Berlin. Der Diesel-Skandal hat die Hersteller in Verruf gebracht. Doch bei Elektromobilität und autonomen Fahren hängen sie die Konkurrenz ab.

Seit der Aufdeckung der Schummelsoftware bei Volkswagen wirft der Abgasskandal dunkle Schatten auf die Autoindustrie. Eine Million Fahrzeugbesitzer hoffen auf eine kostenlose Hardware-Nachrüstung ihrer Diesel, um nicht mit Fahrverboten belegt zu werden. Über die Finanzierung wird weiter gestritten. Unterdessen richtet die deutsche Autoindustrie ihren Blick in die Zukunft und tüftelt an der Technik für die Autos von morgen.

Deutsche Autobauer und Zulieferer bereiten sich insbesondere durch Forschung auf den Strukturwandel vor. „Rund 40 Prozent aller Patentanmeldungen kommen hierzulande von der Automobilindustrie, so viele wie aus keiner anderen Branche.“ Dies ist das Ergebnis einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Der IW-Ökonom Thomas Puls sieht damit den häufig erhobenen Vorwurf widerlegt, die Branche verschlafe die Zukunft. Im Gegenteil, so Puls: „Die Autoindus­trie war schon 2015 dabei, die Zukunft mitzugestalten. Sie stellt sich der digitalen Herausforderung.“ Für die Untersuchung wurden rund 40.000 Patente aus dem Jahr 2015 ausgewertet.

2015 gilt als Wendepunkt in der Industrie

Die Autobranche, die mit 820.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 423 Milliarden Euro zu den stärksten deutschen Industriezweigen zählt, widmet sich vor allem den Megatrends der Elektromobilität und dem autonomen Fahren. Nur noch rund 30 Prozent der Patente werden im Bereich konventioneller Antriebe – wie Verbrennungsmotoren oder Abgasanlagen – angemeldet.

Die restlichen 70 Prozent entfallen auf Technologiebereiche wie Elektrik, Elektronik, Sensoren, Fahrwerke, Interieurs, Reifen, Bremsen oder Schlösser. Ein neuer Schwerpunkt entstehe bei Batterietechnologien sowie der Entwicklung von Hybridfahrzeugen.

Bei der Forschung spielen die Zulieferer eine besonders wichtige Rolle, so die IW-Studie. Sie liefern rund zwei Drittel der Patentanmeldungen im Bereich der Kraftfahrzeuge. So meldeten 2015 die zehn forschungsstärksten Unternehmen insgesamt rund 12.500 Kfz-Patente an – davon kamen alleine 3276 von Bosch.

Zahl der Patentanmeldungen um neun Prozent gestiegen

Der Stuttgarter Zulieferer ist bis heute der größte einzelne Patentanmelder in Deutschland, gefolgt von seinem Konkurrenten Schaeffler mit 1829 Anmeldungen. Danach kommen Daimler (1499), BMW (1271), Continental (1042), Volkswagen (1020), Audi (979), die ZF Friedrichshafen (945), Porsche (445) und Mahle (275). „Die Hersteller sind hochinnovativ, doch der Kern der Innovationskraft kommt von den Zulieferern“, sagt Studienautor Puls. Opel und Ford wurden nicht berücksichtigt, da ihre Patentnutzungsrechte im Ausland liegen.

Ein Einsitzer: Der elektrische Mercedes EQ Silver Arrow mit 550 kW/750 PS.
Ein Einsitzer: Der elektrische Mercedes EQ Silver Arrow mit 550 kW/750 PS. © dpa-tmn | Daimler AG

Auch bei der Digitalisierung spielt Deutschland eine Vorreiterrolle. So gab es schon 2015 laut IW-Studie rund 43 Prozent aller Patentanmeldungen im Bereich der elektrisch digitalen Datenverarbeitung. Dazu zählt die Entwicklung neuer Fahrassistenz- und Sicherheitssysteme. Im Segment des 3-D-Drucks kam jedes sechste Patent aus der Kfz-Branche.

Die IW-Forscher sehen 2015 als Wendepunkt in der Autoindustrie, an dem die Entwicklung alternativer Antriebe noch einmal deutlich an Dynamik gewonnen hätte. Die Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) kann diese Entwicklung angesichts neuester Zahlen nur bestätigen: „Unternehmen der Automobilindustrie stehen seit Jahrzehnten ganz oben in den Top-Anmelder-Listen des Deutschen Patent- und Markenamts“, sagte Cornelia Rudloff-Schäffer unserer Redaktion.

„Mit knapp 17 Prozent aller Anmeldungen im Jahr 2017 ist der Transport unser anmeldestärkstes Technologiefeld.“ Dabei sei die Zahl der Patentanmeldungen in diesem Bereich im Vergleich zum Vorjahr mit neun Prozent erneut deutlich gestiegen.

Daimler an Patentspitze beim autonomen Fahren

Auch beim autonomen Fahren haben die Deutschen zumindest in Sachen Patentsicherung die Nase hierzulande vorne. Auch wenn die meisten Autos noch im Testmodus fahren, ist die Forschung in vollem Gang – insbesondere schreitet die Entwicklung immer neuer Sensoren zur Navigation, Antriebs- und Verkehrssteuerung voran. Beim autonomen Fahren besitzt die deutsche Kfz-Industrie laut Patentamt mit 2006 Anmeldungen hierzulande sogar die meisten Patente, gefolgt von Japan (1350), den USA (527), Frankreich (227) und der Republik Korea (150).

Dabei hält der Zulieferer Robert Bosch mit 480 Patenten fürs autonome Fahren unter den deutschen Unternehmen die Spitzenposition. Danach folgen nach Angaben des Patentamts Audi (321), Volkswagen (203), BMW (130) – und mit Abstand auf Platz zehn Daimler (33). Patentamts-Präsidentin Rudloff-Schäffer ist deshalb überzeugt: „Auch in den disruptiven Technologien wie dem autonomen Fahren zeigt sich, dass gerade deutsche Hersteller und Zulieferer gemessen an Patenten zu den innovativsten Unternehmen gehören.“