Menschede. Großer Trubel, verunsicherte Passagiere und eine gespenstische Stimmung: Eine 59-Jährige berichtet, wie es an Bord der Aidaluna war.
Der Atlantik ruht. Wellen schwappen leise an die Schiffswand. Am Horizont klettert langsam die orangefarbene Sonne empor. Passagiere stehen an der Reling und filmen den Moment mit ihren Handys. Erinnerungen an einen grauenhaften Morgen.
Eine Stunde zuvor sind die Urlauber auf der Aidaluna von den eindringlichen Worten des Kapitäns geweckt worden. „Daniel Kaiser-Küblböck, bitte melden Sie sich sofort an der Rezeption.“ Es ist der Morgen, an dem der 33-jährige Sänger vor Neufundland ins offene Meer gesprungen ist. Er gilt seither als vermisst.
„Wir liefen an diesem Tag wie Falschgeld über das Schiff“, berichtet eine Frau aus Meschede, die in Begleitung die Kreuzfahrt von Hamburg nach New York mit dem tragischen Ereignis unternommen hat. Ihren Namen möchte die 59-Jährige nicht nennen. Der Trubel sei groß genug gewesen. Seit Sonntag ist sie wieder in Deutschland. „Die Stimmung war gespenstisch. Niemand wusste, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Immer wieder schauten wir aufs Meer hinaus.“ Unbewusst oder bewusst tasteten die Blicke die Oberfläche ab.
Rastlose Kreuzfahrer
Statt wie geplant in St. John’s (Neufundland/Kanada) festzumachen, zog das Schiff immer wieder große Kreise und Quadrate um die errechnete Stelle, an der Kaiser-Küblböck über Bord gegangen war. „Keinen hielt es lange an einem Ort“, beschreibt die Urlauberin die Rastlosigkeit der Kreuzfahrer. „Abends waren wir froh als das Schiff abdrehte. In Richtung kanadische Küste und in die Normalität.“ Es gab immer wieder Durchsagen und viele Gerüchte unter den 2500 Passagieren.
Daniel Küblböck - Popstar und Provokateur
Auf der Aidaluna wurde schon vor dieser Tragödie über den Künstler geredet, der jeden Tag Frauenkleider trug. „Er fiel einfach auf, und wir mutmaßten zunächst, dass er vielleicht zum Showteam gehört oder eine Dokumentation dreht.“ Die Meschederin unterhielt sich sogar längere Zeit mit Daniel Kaiser-Küblböck.
„Er hat sich mir als Lana vorgestellt.“ Ihr gegenüber sei er freundlich und ruhig gewesen, er erzählte offen von seiner begonnenen Geschlechtsumwandlung. Nachts soll er hingegen in seiner Kabine gesungen, geschrien und randaliert haben. Angeblich musste er nach Beschwerden der Nachbarn mehrfach innerhalb des Schiffes umziehen. „Im Nachhinein“, so überlegt die Meschederin heute, „hat er da vielleicht schon mit sich und seinen Gefühlen gekämpft.“
Kapitän hatte Bitte an Urlauber
Einen Tag lang unterstützt das Aida-Schiff die kanadische Küstenwache bei der Vermissten-Suche. „Und es gab tatsächlich Passagiere, die sich deshalb an der Rezeption beschwert haben.“ Die Meschederin ist empört: „Das ist doch ein Akt der Menschlichkeit.“
Vor dem Landgang in Halifax (Kanada) bat der Kapitän die Urlauber per Durchsage, nicht mit den Journalisten zu sprechen. Für das Unternehmen ist der mutmaßliche Suizid des Prominenten ein PR-Desaster. Dass die Medien bereits kurze Zeit nach dem Unglück über das Thema schrieben, erzählte jemand beim Frühstück. Dass in Portland (Maine/USA) ein RTL-Team im Hafen wartete und das Schiff in New York regelrecht von TV-Reportern belagert wurde, überraschte die Urlauber dennoch.
„Ich hatte selten mein Handy an“, sagt die Meschederin. Sie bekam nicht mit, dass über die Tragödie bereits seit Tagen berichtet wurde, und dass Küblböcks Vater mitgeteilt hatte, dass sich sein Sohn in einer psychischen Ausnahmesituation befunden hatte, und das Schiff niemals hätte betreten dürfen.
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