Berlin. Lichter hellen den Nachthimmel auf und lassen viele Sterne verschwinden. Astronomen fürchten um ein Kulturgut. Was ihn retten könnte.

Als 1994 riesige Stücke des Kometen Shoemaker-Levy 9 in den Jupiter einschlugen, blickte die damals 13-jährige Carolin Liefke mit einem Piratenfernrohr in den Himmel. „Gesehen habe ich davon natürlich nichts“, schmunzelt sie. Dennoch: Der Sternenhimmel hatte sie angefixt.

Heute, knapp 30 Jahre später, arbeitet Liefke im Haus der Astronomie der Uni Heidelberg und ist Vorstandsmitglied bei der Vereinigung der Sternenfreunde. Die Faszination für den Sternenhimmel ist geblieben, der Blick darauf hat sich verändert: „In Deutschland gibt es immer weniger Orte, an denen man gut Sterne beobachten kann“, sagt die Astronomin. Künstliches Licht von Gebäuden, Verkehr und Reklametafeln trübt die Sicht.

Forscher nennen die unnatürliche Aufhellung des Himmels Lichtverschmutzung. In den vergangenen zehn Jahren ist der Nachthimmel weltweit im Schnitt um 9,6 Prozent pro Jahr heller geworden. Das zeigt eine im Januar veröffentlichte Studie eines Citizen-Science-Projekts.

Was das heißt, erklärte Studienautor Christopher Kyba nach Veröffentlichung der Ergebnisse gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: Bleibe es bei dem globalen Durchschnitt von jährlich 9,6 Prozent mehr Himmelshelligkeit, bedeute das modellhaft: Ein Kind, das an einem Ort auf die Welt kommt, an dem bei seiner Geburt 250 Sterne sichtbar sind, wird dort an seinem 18. Geburtstag nur noch 100 Sterne sehen können.

Lichtverschmutzung gefährdet Mensch und Tier

Kyba ist Physiker am Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) und an der Ruhr-Uni Bochum (RUB). Er nennt im Gespräch mit unserer Redaktion zwei Hauptursachen für die zunehmende Helligkeit: Erstens würden Unternehmen und Haushalte die Leuchten an Häusern und vor allem Werbetafeln immer heller drehen – „obwohl hellere Werbung eher blendet, als dass man sie dadurch besser sieht“.

Lichter von Gebäuden, Verkehr und Reklametafeln hellen den Nachthimmel auf. Orte mit dunklem Himmel wie hier in Brandenburg werden seltener.
Lichter von Gebäuden, Verkehr und Reklametafeln hellen den Nachthimmel auf. Orte mit dunklem Himmel wie hier in Brandenburg werden seltener. © dpa | Patrick Pleul

Zweitens sei es für den dunklen Himmel schädlich, dass Kommunen und private Haushalte von Natriumdampflampen mit warm-weißem Licht auf LED-Leuchten umsteigen. Das menschliche Auge reagiere empfindlicher auf die kalten Farbtemperaturen der LED. „Dadurch wirkt der Himmel noch heller“, meint Kyba.

Unter der Lichtverschmutzung leidet einerseits die Gesundheit von Mensch und Tier. Hellere Nächte können die innere Uhr von Menschen durcheinanderbringen und das Fressverhalten von Fischen verändern. Auch nachtaktive Vögel und Insekten werden gestört. Andererseits betrifft es auch die Menschen, die gerne in den Sternenhimmel schauen. Ihr Beruf, Hobby oder gelegentliche Momente der Faszination stehen auf dem Spiel.

Universum: Neugier ist bei Menschen trotz Technik geblieben

Astronomin Liefke sagt, die zunehmende Menge an künstlichem Licht bedrohe sogar ein Kulturgut: „Manche lesen Bücher, andere schauen halt gerne in den Sternenhimmel. Das gehört nun mal dazu, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und wie sie die Natur erforschen.“

Vor Tausenden Jahren hätten sich Menschen an den Sternen orientiert, um Jahreszeiten und Himmelsrichtungen zu bestimmen. Der technische Fortschritt habe den Sternen diese Funktionen abgenommen. Doch die Neugier für die Weiten des Universums sei geblieben – nicht nur bei Berufs- und Hobbyastronomen.

Doch wie kann der klare Blick auf den Sternenhimmel geschützt werden, ohne jedem Gebäude und jeder Werbetafel den Stecker zu ziehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich Andreas Hänel seit knapp 30 Jahren. Er war lange Jahre Astronom am Planetarium Osnabrück und am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. 1995 hat er die Initiative gegen Lichtverschmutzung ins Leben gerufen. Sein Antrieb ist auch Eigennutz: „Ich muss immer weiter fahren, um einen richtig dunklen Himmel zu finden.“ So reiste er nach Namibia oder in die USA, um Sterne zu beobachten.

Auch energieeffiziente LED-Leuchten können zur Lichtverschmutzung beitragen, meint Physiker Christopher Kyba vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) und von der Ruhr-Uni Bochum (RUB).
Auch energieeffiziente LED-Leuchten können zur Lichtverschmutzung beitragen, meint Physiker Christopher Kyba vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) und von der Ruhr-Uni Bochum (RUB). © RUB, Marquard

Die Initiative kämpft für die Anerkennung von sogenannten Sternenparks: eine Art Naturschutzgebiete, in denen der dunkle Himmel geschützt wird. Der Nationalpark Eifel, der Naturpark Westhavelland und das Biosphärenreservat Rhön zum Beispiel sind solche Schutzzonen. Der Unterschied zur Helligkeit des Himmels in Städten sei groß, beschreibt Andreas Hänel: „In Berlin sieht man vielleicht noch 100 Sterne, 80 Kilometer weiter im Sternenpark Westhavelland hingegen 3000.“

Maßnahmen gegen Lichtverschmutzung: Was Experten fordern

Hänel und seine Kollegen fordern von Städten und Haushalten, dass sie Leuchten abschirmen, nach unten ausrichten und häufiger ausschalten. Das Problem: Es gibt weder auf Bundes- noch Landesebene ein Gesetz, das Maßnahmen gegen Lichtverschmutzung einheitlich festlegt. In der Regel sind Kommunen und Städte dafür zu zuständig, wie sie ihre Straßen, Wege und Plätze beleuchten. Einige Großstädte wie Leipzig, Berlin und Düsseldorf haben Regeln zum Lichtverbrauch in sogenannten Lichtmasterplänen festgelegt.

Bisher geht aber keine Stadt beim Schutz des Sternenhimmels so weit wie Fulda. Die hessische Mittelstadt tauscht gerade alle Leuchten an Straßen und öffentlichen Plätzen aus, deren Lichtfarbe nicht umwelt- und insektenfreundlich ist. An ihre Stelle kommen Lampen mit moderner LED-Technik und warm-weißem Licht. Die Stadt richtet die Lampen so aus, dass möglichst wenig Licht zur Seite und keins nach oben entweicht.

Laut Stadtbaurat Daniel Schreiner wird die Umrüstung der Lampen schätzungsweise 3,9 Millionen Euro kosten. Ein Nebeneffekt: Fulda spart pro energieeffizienter Lampe durchschnittlich die Hälfte der Stromkosten ein. Die Stadt könnte zum Vorbild werden, meint Daniel Schreiner: „Wir sind mit vielen Kommunen in Kontakt.“ Das Thema Lichtschutz liege in vielen Städten auf dem Tisch.