Berlin. Ambulante Eingriffe kosten weniger. Ihre Zahl soll künftig deutlich steigen. Doch wer entscheidet, ob ein Patient dafür fit genug ist?

Nach der Operation nicht im Krankenhaus liegen, sondern gleich nach Hause gehen – das soll für immer mehr Patienten die Regel werden. Der Ansicht sind der GKV-Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).

Weil in Deutschland ihrer Meinung nach immer noch zu wenig ambulant operiert wird, haben sie einen Katalog mit rund 3100 ärztlichen Leistungen veröffentlicht, nach denen der Patient gleich nach Hause entlassen wird. Ihr Ziel: die stagnierenden Zahlen ambulanter Operationen steigern, um Kosten zu reduzieren. Seit 2018 bewegen sich diese laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes bei um die 1,5 bis 1,7 Millionen Eingriffen – im Vergleich zu rund 60 Millionen stationär ablaufenden Operationen jährlich.

Nur: Wer entscheidet, ob jemand fit genug ist, nach einem Eingriff nach Hause zu gehen?

Ambulante Eingriffe: Günstiger und immer öfter möglich

Dass heute immer mehr Eingriffe auch ambulant durchgeführt werden können, ist das Ergebnis technischen Fortschritts: Operationen, die bis vor einigen Jahren als riskant eingestuft wurden, sind heute deutlich einfacher geworden.

Der Kardiologe Axel Schmermund erklärt es an einem Beispiel: „Wenn wir ein Gefäß am Herzen mithilfe eines Ballons und eines sogenannten Stents aufdehnen, geschah dies lange auf dem Weg über die Leiste. Dort nahmen wir den Zugang zur Arterie, um zum Herzen zu gelangen. Das brachte aber Risiken mit sich.“ Etwa die Verletzung von Gefäßen oder Rhythmusstörungen. Außerdem gab es die Gefahr von Schlaganfällen oder Herzinfarkten.

Inzwischen gibt es Mini-Katheter, mit deren Hilfe die Ärzte über das Handgelenk in den Körper gelangen – „dadurch gestalten sich die meisten Eingriffe deutlich weniger kompliziert“, erklärt Schmermund, der im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) am Agaplesion Bethanien Krankenhaus in Frankfurt am Main arbeitet.

Krankenhäuser müssen Ablehnung von ambulanten OPs begründen

Der Großteil der jährlich rund 7000 Stent-Implantationen läuft dort inzwischen ambulant ab. „Ein längerer Krankenhausaufenthalt trägt nicht zwangsläufig zur schnelleren Genesung bei – wenn man sich besser zuhause erholt.“

Auch andere Operationen, wie der Austausch von Herzschrittmachern, werden in Frankfurt vielfach ambulant durchgeführt – und das sollten sie auch nach dem neu geltenden OP-Katalog. „Wenn ein Eingriff dennoch stationär durchgeführt werden soll, muss dies vorab genau begründet werden“, sagt Schmermund.

Das Krankenhaus muss also mögliche Risiken voraussehen und den Krankenkassen im Vorfeld einer Operation Begründungen dafür liefern, dass der Patient nach dem Eingriff auf der Station bleiben muss.

Doch wichtige Kriterien fehlten bei dieser Bewertung, findet Jürgen Schäfer, Geschäftsführer des Bethanien-Krankenhauses: „Wir müssen für die Finanzierung durch die Krankenkassen sogenannte Kontextfaktoren dokumentieren, bei denen gerade soziale Faktoren wie Alter oder eine lange Anfahrt zum Operationsort nicht richtig berücksichtigt werden.“ Außerdem würden nur die Pflegegrade vier oder fünf akzeptiert – dabei könne man schon mit Pflegegrad eins und mit Gehhilfen sehr beeinträchtigt sein.

Nach dem ambulanten Eingriff gleich wieder entlassen werden: Das soll immer mehr auch bei aufwendigeren Operationen zur Regel werden.
Nach dem ambulanten Eingriff gleich wieder entlassen werden: Das soll immer mehr auch bei aufwendigeren Operationen zur Regel werden. © imago/Rainer Weisflog | imago stock

Ambulante Eingriffe: Nicht alle Krankenhäuser sehen sich gewappnet

Im Frankfurter Bethanien-Krankenhaus ist das angegliederte Facharztzentrum der Ort für ambulante Eingriffe. Dort sind Schmermund und seine Kollegen rund um die Uhr jederzeit erreichbar und können bei Notfällen akut hinzugezogen werden. Zudem gibt es einen ständigen Bereitschaftsdienst vor Ort, nachdem der Patient entlassen wurde. „Sollten Komplikationen auftreten, können wir den Patienten auch direkt stationär aufnehmen“, sagt Geschäftsführer Schäfer.

Doch Menschen, die nicht in der Nähe der Klinik leben, haben vom ständigen Bereitschaftsdienst vor Ort wenig. Wer hilft hier in Notfällen? Was geschieht mit älteren, gehbehinderten Menschen, die allein leben? Diese Fragen stellen sich nicht nur Ärzte und Angehörige, sondern auch die Organisatoren in den Krankenhäusern.

„Ob eine Leistung ambulant erbracht werden kann, muss sich immer nach der individuellen Situation der Patientinnen und Patienten richten“, sagt Jürgen Braun, der beim Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf (VKKD) die Geschäfte führt. Diese Entscheidung müsse klar bei Ärztinnen und Ärzten liegen und dürfe nicht strikt von zentraler Stelle vorweggenommen werden.

Außerdem besteht aus Brauns Sicht die Notwendigkeit, dass ambulante Operationen adäquat vergütet werden. „Die strukturellen Rahmenbedingungen des Krankenhausumfeldes werden aktuell nicht ausreichend berücksichtigt. Zudem sind ambulante Operationen mit bürokratischen und administrativen Hürden verbunden, die das medizinische Personal zusätzlich belasten“, so Braun.

Ambulant oder stationär? Einheitlicher Katalog soll Entscheidung klar regeln

Wie erfolgreich die aktuelle Anbahnung vermehrter ambulanter Eingriffe ist, wird sich noch zeigen müssen: Bisher liegen keine Erkenntnisse dazu vor, wie sich die Reform seit Jahresbeginn in der Praxis entwickelt, sagt Wulf-Dietrich Leber, Abteilungsleiter Krankenhäuser im GKV-Spitzenverband. Er verteidigt die Kontextfaktoren: „Damit stehen den Ärztinnen und Ärzten erstmals einheitliche fachlich-medizinische Kriterien zur Entscheidungsunterstützung zur Verfügung, ob die Patientin beziehungsweise der Patient für eine ambulante Operation in Frage kommt.“

Liegen darüber hinaus medizinische oder soziale Gründe vor, können diese laut Leber bei einer stationären Durchführung der Leistung im Einzelfall dargelegt werden: „Sie müssen begründen, dass die Versorgung in der Häuslichkeit nicht sichergestellt werden kann und dadurch der medizinische Behandlungserfolg gefährdet ist.“

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Soll man bei Bedenken gegenüber einer ambulanten OP eine Zweitmeinung einholen? Kardiologe Schmermund glaubt nicht, dass das notwendig sein wird: „Es sollen ja gerade einheitliche und nachvollziehbare Kriterien eingeführt werden.“ Aber natürlich könne es sein, dass ein Zentrum mehr ins Risiko geht, auf den Kosten sitzen zu bleiben, als ein anderes.