Potsdam. Kommt auf die Menschheit eine Heißzeit zu? Selbst ein Einhalten des Pariser Klimaabkommens könnte das womöglich nicht verhindern.

Die Gefahr einer Heißzeit kann aus Sicht von Klimaforschern selbst beim Einhalten des Pariser-Klimaabkommens nicht ausgeschlossen werden. Dabei würde sich die Erde langfristig um etwa vier bis fünf Grad Celsius erwärmen und der Meeresspiegel um 10 bis 60 Meter ansteigen, schreibt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Ein internationales Team von Wissenschaftlern diskutiert diese Möglichkeiten in den „Proceedings“ der US-nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“) und blickt dabei insbesondere auf Kippelemente im Klimasystem.

Dazu gehören laut Studie etwa die auftauenden Permafrostböden in Russland, die sich erwärmenden Methanhydrate auf dem Meeresboden und die großen Ökosysteme wie der Amazonas-Regenwald. Sie könnten sich wie eine Reihe von Dominosteinen verhalten, sagte Mitautor Johan Rockström, Direktor des Stockholm Resilience Centre und designierter Ko-Direktor des PIK. „Wird einer von ihnen gekippt, schiebt dieses Element die Erde auf einen weiteren Kipppunkt zu.“

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    Klimaziel von 2 Grad reicht vielleicht gar nicht

    „Der Mensch hat als geologische Kraft bereits seine Spuren im Erdsystem hinterlassen“, sagte Mitautor und PIK-Gründungsdirektor Hans Joachim Schellnhuber. „Werden dadurch empfindliche Elemente des Erdsystems gekippt, könnte sich die Erwärmung durch Rückkoppelungseffekte selbst weiter verstärken. Das Ergebnis wäre eine Welt, die anders ist, als alles, was wir kennen“, ergänzte er. „Die Forschung muss sich daran machen, dieses Risiko schnellstmöglich besser abzuschätzen.“

    Nach Angaben der Autoren könnte es schwieriger werden als bislang angenommen, die globale Erwärmung wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart zwischen 1,5 und unter 2 Grad Celsius zu stoppen. Man könne sich nicht darauf verlassen, dass das Erdsystem bei 2 Grad langfristig sicher „geparkt“ werden könne, sagte Schellnhuber.

    Hitzebilder aus Deutschland

    Abkühlung ist angesagt: Ein Hund tobt durch das Niedrigwasser des Rheins bei Biebesheim (Hessen). Der Juli wird als einer der heißesten seit Beginn der Messungen in die deutsche Wettergeschichte eingehen. Am 31. Juli war es in Deutschland so heiß wie noch nie in diesem Jahr: Bereits um 14 Uhr waren es in Bernburg in Sachsen-Anhalt 39,2 Grad. Bisher hatte der Rekord bei 38,0 Grad gelegen, aufgestellt am 26. Juli in Duisburg-Baerl.
    Abkühlung ist angesagt: Ein Hund tobt durch das Niedrigwasser des Rheins bei Biebesheim (Hessen). Der Juli wird als einer der heißesten seit Beginn der Messungen in die deutsche Wettergeschichte eingehen. Am 31. Juli war es in Deutschland so heiß wie noch nie in diesem Jahr: Bereits um 14 Uhr waren es in Bernburg in Sachsen-Anhalt 39,2 Grad. Bisher hatte der Rekord bei 38,0 Grad gelegen, aufgestellt am 26. Juli in Duisburg-Baerl. © dpa | Boris Roessler
    Ab in die Fluten der Nordsee auf Norderney.
    Ab in die Fluten der Nordsee auf Norderney. © Hauke-Christian Dittrich/dpa | Hauke-Christian Dittrich
    Bei Temperaturen von bis zu 38 Grad flimmert die Luft am letzten Tag im Juli über der Straße des 17. Juni vor dem Brandenburger Tor in Berlin.
    Bei Temperaturen von bis zu 38 Grad flimmert die Luft am letzten Tag im Juli über der Straße des 17. Juni vor dem Brandenburger Tor in Berlin. © dpa | Jens Büttner
    Clever! Ein Mann geht mit einem selbst gefertigten Kühlbeutel als Schutz vor den hohen Temperaturen im Zentrum Berlins spazieren.
    Clever! Ein Mann geht mit einem selbst gefertigten Kühlbeutel als Schutz vor den hohen Temperaturen im Zentrum Berlins spazieren. © dpa | Jens Büttner
    Einfach nur Nichtstun.
    Einfach nur Nichtstun. © dpa | Jens Büttner
    Abkühlung bieten die Todtnauer Wasserfälle in Baden-Württemberg. Das Wasser stürzt dort 97 Meter in die Tiefe.
    Abkühlung bieten die Todtnauer Wasserfälle in Baden-Württemberg. Das Wasser stürzt dort 97 Meter in die Tiefe. © dpa | Patrick Seeger
    Wasser, marsch! Auch die Natur leidet unter der Hitze und ist auf Wasserzufuhr angewiesen. Diese Aufnahme aus Lehnin (Brandenburg) zeigt einen Feuerwehrmann, der einen Baum wässert.
    Wasser, marsch! Auch die Natur leidet unter der Hitze und ist auf Wasserzufuhr angewiesen. Diese Aufnahme aus Lehnin (Brandenburg) zeigt einen Feuerwehrmann, der einen Baum wässert. © dpa | Julian Stähle
    Sonnenschirme und nacktes Fleisch am Starnberger See (Bayern).
    Sonnenschirme und nacktes Fleisch am Starnberger See (Bayern). © dpa | Lino Mirgeler
    Sonnenbad.
    Sonnenbad. © dpa | Lino Mirgeler
    Mit Sonnenhütchen lässt es sich im Starnberger See bei den hohen Hitzetemperaturen aushalten.
    Mit Sonnenhütchen lässt es sich im Starnberger See bei den hohen Hitzetemperaturen aushalten. © dpa | Lino Mirgeler
    Ein Spatz erfrischt sich am Münsterbrunnen in Freiburg (Baden-Württemberg) mit Wasser.
    Ein Spatz erfrischt sich am Münsterbrunnen in Freiburg (Baden-Württemberg) mit Wasser. © dpa | Patrick Seeger
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    Klimawandel könnte sich selbst verstärken

