London. Linda Evangelista ist wieder da – nach missglückten Schönheitseingriffen und Psychokrise. Das Model will sich nicht mehr verstecken.

Wer glaubt, dass Models und Stars im wahren Leben so aussehen wie in der „Vogue“, der glaubt auch, dass Heidi Klums Sendung eine vernünftige berufsvorbereitende Maßnahme ist. Was aber von den Beauty-Profis alles kaschiert und retuschiert wird, bleibt natürlich ein Geheimnis. Glamour lässt sich nicht in die Karten gucken.

Insofern sind die fast schon brutal offenen Worte des legendären Supermodels Linda Evangelista eine Zäsur. Nach vielen Jahren ist die Kanadierin wieder auf dem Cover der Modebibel. Im Interview zu der Fotostrecke sagt die 57-Jährige, ihre Make-up-Artistin hätte für die Aufnahmen Haut und Kiefer mithilfe von Klebern und Bändern straffgezogen. „Das ist nicht mein Gesicht“, sagt sie.

Ihr Gesicht, das kannte 1990 plötzlich jeder.

Linda Evangelista wurde durch MTV zum Star

Damals entschied MTV über Ruhm im Pop-Universum. Eines Tages machte der Musiksender fünf junge Frauen zu Stars, die keinen Ton gesungen haben – sie mussten nur die Lippen zur Stimme von George Michael bewegen und dabei hinreißend aussehen: Naomi Campbell, Cindy Crawford, Christy Turlington, Tatjana Patitz und eben Linda Evangelista spielten in dem Video zu Michaels Song „Freedom! ’90“.

Linda Evangelista in der britischen „Vogue“: Ohren und Hals sind auf jedem Foto verdeckt.
Linda Evangelista in der britischen „Vogue“: Ohren und Hals sind auf jedem Foto verdeckt. © dpa

Von da an riss sich alle Welt um die Clique, was Evangelista einmal zu ihrem berühmten Satz verleitete: „Für weniger als 10.000 Dollar am Tag stehe ich morgens gar nicht erst auf.“ Sympathisch machte sie sich damit nicht, aber diese fünf beschlossen damals: Wenn schon alle Welt mit ihren Körpern Geld verdient, wollen sie den Löwenanteil.

Und alle Entscheidungen selbst treffen. Und wie Göttinnen behandelt werden. Und ein Flugticket für die Concorde. „Ich dachte nicht, dass ich was Besseres bin“, sagt Evangelista jetzt. „Ich kannte meinen Wert.“

Linda Evangelista ging fünf Jahre nicht aus dem Haus

Die Supermodels von einst wurden Tierschützerin (Tatjana), Philosophin (Christy), ehrgeizige Mutter einer Modeltochter (Cindy) oder modelten einfach weiter (Naomi). Nur Evangelista, die Anführerin, tauchte ab.

Vor rund einem Jahr erklärte sie, dass missglückte Schönheitseingriffe sie unumkehrbar „deformiert und entstellt“ hätten. Fünf Jahre sei sie nicht aus dem Haus gegangen, höchstens um ihren Sohn zum Football zu bringen.

Linda Evangelista 1992 mit Popstar George Michael.
Linda Evangelista 1992 mit Popstar George Michael. © Getty Images

Evangelista hatte das sogenannte Cool Sculpting vornehmen lassen, eine lange erprobte und auch in Deutschland gängige Methode, Fettzellen nicht-operativ durch Kälte zu reduzieren. Bei ihr jedoch, so Evangelista, hätten sich die Fettzellen vermehrt – eine paradoxe Reaktion, die sehr selten eintreten kann.

Durch die „Entstellung“ sei sie berufsunfähig geworden und in die Depression gerutscht. Sie verklagte den Anbieter auf 50 Millionen Dollar. Die Parteien einigten sich außergerichtlich. Wie? Hier endet Evangelistas Offenheit.

Linda Evangelista und der Selbsthass

„Ich versuche, mich so zu lieben, wie ich bin“, sagt sie nun. Die Fotos sollen dabei helfen. „Wir kreieren einen Traum.“ Ja, sie sei über Risiken aufgeklärt worden. „Aber hätte ich gewusst, dass es eine Nebenwirkung sein kann, seine Lebendigkeit zu verlieren, und man im Selbsthass endet, wäre ich das Risiko nicht eingegangen.“

Aber warum legt sich jemand, dem alle Welt Schönheit attestiert, überhaupt auf den Behandlungstisch? Genau deswegen, sagt zumindest „Vogue“-Autorin Sarah Harris und wirbt für Verständnis. Man müsse sich mal vorstellen, man sei eine der meistfotografierten Frauen der Welt. Dann verändere sich der Körper. „Ein schweres Kreuz.“ Lesen Sie hier: Perfekt unperfekt – Models mit Handicap sind gefragt wie nie

Man könnte dagegenhalten, dass Evangelista auch eine der privilegiertesten Frauen war und sich hätte dagegen entscheiden können. Evangelista wiederum sagt, sie sei durch die Dauerwerbung des Anbieters quasi einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Ein Satz habe gelautet: „Sehen Sie sich gerne im Spiegel?“ Andererseits hat Evangelista selbst davon gelebt, Frauen in Werbungen ein unrealistisches Schönheitsbild zu vermitteln.

Unabhängig davon, ob Evangelista nun als Galionsfigur im Kampf gegen Schönheitswahn taugt: Ihre Geschichte ist wichtig als die einer Frau, die wieder arbeiten will und die man wieder lässt. Geheilt sei sie noch nicht. Noch immer könne sie nicht in den Spiegel schauen, sich nicht berühren lassen. „Aber ich bin so dankbar für die Unterstützung meiner Freunde und meiner Branche.“

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.