Wahlstedt. Die EU-Kommission will Einwegprodukte aus Kunststoff verbannen. Die Marke Q-tips muss deshalb die Produktion umstellen.
Das Lager ist bis unters Dach gefüllt mit Baumwollballen. Sie sind quaderförmig und mehr als 300 Kilogramm schwer. Nikolas Bastian greift aus einem offenen Paket ein Stück Baumwolle heraus. „Das sind die Überreste aus den Spinnereien“, sagt der Geschäftsführer der Pelz-Gruppe, „die Fasern sind zu kurz, um daraus T-Shirts zu machen.“
Für die Familienfirma in Schleswig-Holstein haben sie jedoch genau die richtige Länge. Die Wahlstedter stellen daraus Watte für die traditionsreiche Marke Q-tips her. In den 1960er-Jahren waren sie einer der ersten Wattestäbchenproduzenten in Deutschland, heute sind sie nach eigenen Angaben Marktführer – und stehen damit im Zentrum der aktuellen umweltpolitischen Diskussion.
Plastik soll reduziert werden
Die EU-Kommission will die Plastikmengen reduzieren. Trinkhalme, Einweggeschirr und Wattestäbchen aus dem Material sollen nach einer vorgeschlagenen Richtlinie verschwinden. Verbindlich ist diese zwar noch nicht, aber einige Händler preschten bereits vor.
Die zur Schwarz-Gruppe gehörenden Unternehmen Lidl und Kaufland teilten Anfang Juli mit, dass sie ab Ende 2019 unter anderem auf Ohrenstäbchen mit Schaft aus Polypropylen (PP) verzichten wollen. Die Drogeriekette dm ist einen Schritt weiter und stellte ihre Eigenmarke komplett auf Papier um. Aber ist das auch besser für die Umwelt?
„Hinsichtlich der Plastikverbote wird häufig Symbolpolitik betrieben. Um mit Ökobilanzen wissenschaftlich belegbare Fakten geht es nicht“, sagt Bastian. So stand zunächst die Plastiktüte auf der Abschussliste der Politiker. Als Alternative werden Papiertüten genannt.
Die Deutsche Umwelthilfe ermittelte in einer Studie aber, dass die Papiervariante schwerer sein müsse, um nicht zu reißen, und ökologisch im Vergleich zur rohölbasierten Plastiktüte erst interessant werde, wenn sie drei- bis viermal wiederbenutzt werde. Baumwollbeutel müssen 25- bis 32-mal wiederverwendet werden, damit sie ökologisch besser abschneiden als Plastiktüten aus Neugranulat. So oder so ist die Wiederverwendung also das wichtigste Kriterium.
Das sind die Alternativen von Plastik
Bastian bringt für die Ohrenstäbchen drei Alternativen zum Plastik ins Spiel. Erstens Biokunststoffe: Sie werden zum Beispiel aus nachwachsenden Rohstoffen wie Mais und Kartoffeln gewonnen, indem deren Stärkeanteil genutzt wird. „Das ist die Diskussion: Tank oder Teller? Schließlich stehen die Agrarflächen nicht mehr zur Nahrungsgewinnung zur Verfügung“, sagt der 48 Jahre alte promovierte Betriebswirt.
Zudem würden sich Biokunststoffe im Garten oder im Wasser nicht zersetzen, weil dort keine perfekten Bedingungen dafür herrschten. Für die Variante bioabbaubare Stoffe sei das grundsätzlich richtig, heißt es im Umweltbundesamt.
Eventuell sinnvoll seien aber biobasierte Materialien, die zum Beispiel aus Küchenabfällen hergestellt werden, sagt Nina Maier, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Meeresschutz und Produktverantwortung: „In der Summe würden wir von Biokunststoffen aber abraten, weil sie nicht primär ökologisch sinnvoll sind.“ Biokunststoffe scheiden daher als Alternative aus.
Ohrenstäbchen aus Papier sind nicht nachgefragt
Als zweites Material wird Holz genannt – aber es gibt mehrere Probleme: Bei der Herstellung des Stabes würden 60 Prozent Ausschuss anfallen, sagt Bastian. Der Schaft wiegt das Doppelte, was sich auch bei einem leichten Artikel wie Wattestäbchen summiert und in der Logistik bemerkbar macht. Und vor allem: Holz ist zu starr, zu unflexibel – das Verletzungsrisiko zu groß.
