Washington. Ein ranghoher VW-Mitarbeiter hat sich schuldig bekannt, die Schummelsoftware mitentwickelt zu haben. Das bedroht den Konzern.

Die Jalousien waren heruntergelassen. Und ans Telefon gingen er und sein Anwalt auch nicht. Wären nicht die beiden Autos der Marke VW gewesen, die vor seinem Vier-Schlafzimmer-Haus in Thousand Oaks bei Los Angeles standen, niemand hätte am Wochenende gewusst, dass hier der bislang wichtigste Kronzeuge der US-Justiz im milliardenschweren Abgas-Skandal des Wolfsburger Automobil-Riesen lebt.

James Robert Liang, 62, seit 33 Jahren bei VW beschäftigt, hat sich offiziell schuldig bekannt, über zehn Jahre am Einsatz jener Computer-Software beteiligt gewesen zu sein, die VW allein in den USA bisher einen Schaden von mehr als 15 Milliarden Dollar (13,4 Milliarden Euro) eingebracht hat. Im Falle einer Verurteilung droht dem deutschen Staatsbürger eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Und ein Bußgeld von 250.000 Dollar.

Ingenieur darf mit Strafrabatt rechnen

Weil sein jetzt durch die Richter in Detroit bekannt gewordenes Geständnis mit der Bereitschaft verbunden ist, an der Aufklärung des Falls mitzuwirken und Mitwisser zu nennen, darf der Ingenieur mit Strafrabatt rechnen. Eine Perspektive, die nicht nur in Wolfsburg „für Panik sorgen wird“, sagte ein mit dem Fall vertrauter Rechts-Experte in Washington.

Auch die Beteiligung des Stuttgarter Autozulieferers Bosch, der die Computer-Technik beigesteuert hat (Codewort: „Akustikfunktion“), die in rund 600.000 VW-Dieselmodellen die Abgasbilanz zu verschleiern und die strengen Umweltgesetze in Amerika zu umgehen half, könnte durch Liang in ein „gerichtsfestes Licht geraten“.

US-Justiz geht von breiter Verschwörung aus

Juristen in Amerika werten die Personalie Liang als Drohung in Richtung VW-Konzernspitze. „Kooperiert – oder ihr seid auch dran.“ Hintergrund: Das Justizministerium in Washington hat intern durchblicken lassen, dass es von einer breiten Verschwörung im Abgas-Skandal ausgeht, von der die Chef-Ebenen „gewusst haben müssen“. Jene, mit denen Ingenieur Liang regelmäßig kommuniziert habe, sagt der Strafverteidiger Jacob Frenkel, wüssten nun, dass man ihnen auf den Fersen sei.

Die entsiegelte Anklageschrift gegen Liang hat es in sich. Detailliert werden kompromittierende E-Mail-Korrespondenzen aufgeführt. Sie dokumentieren, dass VW-Mitarbeiter seit mindestens einem Jahrzehnt akribisch an der Irreführung von Kunden und Behörden in den USA bei der Markteinführung der „Clean Diesel“-Technologie arbeiteten.

2013 schrieben sich die Fachleute noch euphorische Notizen

2013 schrieben sich die am Betrug beteiligten Fachleute noch euphorische Notizen. Ihn Testversuchen war es gelungen, den Stickoxid-Ausstoß künstlich zu senken, während er auf der Straße um das bis zu 40-Fache über den Grenzwerten lag. „Wenn das ohne Probleme durchgeht, ist diese Lösung wahrscheinlich wasserdicht.“

Liang war in Oxnard bei Los Angeles für VW-Emmissionstests zuständig. 2015 war die Zuversicht Panik gewichen. Wenn eine bestimmte Motorfunktion von der kalifornischen Umweltbehörde Carb getestet werde, hieß es im Juni, „dann haben wir nichts mehr zu lachen“.

VW-Amerika-Sprecherin sichert umfassende Zusammenarbeit zu

Was die Ermittler im anstehenden Prozess gegen Liang – das Urteil soll Anfang Januar 2017 gesprochen werden – am meisten interessiert: Wie weit reicht die Schar der Mitwisser in der VW-Hierarchie? Kann man den strafrechtlichen relevanten Nachweis führen, dass Top-Manager aus dem Vorstand, darunter der ehemalige Boss Martin Winterkorn, früh von der Scharade in Amerika wussten?

Mit Liang haben die US-Ermittler ein „echtes Pfund in der Hand“, schrieben Blogger der Automobil-Szene am Wochenende. Um sein Strafmaß zu verringern, muss der für Abgasmessungen und Software verantwortlich gewesene Ingenieur „Ross und Reiter nennen“. In der Klageschrift werden weitere Namen genannt. Volkswagen Amerika wollte wie immer keine Stellung nehmen. Unternehmenssprecherin Ginivan sicherte nur zu, dass VW mit denen verantwortlichen Stellen „umfassend kooperiert“.