    Derzeit ist die Erde im Durchschnitt bereits gut 1 Grad wärmer als noch vor Beginn der Industrialisierung. Selbst bei vorläufiger Begrenzung der menschengemachten Erderwärmung auf maximal 2 Grad könnten kritische Prozesse im Klimasystem angestoßen werden, die eine noch stärkere Erwärmung – auch ohne weiteres menschliches Zutun – bewirken, erläuterte Erstautor Will Steffen von der Australian National University (ANU) und dem Stockholm Resilience Centre (SRC). Nach PIK-Angaben könnte das bedeuten, dass sich der Klimawandel dann selbst verstärkt - „auf lange Sicht, über Jahrhunderte und vielleicht Jahrtausende“.

    Kippelemente im Erdsystem seien mit schweren Felsbrocken am Strand vergleichbar, erläuterte Schellnhuber. Würden diese langsam, aber unaufhörlich unterspült, könnte irgendwann schon die Landung einer Fliege an einer neuralgischen Stelle ausreichen, um die Brocken kippen zu lassen. „Wir weisen in unserem Artikel darauf hin, dass es im planetarischen System bereits derart unterspülte Felsbrocken gibt, die wir als Kippelemente bezeichnen. Ist die Erderwärmung weit genug fortgeschritten, reicht vielleicht schon eine kleine Veränderung aus, um diese Elemente in einen ganz anderen Zustand zu stoßen.“

    Noch viel weitere Forschung nötig

    In Teilen der Westantarktis seien bereits einige Kipppunkte überschritten worden. „Der Verlust des Eises in einigen Regionen könnte dort schon ein weiteres, noch umfangreicheres Abschmelzen über lange Zeiträume vorprogrammiert haben“, sagte Schellnhuber. Und der Kollaps des grönländischen Eisschildes könnte bereits bei einer Temperaturerhöhung um 2 Grad einsetzen. „Die roten Linien für einige der Kippelemente liegen wohl genau im Pariser Korridor zwischen 1,5 und 2 Grad Erwärmung.“

    Der Artikel biete eine Synthese und Einordnung von vielen Einzelstudien, bleibe aber recht unkonkret, kommentierte Klimaforscher Reto Knutti von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Das Autorenteam argumentiere zwar, dass schon bei 2 Grad eine Schwelle hin zu einem deutlich anderen Zustand der Erde liegen könne, verweise aber zugleich darauf, dass es noch unsicher sei, wo eine solche Schwelle tatsächlich liege.

    Forscher appelliert an Politik: Schnell raus aus der Kohle

    „Das ist ein wichtiger und provozierender Artikel“, meint dagegen Jonathan Overpeck von der University of Michigan, der nicht daran beteiligt war. Auch wenn es nicht möglich sei, die exakte Erdtemperatur zu bestimmen, bei der eine Kaskade von Kippelementen die Erde in Heißzeit bringe, sei es richtig, sich Sorgen zu machen. „Die Risiken zu ignorieren, könnte katastrophal für den Menschen und den Planeten werden.“

    Jeder Einzelne könne etwas beitragen, um dem Klimawandel zu begegnen, aber vor allem sei die Politik gefordert, sagte Schellnhuber, der Mitglied der Kommission der Bundesregierung zum Kohleausstieg ist. Aus wissenschaftlicher Sicht sei klar, dass der Kohleausstieg so schnell wie möglich umgesetzt werden sollte.

    „Die Kohleverstromung ist das schädlichste, was man dem Klima antun kann“, sagte er. Als hochentwickeltes Industrieland habe Deutschland alle Möglichkeiten, die alte, auf fossilen Brennstoffen basierende Wirtschaftsweise bis 2040 komplett hinter sich zu lassen. Dafür müsste auch der Verbrennungsmotor bis 2030 ausgemustert werden. „Klimapolitisch sind Neuwagen mit Verbrennungsmotor völliger Unsinn“, betonte Schellnhuber. (dpa)