Soviel Plastik verbraucht eine Familie
Bleibt als dritte Möglichkeit Papier. Zwar ist auch dieses Material als Schaft etwa doppelt so schwer wie die Plastikvariante. Für Maier ist Papier aber die für die Umwelt am wenigsten schädliche Lösung, vor allem wenn viel recyceltes Papier verwendet wird.
Die Pelz-Gruppe stellt seit 2007 unter der Marke Jean Carol Ohrenstäbchen mit Papierschaft her – die Nachfrage hält sich bisher allerdings in Grenzen. Fünf Prozent der von der Firma verkauften Wattestäbchen bestehen aus Papierschaft mit Biobaumwolle. „Die Verbraucher stimmen mit ihren Füßen ab“, sagt Bastian und ergänzt: „Es gibt immer noch Handelsketten, die die Papiervariante nicht listen.“ Schließlich ist der Platz in den Regalen begrenzt.
Ohrenstäbchen müssen billig sein
In dem jährlich elf Milliarden Ohrenstäbchen großen und 30 Millionen Euro schweren deutschen Markt werde mit den Kunden um ein Hundertstel Cent gefeilscht. Das liegt daran, dass die Eigenmarken des Handels die größten Anbieter sind. Ohrenstäbchen gehören wie Milch, Butter und Klopapier zu den Produkten, bei denen die Verbraucher als äußerst preissensibel gelten.
Mit einem Marktanteil von 15 Prozent ist die Marke Q-tips, die die Pelz-Gruppe 2004 von Unilever übernahm, größter Anbieter von Wattestäbchen. Seit einem Jahr werden unter dem Label zwei Varianten angeboten.
Jeweils 1,39 Euro lautet die unverbindliche Preisempfehlung für die Box. Allerdings sind in der Packung mit PP-Schaft und herkömmlicher Baumwolle 206 Wattestäbchen, während von den mit Biobaumwolle umhüllten Papierstäbchen nur 160 Stück in der Box liegen – damit sind sie knapp 30 Prozent teurer.
Der Firmenchef überlegt nun, Ohrenstäbchen mit Papierschaft und normaler Baumwolle anzubieten, die preislich zwischen beiden Varianten liegen. Denn Bastian erwartet, dass andere Supermärkte und Discounter dem Beispiel von Lidl und Kaufland folgen und den PP-Schaft verbannen werden: „Im Laufe der nächsten zwölf Monate wird ein Großteil der Händler auf Wattestäbchen mit Papierschaft umgestellt haben. Das ist mittlerweile eine sehr hell erleuchtete Nische.“
So geht die Herstellung der Q-tips
Papier statt Plastik – welche Folgen hätte das für die Pelz-Gruppe? Das Unternehmen verarbeitet alle Materialen selbst, die für die Produktion notwendig sind. Die Baumwolle wird hier geblichen und gereinigt. Kapselreste und schwarze Punkte werden entfernt, Fette entzogen. Ein auf dem Werksgelände stehendes Blockheizkraftwerk steuert ein Fünftel der Energie bei.
Das Wasser wird dreimal genutzt, ehe es in der firmeneigenen Kläranlage biologisch gereinigt wird und in die Kanalisation fließt. In einer Halle entsteht die Watte. Die Fasern werden gekämmt und dann zur sogenannten Wattelunte zusammengedreht. Im Nachbarraum erfolgt die Herstellung des Ohrenstäbchens. „Wir verleimen den Tupfer an dem Schaft“, sagt Bastian.
Das sei ein Unterschied zu günstigeren Artikeln, bei denen die Enden nur angeritzt werden und die Watte umwickelt werde. Rund 2500 Ohrenstäbchen in der Minute schafft eine der bis zu zehn Anlagen. Dann werden sie maschinell verpackt, der Deckel kommt drauf – fertig ist die Box mit den Q-tips.
Ohrenstäbchen sind nicht für Ohren geeignet
Für die Pelz-Gruppe spielt es am Ende keine Rolle, welches Produkt die Kunden wählen. „Letztlich ist es für uns egal, ob wir Plastik- oder Papierschäfte in den Maschinen verarbeiten“, sagt Bastian. Eine Einschätzung des Umweltbundesamtes, die das Produkt generell infrage stellt, dürfte ihm dagegen gar nicht gefallen: „Aus Umweltsicht ist es fragwürdig, das Produkt Wattestäbchen überhaupt zu verwenden“, sagt Maier.
Aus medizinischen Gründen sei die Entfernung von Ohrenschmalz nicht zwingend. Als Alternative gäbe es zudem eine Ohrenschlinge aus Edelstahl, die als Mehrweglösung die Umwelt am meisten schone.