Berlin. Wer professionell mit seiner Stimme arbeiten will, braucht eine gute Ausbildung. Gesangsstudenten üben auch Schauspiel und Akrobatik.

Was für Stimmen! Das ist der erste Eindruck, wenn man das Studio der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin betritt. Auf der Bühne proben die Studierenden des Studiengangs Gesang Haydns Oper „Il mondo della luna“, im Orchestergraben spielt das studentische Sinfonieorchester der Hochschule.

In der Opernkomödie um eine fantasievolle Reise auf den Mond, Lug, Betrug und das schwierige Werben um die Hand der Kaufmannstochter Flaminia liefern sich Ernesto und Buonafede mehr als ein Gesangsduell.

Buonafede, gespielt von Shokri Francis Raoof, ist der Vater, der die Hand seiner Tochter nur einem starken Mann geben möchte. Ernesto, gespielt von Constanze Jader, ist der Mann auf Freiersfüßen.

Verschiedene Tests bei der Aufnahmeprüfung

Shokri Francis Raoof ist Bachelorstudent im sechsten Semester. Der 27-jährige Ire hat schon eine Gesangsausbildung an der Royal Irish Academy abgeschlossen, kam aber nach Berlin, um die intensive Ausbildung an der Hochschule Hanns Eisler anzuschließen.

Seine Singstimme ist Bassbariton, eine der tiefsten männlichen Stimmen. „Die braucht mehr Zeit, sich zu entwickeln“, sagt er. „Je älter man wird, umso mehr Farbe hat die Stimme.“

Deswegen überlegt er, nach dem Abschluss im achten Semester das viersemestrige Masterstudium anzuschließen und seine Stimme weiter zu schulen. Bei der Aufnahmeprüfung musste Raoof nicht nur Arien vorsingen, sondern auch seine Klavierkenntnisse und sein Notenverständnis unter Beweis stellen.

Als Mezzosopran in Hosenrollen

Constanze Jader (26) ist im ersten Semester des Masterstudiengangs Gesang. „Wir müssen sehr viel lernen“, sagt sie. „Denn Oper ist wohl die komplexeste Kunstgattung, die es gibt.“

Ihre Singstimme ist Mezzosopran (zwischen Alt und Sopran), eine Stimme, mit der sie in der Opernwelt auch für sogenannte Hosenrollen angefragt wird – wie für den Ernesto, den sie gerade mit ihren Kommilitonen einstudiert.

„Ich muss mich in den Menschen Ernesto hineinversetzen, überlegen, wie ich ihn als Mann darstelle und was mich mit ihm verbindet“, erzählt sie. „Wir lernen hier, die Musik zum Klingen zu bringen und auch zu verkörpern“, sagt Jader.

Gesangstechnik, Tanz und Akrobatik

Im Fokus der Ausbildung stehen Gesangstechnik und Stimmschulung mit viel Einzelunterricht. Aber auch Schauspiel, Barock- und Gesellschaftstanz, Akrobatik, Bühnenfechten, Fitness und Musiktheorie sind Teil des Studiums. Und natürlich das Musizieren mit anderen Musikern.

Eine besondere Herausforderung ist das Lernen und Interpretieren der Texte in Fremdsprachen. „Idiomatisches Gestal­ten“ heißt das im Fachjargon. Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch: Die Studierenden müssen nicht alle Sprachen können, aber sie müssen Lautschrift beherrschen.

Dazu erlernen sie das IPA, das Internationale Phonetische Alphabet. Die Texte müssen die angehenden Profi-Sänger Wort für Wort selbst übersetzen. Das ist einer der Wege, sich der Kunstfigur anzunähern, die sie mit ihrer Persönlichkeit ausstatten müssen.

Im Finale des Berliner Opernpreises

Noch während Constanze Jader für Haydns Opernkomödie probt, bereitet sie sich auf ein neues Stück vor. Ende Mai steht sie in der Science-Fiction-Oper „Prothesen der Autonomie“ im Finale für den Berliner Opernpreis, eine Auszeichnung, die von der Neuköllner Oper, gefördert von der Gasag, verliehen wird.

„Auftritte sind für junge Sänger sehr wichtig“, sagt sie. „Hier gewinnen wir Bühnenerfahrung und machen erste Schritte in eine berufliche Karriere.“ Mit etwas Glück führen solche Auftritte zu Engagements. Einige Kommilitonen aus ihrem Studiengang sehen ihre Zukunft in einem Opernchor. Constanze Jader will Solistin werden, gern in einem festen Ensemble.

Annika Schlicht (29), Absolventin der Hochschule Hanns Eisler, ist bereits seit drei Jahren festes Ensemblemitglied an der Deutschen Oper Berlin. Sie hat den Übergang von der Hochschule in den Beruf nahtlos gemeistert.

Annika Schlicht (M.) als Dorabella in Mozarts „Così fan tutte“.
Annika Schlicht (M.) als Dorabella in Mozarts „Così fan tutte“. © Deutsche Oper Berlin | Gruppe41

Die Mezzosopranistin steht auf der großen Bühne, singt die Dorabella in Mozarts „Così fan tutte“ oder den Prinzen Orlofsky in der Fledermaus von Johann Strauss, hat Gastauftritte an anderen Opernhäusern und gibt Konzertabende. Als Jugendliche hätte sie sich nie träumen lassen, einmal Opernsängerin zu werden.

