Berlin. Mehr Menschen wollen bei Kleidung ohne Tierprodukte auskommen. Nicht nur kleine Marken sind auf dem Markt, auch die großen Hersteller.

Auf den ersten Blick sieht die „Noveaux“ aus wie ein übliches Modemagazin: durchgestylt, glänzend, auf dem Cover die einstige „Germany’s next Topmodel“ Kandidatin und Schauspielerin Marie Nasemann im kleinen Schwarzen. Und doch ist die „Noveaux“ anders: tierfrei nämlich. Hinter dem Namen verbirgt sich ein Wortspiel, „No“ für das englische Nein und „Veaux“ steht im Französischen für Kälber. Chefredakteurin Julia Akra-Laurien sagt: „Die Welt retten und dabei gut aussehen? Ist ganz einfach.“ Mit anderen Worten heißt das: Vegan ist nicht nur Verzicht, sondern kann schick, glamourös, ansprechend sein.

Zwar leben dem Vegetarierbund zufolge nur rund 900.000 Menschen in Deutschland als Veganer, das heißt, sie verzichten nicht nur auf Fleisch, sondern auf Tierprodukte jeder Art wie zum Beispiel Eier und Milch. Doch wächst das Unbehagen über den menschlichen Umgang mit Tieren auf breiter Front.

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    Im Schuhladen zeigt sich der Trend

    Beim Essen wird immer häufiger Fleisch weggelassen. In einer gerade erst veröffentlichten Umfrage des Bundesumweltministeriums gaben 25 Prozent der Befragten an, nur noch einmal pro Woche oder seltener Fleisch zu essen. Nun macht sich der Trend im Klamotten- und Schuhladen bemerkbar: Vegan zieht an. Auch wenn es über den Markt keine verlässlichen Umsatzzahlen gibt, verzeichnet zum Beispiel Google stark ansteigende Suchanfragen zum Thema vegane Kleidung. Die Zahl der Unternehmensgründungen schießt nach oben und auch immer mehr angestammte Modehersteller reagieren auf den Trend.

    Unterwäsche, Brautkleider, Schuhe – alles ist inzwischen tierfrei zu haben. Frank Schmidt beobachtet den Markt für die Tierschutzorganisation Peta. Er trägt selbst Schuhe aus Piñatex, Ananasleder, gefertigt aus Blättern der exotischen Frucht, die üblicherweise weggeworfen werden. Ein „gutes Fußklima“ hätten sie, „bequem“ seien sie auch, „okay, am Look müssen die Designer noch arbeiten“, sagt Schmidt. Er will eins klarmachen: Designer denken Mode und Materialien neu. Sie suchen Alternativen zu Leder, Wolle, Daune, auch zur Seide. Ihnen passt nicht, dass etwa für ein Nachthemd aus konventionellen Produktionen die verpuppten Seidenraupen mit kochendem Wasser oder heißem Dampf getötet werden.

    Kombucha-Pilz soll Leder ersetzen

    Schmidt zählt zahlreiche innovative Stoffe auf, die den Menschen kleiden können: Die Faser Lyocell, auch Tencel genannt, wird aus Eukalyptusholz hergestellt. Sie fühlt sich beim Tragen leicht und kühl an, steckt in Blusen, Jeans oder Sportklamotten. Für Parka oder auch Kissen eignet sich die Pflanzendaune Kapok, die den langen Fasern der Früchte des tropischen Kapokbaumes entstammt. Taschen und Accessoires lassen sich laut Schmidt aus dem reiß- und wasserfesten Papiermaterial Tyvek herstellen.

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      Zudem forschen Start-ups, wie Schmidt meint, an „Revolutionärem“: Modern Meadows müht sich, Leder im Labor zu züchten. Myco Works, ebenfalls aus den USA, glaubt, dass Pilze die Lederlieferanten der Zukunft sind. Und auch deutsche Start-ups wie das Leipziger Scoby Tec haben Leder aus Kombucha, einem aus der Getränkeproduktion bekannten Pilz, produziert.

      In diesem Jahr wird Peta schon zum fünften Mal den Fashion Award vergeben. In der Kategorie Damenschuh ging dieser im vergangenen Jahr zum Beispiel an die Birkenstock-Sandale „Ma­drid“, in der Kategorie Sneaker an „Adidas ZX Flux“. Die großen Modeketten reagieren auf einen Trend. Den Pelzmantel haben viele längst abgelegt, aber nun geht es um mehr.

      Otto-Versand bemerkt verzeichnet steigende Nachfrage

      „Vor Jahren hat niemand auf unserer Internetseite den Suchbegriff vegane Klamotten eingegeben. Heute schon!“, meint Frank Surholt, Sprecher des Hamburger Versandhändlers Otto. Es finden sich vor allem Schuhe von der Modemarke Esprit – aber kein besonders breites Schuhangebot. Bei dem Hersteller heißt es: Auch wenn Esprit kein veganes Unternehmen „ist und wird“, habe es „immer wieder bewusst auf vegane Styles im Schuhbereich gesetzt“. Damit treffe man den „richtigen Nerv bei den Kunden“. Warum scheint die Auswahl dann so klein?

      „In Wirklichkeit ist sie das nicht“, sagt der Otto-Sprecher Surholt. Er verweist auf die grundsätzliche Einschränkung des Angebots. Bei Otto.de sei neben Echtpelz zum Beispiel Angorawolle tabu. Denn Angorakaninchen würden oft nicht artgerecht gehalten und Fell schmerzhaft entfernt. Federn von Daunen und Vögeln, die lebend gerupft würden, seien ebenfalls ausgeschlossen aus dem Angebot, genauso jene von Enten und Gänsen aus der Stopfleberproduktion. Im Angebot aber: ein „Riesenberg“ an Kleidung aus Baumwolle, Leinen, Hanf sowie synthetischen Stoffen. Es stehe nur nicht immer extra vegan drauf. Viele Materialien sind eben schon seit jeher tierfrei.

      Auch auf pestizidfreie Stoffherstellung wird geachtet

      Doch den Vorreitern der veganen Modebranche reicht das nicht. Sie wollen nicht nur auf Tierprodukte verzichten, sondern Umweltschäden jeder Art vermeiden. Auf herkömmlichen Baumwollfeldern würden zum Beispiel große Mengen Pestizide versprüht. Synthetische Fasern wie Polyester bestünden aus umweltschädlichem Erdöl.

      Für Michael Spitzbarth, den Gründer des veganen Sportmode-Labels Bleed, „geht vegan ohne ökologisch nicht“. Das hat dann weitere Einschränkungen bei den Materialien zur Folge. Selbst Recyclingpolyester, mit dem andere Herstellern versuchen, den Schaden für die Natur zu mindern, fällt bei Spitzbarth durch.

      Der Textildesigner und ehemalige Skateboardprofi erzielt Verkaufserfolge zum Beispiel mit einer Jacke aus Kork. Er entwirft aber auch Kapuzenpullis aus Biobaumwolle und ersetzt Hornknöpfe durch Steinnuss, veganes Elfenbein genannt. Die Waren lässt Spitzbarth zumeist in Portugal fertigen. „Ich will keine miesen Arbeitsbedingungen in asiatischen Fabriken mittragen“, sagt er. Teurer als andere eher hochwertige Freizeitkleidung ist die tierfreie Mode übrigens nicht unbedingt: Bei Bleed zum Beispiel fangen Kapuzenpullis bei 49,90 Euro an.