Berlin. Nach vielen Rückschlägen machen Forscher Alzheimer-Patienten neue Hoffnung. Doch ist das neue Medikament “Lecanemab“ wirklich sicher?

„Diese Studie ist ohne Zweifel ein Meilenstein“, sagt Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Uniklinik Köln. Nach Jahren mit vielen Rückschlägen in der Forschung könnte es nun doch gelingen, ein Medikament gegen Alzheimer-Demenz zu entwickeln. Für Aufsehen sorgt dabei der monoklonale Antikörper Lecanemab, der die Erkrankung zwar nicht heilt, deren Fortschreiten aber verlangsamt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Alzheimer-Demenz: Wie entsteht die Krankheit?

Nach bisherigen Erkenntnissen steht die Erkrankung in Zusammenhang mit Eiweißablagerungen im Gehirn, die als Amyloid oder Tau bezeichnet werden. Die Anhäufung von Amyloid ist ein Schlüssel bei der Entstehung von Schädigungen des Gehirns.

Nerven sterben ab, die kognitiven Leistungen nehmen ab, bis Betroffene quasi in das Entwicklungsstadium eines Kleinkindes zurückfallen. 2020 starben laut dem Statistischen Bundesamt 9450 Menschen in Deutschland an Alzheimer-Demenz. 160.000 Neudiagnosen gibt es pro Jahr. Lesen Sie auch: Demenz – Studie erwartet drastischen Anstieg bis 2050

Alzheimer: Welcher Ansatz wird mit dem neuen Medikament verfolgt?

Der Ansatz besteht darin, eine Abwehr des Körpers gegen die Ablagerungen im Gehirn hervorzurufen. „Der Körper kann etwas Fremdes erkennen und dagegen Antikörper bilden, die dann die Abwehrreaktion auslösen“, erklärt Walter J. Schulz-Schaeffer, Neuropathologe am Uniklinikum des Saarlandes. Bei Eiweißablagerungen im Gehirn funktioniere das aber nicht. Bisher.

Ein neuer Therapie-Ansatz macht Alzheimer-Patienten Hoffnung.
Ein neuer Therapie-Ansatz macht Alzheimer-Patienten Hoffnung. © iStockphoto/FredFroese | iStockphoto/FredFroese

Die Idee, Antikörper gegen Amyloid zu finden und zu verabreichen, gibt es seit Jahren. Bisher waren Studien dazu aber enttäuschend – der erhoffte Effekt im Hinblick auf die Verlangsamung des geistigen Abbaus konnte nicht nachgewiesen werden. Die getesteten Antikörper Aducanumab und Gantenerumab richteten sich dabei gegen das verklumpte Amyloid selbst. Auch interessant: Alzheimer-Demenz – Können Nährstoffe das Vergessen bremsen?

Lecanemab bekämpft deren toxische Zwischenprodukte, winzige Bestandteile der Amyloid-Zellen. „Möglicherweise haben wir nun einen Angriffspunkt gefunden, der einen Unterschied im klinischen Verlauf macht“, erklärt Jörg Schulz von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

Antikörper: Was hat die Alzheimer-Studie untersucht?

An der Studie, die im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurde, nahmen 1795 Personen mit einer Alzheimer-Erkrankung im Frühstadium teil. 898 erhielten alle zwei Wochen Lecanemab – zehn Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. 897 Personen erhielten ein Placebo.

Nach 18 Monaten wurde der Effekt auf den CDR-SB-Score erhoben, ein etablierter Wert zur Einschätzung der Schwere von Demenz. Dieser berücksichtigt Faktoren wie Gedächtnis, Urteils- und Problemlösungsvermögen oder die Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen. Bei Studienbeginn lag der mittlere Wert in beiden Gruppen bei etwa 3,2. Nach 18 Monaten war der Unterschied zwischen den Gruppen laut Studie beträchtlich: 0,45 Punkte. Lesen Sie auch: Alzheimer-Krankheit – Warum Frauen häufiger betroffen sind und was hilft

Was bedeuten die Ergebnisse für Alzheimer-Patienten?

„Der Erkrankungsfortschritt wurde um 27 Prozent verlangsamt, bei den Aktivitäten des täglichen Lebens machte der Unterschied 37 Prozent aus“, sagt Jörg Schulz. Auch die gemessene Amyloid-Last sei sehr deutlich reduziert worden.

„Die Frage, die man diskutieren muss, ist, wie relevant der Effekt klinisch ist“, meint Stefan Teipel, Demenzforscher am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen. Der Patient merke davon wahrscheinlich wenig. „Allerdings muss man da auch einen längeren Zeitraum bedenken.“ Wenn der Effekt fortdauere, würde die Verlangsamung der Krankheit über die Zeit noch relevanter werden.

Bei der Alzheimer-Therapie mit Lecanemab werden regelmäßig Hirnscans durchgeführt.
Bei der Alzheimer-Therapie mit Lecanemab werden regelmäßig Hirnscans durchgeführt. © iStockphoto | iStockphoto/haydenbird

Teipel hält es für wichtig, mit den Studiendaten in den Austausch mit den Patienten zu treten: „Wir dürfen nicht vergessen zu übersetzen, was etwa diese Unterschiede im CDR-Wert konkret für dass Leben der Betroffenen bedeuten.“ Und dabei müsse man auch bedenken, dass die Substanz alle zwei Wochen intravenös verabreicht und am Anfang alle drei Monate ein MRT-Scan des Hirns gemacht werde. „Das ist eine große Belastung für die Patienten. Was gewinne ich? Und was geht dadurch an Lebensqualität vielleicht auch verloren? Das muss man gegeneinander abwägen“, findet Teipel. Auch interessant: Vergesslichkeit im mittleren Alter – ein Vorbote von Demenz

Alzheimer: Für wen würde sich die Antikörper-Therapie eignen?

„Die Therapie ist nur geeignet für Patienten mit einer milden kognitiven Beeinträchtigung oder einer leichten Demenz“, sagt Schulz. Lecanemab verlangsame zwar das Fortschreiten der Erkrankung, mache sie aber nicht rückgängig. Patienten mit ausgeprägtem Krankheitsbild oder einer anderen Form von Demenz als Alzheimer profitierten nicht von der Therapie. „Es geht also nicht um Personen, die vielleicht schon Schwierigkeiten haben, ihre Angehörigen zu erkennen oder Ähnliches“, sagt Teipel.

Alzheimer-Therapie mit Lecanemab: Gibt es Nebenwirkungen?

Laut der Studie traten unter der Behandlung Nebenwirkungen auf, darunter Hirnschwellungen und -blutungen. Insgesamt lasse sich aus den Daten aber ein positives Nutzen-Risiko-Profil ableiten, schlussfolgert Schulz. Allerdings: In den USA gibt es Berichte über zwei Todesfälle, die nach der Studie auftraten. „Diesen Berichten muss nun nachgegangen werden. Auch muss untersucht werden, ob die Alzheimer-Medikation das Risiko für solche Ereignisse erhöhen könnte“, so Schulz weiter. Lesen Sie auch: Demenz – Wann kommt der Bluttest auf Alzheimer?

Wann ist mit einer Zulassung der Alzheimer-Therapie zu rechnen?

Das Antikörper-Medikament ist von den Firmen Biogen (USA) und Eisai (Japan) entwickelt worden. „Wir hoffen auf eine schnelle Zulassung, wenn die Behörden das Medikament als sicher einstufen“, sagt Schulz. Für die USA ist sie für Januar geplant. Über die Kosten der Therapie pro Patient ist bisher nichts bekannt. Laut Experten könnten diese pro Jahr im fünfstelligen Bereich liegen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.