Essen. Dustin Hoffman hat zwischen Tragik und Komik alles gespielt und sich das Jungenhafte bewahrt. Heute wird der Schauspieler 80 Jahre alt.
Die Schlussszene hat Unsterblichkeit erlangt. „Elaine“, schreit der verzweifelte Bursche immer wieder und trommelt mit den Fäusten vor das Kirchenfenster, das den Blick auf eine Trauungszeremonie freigibt. Er ist Zaungast und wäre lieber Bräutigam. Augenblicke später wird die Braut mit ihm durchbrennen, und sein glückliches Lächeln zaubert uns ein paar Freudentränen ins Gesicht. 50 Jahre ist sie her, „Die Reifeprüfung“ mit den wohlig warmen Sechziger-Hymnen von Simon and Garfunkel.
Und ja, Dustin Hoffman, dieser kleine, große Schauspieler, den wir damals für anderthalb Stunden ins Herz schlossen und nicht mehr vergaßen, er wird heute 80 Jahre alt. 80? Bei Dustin Hoffman scheint es nur eine Kerbe im Kalender, denn gibt es einen altersloseren Schauspieler als ihn? Trippelt da nicht immer noch dieser nervöse, zappelige 1,67-Meter-Mann mit den hastigen Bewegungen vor uns auf und ab?
Auch in Frauenkleidern wirkte er nicht peinlich
Das Jungenhafte, Fragende, Unfertige, Dustin Hoffman hat es sich bewahrt und in einer für Hollywood einzigartigen Verwandlungskunst zu Charakterstudien veredelt: Er hat in 70 Filmen zwischen Tragik und Komik alles gespielt. Mit oder ohne Maskerade. Nie sank er auf das Niveau herab, zu dem sich andere Alphatiere der großen amerikanischen Schauspielschule im Alter hinreißen lassen: Robert De Niro oder Al Pacino tauchen oft in üblen Filmen auf.
Selbst als Mann in Frauenkleidern, der größten Darsteller-Falle, die ein Film aufstellen kann, umschiffte Hoffman alle Peinlichkeitsklippen und verhalf „Tootsie“ 1982 trotz alberner Outfits zu einer bissigen Satire aufs Showgeschäft. Über seinen Perfektionsdrang gibt es viele Geschichten. Als todkranker Kleinganove Ritzo 1969 in John Schlesingers Meisterwerk „Asphalt Cowboy“ füllte er Steinchen in einen Schuh, um den hinkenden Gang in New Yorks Straßenschluchten überzeugender hinzubekommen.
Erste Hauptrolle mit 30 Jahren
Auch seine Streitlust mit Regisseuren, die ihm den Ruf des Schwierigen einbrockte, ist berüchtigt. Als er Sydney Pollack einmal fragte, warum der nun einlenke, sagte der Filmemacher: „So bekomme ich dich schneller vor die Kamera.“ Selbst davon überzeugt, dass Schauspieler Kerle sein müssten wie Marlon Brando oder Burt Lancaster, hatte der in Los Angeles bürgerlich aufgewachsene Hoffman eher über eine Pianistenkarriere nachgedacht. „Ich hab’ mit der Schauspielerei angefangen, weil ich Mädchen kennenlernen wollte“, erzählte er später gerne.
Seine Männer-WG der Erfolglosen in einem verlausten New Yorker Apartment ist Legende: Gene Hackman und Robert Duvall fristeten mit ihm ihr Dasein, ehe auch sie den Durchbruch in Hollywood schafften. Als Regisseur Mike Nichols Hoffman 1967 die erste Hauptrolle anbot, hatte der arbeitslose Schauspieler bereits seinen 30. Geburtstag gefeiert. Und spielte nun in „Die Reifeprüfung“ einen jungfräulichen 20-Jährigen.
Diese Prominenten sind 80 Jahre alt
Auf der Suche nach gebrochenen Figuren
Anne Bancroft, die ihn damals als reife Mrs. Robinson ins außereheliche Liebesleben einführte, war nur sechs Jahre älter als Hoffman – es fiel dem begeisterten Publikum nicht auf. Das neue amerikanische Kino der 70er-Jahre war wie gemacht für einen so verletzlich und unschuldig wirkenden Typus wie Dustin Hoffman. Es suchte weniger nach strahlenden Helden als nach gebrochenen Figuren, nach Männern, die sich plötzlich mit menschlichen Abgründen konfrontiert sehen und über sich hinaus wachsen müssen.
So erlebte man ihn 1976 als Student in John Schlesingers bösem Thriller „Der Marathon Mann“ in den Fängen eines ehemaligen KZ-Arztes, der ihn auf eine Weise foltert, die auf Zahnarztpatienten für eine Weile die selbe Wirkung entfaltete wie „Der Weiße Hai“ auf Badegäste. Stets behauptete sich Hoffman spielend neben blendend aussehenden Stars wie Steve McQueen im Urwald-Gefängnisdrama „Papillon“ 1973 oder Robert Redford 1976 im Watergate-Thriller „Die Unbestechlichen“.
Lange Liste von Klassikern
Und ganz besonders als autistischer Bruder von Tom Cruise: Für seinen bewegenden Auftritt in „Rain Man“ 1989 nahm Hoffman seinen zweiten Oscar entgegen. Neun Jahre zuvor war er für das packende Scheidungsdrama „Kramer gegen Kramer“ geehrt worden. Mindestens im „Tod eines Handlungsreisenden“, Arthur Millers brutaler Sezierung des amerikanischen (Alp-)Traums, den Volker Schlöndorff 1985 inszenierte, hätte er einen weiteren verdient gehabt.
Die Liste seiner Filme, die Klassiker wurden, ist auffallend lang, selbst wenn er sich in den letzten zehn Jahren auf kleinere Projekte und Kinderfilme konzentriert hat. Nach überwundener Krebserkrankung ist noch manches von ihm zu erwarten. Junge Bräute aus Kirchen muss er übrigens schon lange nicht mehr entführen: Dustin Hoffman ist seit 1980 in zweiter Ehe verheiratet und hat sechs Kinder.