US-Anwälte wollen Bosch zu Vergleich zwingen

Ob das auch für den Autozulieferer Bosch gilt, ist noch offen. US-Anwälte sehen in dem Stuttgarter Konzern den wichtigsten Komplizen Volkswagens in der Abgas-Affäre. Sie wollen das 130 Jahre alte deutsche Traditionsunternehmen – analog zu VW – zu einem milliardenschweren außergerichtlichen Vergleich bewegen, der bei weitem über den 750 Millionen Euro liegen soll, die Bosch vorsichtshalber bereits zurückgelegt hat.

In einer Klageschrift vor dem Bezirksgericht in San Francisco wird rund 40 „Boschianern“ bis hin zu Firmen-Chef Volkmar Denner vorgeworfen, dass Bosch mit VW auf Augenhöhe und mit vollem Wissen um die Illegalität der Abgas-Trickserei gearbeitet hat. Dabei hatte Denner noch vor kurzem gesagt: „Es geht nicht um das Fehlverhalten einer Technologie, sondern um das Fehlverhalten einer Firma.“ Er meinte VW.

Klägeranwalt rechnet mit Zivilklage gegen Bosch

Die von den Schwaben gestreute Version, man sei nur Auftrags-Lieferant gewesen, hält nach Ansicht der Anwälte um Elizabeth Cabraser der VW abgetrotzten Aktenlage nicht stand. Dort heißt es: Bosch habe von Beginn an ganz genau gewusst, was gespielt werde – und warum. Es ging darum, die in den USA strengen Stickoxid-Grenzwerte zu umgehen.

Sollte sich der Konzern in den kommenden zwei Monaten nicht beweglich und zahlungswillig zeigen, wird Anfang November die Eröffnung eines Zivilprozesses unumgänglich, erklärte Klägeranwalt Steve German. In der Sache nimmt Bosch bisher keine Stellung zu den Vorwürfen, hat jedoch eine „Klageerwiderung“ angekündigt.

Bosch verlangte von VW offenbar einen Persilschein

In diesem Fall wäre Bosch, parallel seit Ende 2015 auch im Visier des US-Justizministeriums, dem „freien Spiel der Kräfte ausgesetzt“, wie Beobachter aus der Automobilszene in den USA sagen: vor Gericht einer unberechenbaren Jury und einer Konfrontation mit dem eigenen Geschäftsgebaren.

Beispiel: Bereits im Jahre 2008, so heißt es in der 740-seitigen Klageschrift, hatte Bosch von VW für die maßgeschneiderte Komposition der Schummelsoftware einen Persilschein verlangt – sprich die Haftungsfreistellung im Klagefall. VW wies das zurück. Was Bosch nicht davon abhielt, weiter mit den Wolfsburgern „Hand in Handschuh“ beim Abgasbetrug zu kooperieren, wie die US-Anwälte anhand von Gesprächen zwischen Vertretern beider Häuser rekonstruierten. Ganze sechs Mal sei die entsprechende Computer-Software, mit der VW, Audi und Porsche in den USA jahrelang Diesel-Kunden und Umweltbehörden hinter die Fichte führten, verfeinert worden.

„Hätten sie ausgepackt, hätten sie vielleicht Nachsicht verdient“

Nicht nur das. Bosch hatte sich sogar ausbedungen, das VW nur mit vorheriger Zustimmung die bestehende Software („defeat device“) verändern durfte. Die US-Anwälte erkennen in diesen Details den Nachweis der Mitwisserschaft in einem Missbrauchsfall – eine Konstellation, die Forderungen nach Schadensersatz in den USA erfolgreich erscheinen lassen.

Bosch-Chef Denner weisen die Kläger, bisher ohne erdrückende Beweise, eine „Schlüsselrolle“ zu. Was Anwälte des Unternehmens als „wild und unbegründet“ zurückweisen. Tatsache ist aber, dass Bosch – bevor der Skandal vor fast genau einem Jahr aufflog – sein Herrschaftswissen über die illegale Software monatelang gegenüber den US-Umweltbehörden Carb und Epa zurückgehalten hat. „Hätten sie früher ausgepackt, hätten sie vielleicht Nachsicht verdient“, sagte ein mit den Ermittlungen vertrauter Carb-Mitarbeiter, „so aber müssen sie mit einem teuren Denkzettel rechnen.“ Der VW-Kronzeuge James Robert Liang könnte dabei helfen.