Zunächst Schneiderin gelernt

Nach der Schule machte sie eine Ausbildung zur Maßschneiderin für Damen in Heilbronn. Da sie gern sang, nahm sie Gesangsunterricht. Ihre Lehrerin erkannte ihr Talent und legte ihre nahe, sich an einer Musikhochschule zu bewerben. Schlicht schloss ihre Ausbildung zur Schneiderin ab, bewarb sich bundesweit, wurde in Berlin angenommen und begann ihr Studium bei Professorin Renate Faltin an der Hochschule Hanns Eisler.

In den letzten beiden Jahren ihres Diplomstudiums gehörte sie bereits als Stipendiatin der Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung dem Internationalen Opernstudio der Staatsoper Berlin an. Opernstudios sind Ausbildungsprogramme der Opernhäuser für junge Sänger, um ihnen den Einsteig ins Berufsleben zu erleichtern.

Dort übernehmen sie kleine Rollen vor großem Publikum, erhalten aber auch Gesangsunterricht. An der Staatsoper debütierte Annika Schlicht als zweite Dame in der Zauberflöte.

„Schönster Beruf der Welt“

2015 machte sie ihr Diplom und schloss auch das Opernstudio erfolgreich ab. Nach einem Vorsingen bei der Deutschen Oper wurde sie ins feste Ensemble aufgenommen. Ihre Arbeitstage sind von Proben, Gesangsunterricht, Rollenstudium – oft für zwei, drei Stücke parallel – und Auftritten bestimmt.

Jede Rolle muss sie sich erarbeiten, sowohl was das Gesangliche als auch was das Schauspielerische angeht. Und sie muss die Anforderungen der Regie, der musikalischen Leitung und ihre eigene Interpretation der Rolle auf einen Nenner bringen. „Ich habe den schönsten Beruf der Welt“, sagt Annika Schlicht. „Jeder Tag ist anders, Musik ist meine Erfüllung, und ich habe mit vielen tollen Menschen zu tun.“

Neben der Musikhochschule Hanns Eisler bildet auch die Universität der Künste (UdK) Berlin klassische Sänger aus. Im Studiengang Gesang/Musiktheater werden sie auf eine Karriere als Opernsänger, aber auch für Operette und Musical vorbereitet. 2005 haben die Hochschule Hanns Eisler und die UdK gemeinsam das Jazz-Institut Berlin (JIB) gegründet.

Pause im Studium wegen zu vieler Musikprojekte

Mia Knop Jacobsen steht kurz vor ihrer Abschlussprüfung am JIB, hat aber gerade ein Pausensemester eingelegt. „Um den vielen musikalischen Projekten, die sich derzeit ergeben, nachgehen zu können“, sagt die Jazzsängerin mit der warmen Stimme.

Die Mia Knop Jacobsen Band.
Die Mia Knop Jacobsen Band. © privat | privat

Vor Kurzem hat die 25-Jährige gemeinsam mit der Pianistin Julia Hülsmann ein Konzert gegeben, gleich darauf war sie bei der „jazzahead!“ dabei, einer Musikfachmesse mit Festival in Bremen.

Dort treffen sich jedes Jahr Musiker aus der Szene und knüpfen Kontakte. Netzwerke sind eine wichtige Basis, gerade für Freiberufler.

Mit eigener Band auf der Bühne

Zu ihren Projekten gehört auch die Mia Knop Jacobsen Band. Außerdem spielt sie in einem Trio und springt auch schon einmal spontan für eine Sänger-Kollegin ein, wenn eine Aushilfe gebraucht wird.

„Ich muss als freiberufliche Sängerin ein gutes Zeitmanagement mitbringen“, sagt Knop Jacobsen. „Wenn man sich für die Berufswelt Musik entscheidet, muss man wissen, dass Organisation ebenso zum Alltag gehört wie die eigentliche künstlerische Arbeit.“

Booking und das Organisieren von Konzerten laufen parallel zum Komponieren, Arrangieren, Proben und Konzertespielen.

Durchs Studium öffnen sich neue Türen

Ihr Studium wird die 25-Jährige im Februar 2019 abschließen. „Es hat mir eine gute Basis gegeben, um mich als Künstlerin zu definieren“, sagt sie. „Durch den immensen Input, den man in den vier Jahren des Bachelorstudiums bekommt, werden künstlerisch neue Türen geöffnet“, sagt sie.

„So kann die Arbeit an der individuellen Stimme und Authentizität auf der Bühne und in der Musik mit den richtigen Werkzeugen bestritten werden.“

Wichtig sind – das gilt für alle Sänger – Auftritte, um sich auf der Bühne zu präsentieren und um als Künstler zu reifen. Mia Knop Jacobsen besuchte schon früh Jam-Sessions, um mit anderen Musikern zusammenzuspielen.

Opernsänger geben Konzertabende und übernehmen bereits nach den ersten Semestern ihres Studiums kleine Rollen. Denn nicht nur die Stimme zählt: Auch Persönlichkeit und Know-how in Selbstvermarktung sind wichtig.