Denn es gibt keine wirkliche Alternative dazu. Anders sieht es bei Stadtbussen und Verteilerfahrzeugen aus, auf Strecken unter 200 Kilometern und in der Stadt. Hier kann der Elektroantrieb eine gute Alternative sein.

    Welche Probleme gibt es auf langen Strecken?

    Renschler: Für die wirtschaftliche Nutzung von Elektroantrieb der schweren Lkw auf der Langstrecke sind die Batterien noch nicht ausgereift genug. Und es fehlt an Ladeinfrastruktur. Es gibt natürlich auch Alternativen zum Diesel – zum Beispiel Flüssig- und normales Gas oder Biokraftstoffe. Aber auch hier brauchen wir die Infrastruktur.

    Vor allem die Chinesen treiben das Thema Elektromobilität voran. Und der US-Unternehmer Elon Musk. Wie sehr fahren die Deutschen bei den Nutzfahrzeugen dem Thema hinterher?

    Renschler: Sie fahren eher vorweg, denn hinterher. Allein ein Drittel der in den letzten zehn Jahren weltweit angemeldeten Patente für Elektro-Antriebe bei Nutzfahrzeugen stammt von deutschen Herstellern, belegt eine aktuelle Studie. Die drei Traton-Marken beispielsweise haben insgesamt rund 2000 Patente für E-Antriebe, vernetztes und autonomes Fahren. Und wir bringen unsere Patente auch auf die Straße.

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      Zum Beispiel?

      Renschler: Scania hat auf der IAA in Hannover kürzlich seinen neuen Plug-In Hybrid vorgestellt. In Österreich prüfen gerade Kunden wie Rewe oder Metro MAN-E-Trucks auf Herz und Nieren. Und Volkswagen Caminhões e Ônibus in Brasilien hat sich den weltgrößten Auftrag für E-Lkw überhaupt gesichert – 1600 Stück sollen in einigen Jahren insgesamt für den brasilianischen Braugiganten Ambev rollen. Hier ist im wahrsten Sinne sehr viel Bewegung drin.

      Neben dem Antrieb beschäftigt die Branche auch der fahrerlose Lastwagen. Wann kommt der autonom fahrende Lkw im normalen Straßenbetrieb?

      Renschler: Autonomes Fahren ist in abgegrenzten Bereichen heute schon Realität. So fährt in einer Mine bereits ein komplett autonomer Scania-Kipper. Manche Ihrer Leser werden vielleicht auch ein autonomes Absicherungs-Fahrzeug für Baustellen von MAN überholt haben – denn es hat auf deutschen Autobahnen bereits 4000 Kilometer zurückgelegt. Ab 2020 testet MAN auf der A7 zwischen Soltau und Hamburg automatisiertes Lkw-Fahren. Am Verladeterminal in Hamburg angekommen steigt dann der Fahrer aus, der Lkw fährt ohne ihn weiter, wird automatisch entladen und kehrt zum Fahrer zurück. Aber es wird dennoch Jahre dauern, bis das alles auf der Straße zur Regel wird.

      Und dann stirbt der Brummi-Fahrer aus?

      Renschler: Sicher nicht durch autonomes Fahren. Allein in Deutschland fehlen heute schon rund 45.000 Fahrer. Die Branche hat große Nachwuchssorgen – autonomes Fahren wird hier langfristig eher helfen können, an manchen Stellen Lücken zu schließen. Automatisierung und Digitalisierung unterstützen den Fahrer – und tragen so ein Stück dazu bei, den Beruf attraktiver zu machen.

      Was kostet die schöne neue Verkehrswelt?

      Renschler: Es wird nicht ohne erhebliche Investitionen gehen. Der Staat muss die Infrastruktur und die Gesetze schaffen für autonomes Fahren in großem Stil. Und die Hersteller werden die Lösungen entwickeln und auf die Straße bringen. Wir haben in 2016 und 2017 Milliarden-Beträge für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Immer mehr des Budgets fließt in alternative Antriebe und digitale Lösungen.

