Berlin. Mehr als ein Jahrzehnt war sie „Cindy aus Marzahn“. Jetzt erzählt Ilka Bessin in ihrer Biografie vom Leben vor und nach der Kunstfigur.

Ilka Bessin hat ein Faible für kluge Sprüche. „Das Leben ist ein hartes Brot, aber es muss gegessen werden“ – den mag sie besonders. Man könnte fragen: Wie hart kann das Brot des Lebens für sie sein? Sie war doch Cindy aus Marzahn! Hartz-IV-Comedy-Königin! Ja, war sie. Aber sie wusste auch, wovon sie witzelte. War ihrer eigenen Hartz-IV-Falle ja erst entkommen, als sie Bühnenkunst daraus machte.

Der unerwartete Ruhm nach Jahren der Arbeitslosigkeit brachte ihr Glücksgefühle und Geld – und ein paar Starallüren. Als müsste sich jeder glücklich schätzen, der dieselbe Luft atmen dürfte wie sie: So habe sie sich manchmal verhalten. Das erzählt Ilka Bessin (aus Luckenwalde, nicht aus Marzahn!) beim Interview in einem Berliner Hotelzimmer. Sie sitzt am Schreibtisch, im Animalprint-Einteiler und barfuß. Als erstes bietet sie das „Du“ an.

Abgehärtet vom Leben, aber nicht abgestumpft

„Vielleicht war’s das Gefühl, einmal nicht die dicke Doofe vom Schulhof zu sein“, sagt sie über die Zeit ihrer Divenhaftigkeit. „Das Gefühl, etwas erreicht zu haben und den Leuten zu zeigen: Guck mal, ich bin wer!“ Dass sie als Kind in der Schule in Luckenwalde die „dicke, fette Arschbulette“ war, steht gleich als erstes in ihrer Autobiografie.

„Abgeschminkt“ heißt sie, ist gerade im Heyne Verlag erschienen. Ein sehr persönliches Buch, in dem Ilka Bessin erzählt, wie es war, das dicke Kind zu sein. Aber auch, wie sie schon als Kind Gedichte schrieb. Sie jammert nicht. Abgehärtet vom Leben, aber nicht abgestumpft. Ihre Verletzlichkeit scheint durch, daran hat auch der Erfolg nichts geändert.

„Cindy aus Marzahn“ im Jahr 2013.
„Cindy aus Marzahn“ im Jahr 2013. © dpa | Britta Pedersen

Zum Beispiel, wenn sie von ihren Eltern redet. Von der fehlenden Wärme zu Hause, den Schlägen, die ihnen in den 70er-Jahren als Erziehungsmethode galten. „Ich glaube, meine Eltern haben mich immer geliebt, sie hatten nur nicht die Möglichkeiten, mir das so zu zeigen, wie ich es mir gewünscht hätte“, sagt die heute 47-Jährige. Noch bevor der Vater dement wurde und schließlich starb, wurden sie Freunde, sie und ihre Eltern. Ihre Geschichte handelt auch vom Verzeihen. Und von der Chance auf Veränderung. Sie sagt, sie habe ihrer Mutter beigebracht, dass es gut ist, sich in den Arm nehmen zu lassen.

25 Kilo hatte sie schon mal abgenommen

Anders als Cindy, bei der das Dicksein zur Performance gehörte und Witze über ihren Körper ein zu ertragender Teil des Berufes war, regt sie sich als Ilka über Dickenwitze auf. Und darüber, dass niemand sich empört, wenn Marius Müller-Westernhagen „Dicke schwitzen wie die Schweine“ singt. Einmal wurde der Ärzte-Song „Die fette Elke“ gespielt, als sie gerade in eine Disco kam.

„Ich hab geweint, ich hab mich in Grund und Boden geschämt“, sagt sie. Und es ist noch nicht lange her, da wurde sie an einer Tankstelle von einem Mann als fett beschimpft, weil er fand, sie hätte ihr Auto schneller wegfahren müssen. Ein anderer sah betreten zu, half aber nicht. „Wie können wir unseren Kindern beibringen, an der Schule respektvoll miteinander umzugehen, wenn wir es nicht mal als Erwachsene schaffen?“, fragt sie.

Auch sich selbst will sie mit Respekt behandeln. Dazu gehört, dass sie wieder mit Sport angefangen hat. Mit einem Trainer, von dem sie weiß, dass er sie motivieren kann. „Du brauchst schon einen, der sagt: ‘Jetzt hör mal auf zu heulen und wenn du brechen musst, dann bitte rechts in den Wald!’“, sagt sie. 25 Kilo hatte sie sich so schon mal runtergeschafft. Da sei sie am Ende die Treppe am Berliner Teufelsberg siebenmal rauf- und runtergelaufen, ohne zu klagen.

„Jetzt geht es nur einmal und dann bin ich schon so halb am Sterben“, sagt sie. Der Trainer sei aber nicht nur knallhart. Er sage auch: „Es lohnt sich, mit dir diesen Weg zu gehen. Egal, wie oft wir anfangen.“ Das hilft. Menschen, die sie unterstützen.

Reporterin für soziale Themen bei Stern TV

Sie erzählt auch von Zeiten, in denen sie ganz unten war. Von Männern, die nicht gut für sie waren, die sie ausnutzten, als sie schon berühmt war. Und wie wenig sie dem entgegenzusetzen hatte. Aber, und darauf legt sie Wert: „Ich glaube immer an das Gute in den Geschichten. Ich glaub an Schicksal, alles hat seine Geschichte, sein Ende und alles ist für irgendwas gut.“ Apropos: Mittlerweile ist sie verlobt. Mit wem, das behält Ilka Bessin für sich.

Zehn Jahre war sie obenauf als Cindy, bevor sie es 2016 beendete. Seitdem arbeitet sie als sie selbst. Ob bei Stern TV, wo sie als Reporterin für soziale Themen antrat, oder mit ihrer Modelinie für große Größen – deren hohe Preise wiederum für Unmut bei ihren Fans sorgten. Als Cindy hätte sie über nachhaltige Mode, die sich kein Mensch leisten kann, schön Witze machen können. So musste sie ihre Gründe einfach erklären.

Glücksmomente in Muttis Garten

Als Nächstes geht sie auf Tour, im Februar. Ist das auch ohne Cindy weiterhin Comedy? Die Frage allein erstaunt sie. „Natürlich, das wird lustig und spritzig!“ Aber sie werde auch mal ein ernstes Thema ansprechen. „Ein politisches, das finde ich wichtig in der heutigen Zeit.“

Was sie auch wichtig findet: Nach Hause zu fahren, zu ihrer Mutter. Mit ihr in der Hollywood-Schaukel sitzen. Grillen. Kniffeln. Sie könne auch auf die Malediven fliegen, sagt Ilka Bessin. „Aber was gibt es Schöneres, als 45 Minuten von Berlin eine Oase zu haben, wo einfach Ruhe ist? Und die Mutti ist da und sagt dir: ‚Die Welt ist nicht so grausam, wie sie manchmal scheint.‘“