      Auf vielen Autobahnen in Deutschland ist die rechte Spur praktisch komplett voller Lkw. Warum muss das so sein?

      Renschler: Wir alle hätten gern allzeit freie Fahrt. Lkw-Transport bildet aber das Rückgrat der deutschen Industrie und unseres Wohlstands. Fast drei Viertel aller Waren werden in Deutschland per Lkw transportiert Die Bestellungen per Internet explodieren. Das Konsumverhalten verändert sich massiv. Allerdings ist der Frachtraum im Durchschnitt nur zu 50 Prozent ausgelastet – weil Lkw zum Beispiel voll hin- und nach dem Entladen leer zur Basis zurückfahren. Die digitale Vernetzung von Fahrzeugen, Waren, Transporteuren und der gesamten Kette kann und wird dabei helfen, den vorhandenen Frachtraum besser zu nutzen. Daran arbeiten wir intensiv.

      Wie sehr ist der Chef von Traton eigentlich abhängig von der Konzernzentrale in Wolfsburg?

      Renschler: Das Geschäft mit Lkw und Bussen unterscheidet sich grundlegend vom Pkw. Das weiß auch unsere Konzernmutter – und gibt uns darum die notwendigen Freiräume. Und mit der angestrebten Kapitalmarktfähigkeit könnten wir diese noch vergrößern.

      Niemand kennt Traton, aber alle kennen MAN und Scania. Wie wollen Sie den Namen bekannter machen?

      Renschler: MAN, Scania und Volkswagen Caminhões e Ônibus bauen seit teilweise mehr als 100 Jahren faszinierende Produkte. Und sie haben darum weltweit Millionen von Kunden und Fans. Eine solche Bekanntheit wollen wir mit Traton gar nicht erreichen. Wir wollen lieber ein Global Champion werden bei der Profitabilität. Traton ist ein sehr junges Unternehmen, fast ein Start-Up, mit starken Wurzeln. Genau das ist unsere Stärke.

      Die Traton AG, VWs Lkw-Sparte

      In der Traton AG hat der Volkswagen-Konzern sein Geschäft mit Lastwagen und Bussen gebündelt. Zum Unternehmen gehören die Marken MAN, Scania, und Volkswagen Caminhões e Ônibus in Brasilien. Das Angebot umfasst leichte Nutzfahrzeuge, Lkw und Busse, die an 31 Standorten in 17 Ländern produziert werden. 2017 verkaufte der Konzern insgesamt rund 205.000 Fahrzeuge. Das operative Ergebnis betrug 2017 rund 1,7 Milliarden Euro bei einem Umsatz von 23,9 Milliarden Euro. Ende 2017 beschäftigte Traton weltweit rund 81.000 Mitarbeiter. VW plant für seine Tochter einen Börsengang.

      Andreas Renschler, der Mann für Lkw

      Andreas Renschler (60) ist seit Februar 2015 im VW-Vorstand für Nutzfahrzeuge zuständig und leitet Traton. Davor arbeitete Renschler 27 Jahre beim Daimler-Konzern, unter anderem als Chef der Kleinwagenmarke Smart und als Vorstand für Lkw. Daimler ist der Weltmarktführer bei Lastwagen. Der gebürtige Stuttgarter soll aus den VW-Marken ein weltweit tätiges schlagkräftiges Unternehmen machen und vor allem die beiden ehemaligen Rivalen Scania und MAN zusammenbringen.

      Was Lastwagen kosten können

      Eine moderne Zugmaschine mit sieben Tonnen Gewicht und einem zulässigen Gesamtgewicht von 40 Tonnen mit Auflieger kostet grob vereinfacht ungefähr 80.000 Euro. Je nach Motorisierung und Ausstattung kann ein Lkw auch deutlich teurer sein, etwa mehr als das Doppelte kosten. Hat der Motor 600 PS, verbraucht der Lastwagen im Schnitt 30 Liter Diesel auf 100 Kilometer.