Berlin. Viren verändern sich, das gilt auch für Sars-CoV-2. Die Zahl der Mutanten und Varianten wächst, aber was bedeutet das genau? Alle Infos.

  • Viren verändern sich mit der Zeit - auch Sars-Cov-2 ist keine Ausnahme
  • Unter Forscherinnen und Forschern wächst die Sorge, dass Impfungen bei Mutanten nicht mehr wirken könnten
  • Aber wie genau entstehen Mutationen? Wie unterscheiden sie sich von Virusvarianten? Die wichtigsten Informationen zu Corona-Mutanten im Überblick

Die Impfkampagne in Deutschland und anderen Teilen der Welt schreitet voran - Hoffnung ist nach mehr als einem Jahr in der Corona-Pandemie in Sicht. Doch was passiert, wenn das Coronavirus sich durch Mutationen derart verändert, dass die entwickelten Vakzine nicht mehr wirken? "Ein extremes Szenario, aber nicht auszuschließen" – so bezeichnen Forscher des Leibniz-Instituts für Primatenforschung in Göttingen und des Universitätsklinikums Ulm diese Möglichkeit. Lesen Sie dazu: Indische Mutation: Wie Virologin Ciesek die Gefahr beurteilt

Auch das Robert Koch-Institut (RKI) schließt nach aktuellen Forschungen eine reduzierte Wirksamkeit der Impfungen nicht aus. Was könnte ein solches Szenario begünstigen? Welche Varianten und Mutationen bereiten der Wissenschaft Sorgen und wie entstehen die Coronavirus-Mutanten eigentlich? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Corona: Warum verändert sich das Virus?

Um sich zu verbreiten, muss sich das Virus in menschlichen Zellen vermehren. Immer und immer wieder. Dabei passieren Fehler, sogenannte Mutationen. Diese können an verschiedenen und auch an mehreren Stellen des Erbguts zugleich entstehen. Mutationen können die Eigenschaften von Sars-CoV-2 verändern. Es kann beispielsweise ansteckender werden oder auch einer Immunabwehr ausweichen. Mehr zum Thema: Indische Mutation in England: Wettlauf gegen die Zeit

Unterscheiden muss man dabei zwischen Varianten und Mutanten. Manche Varianten tragen mehrere, mitunter bis zu 40 Mutationen an unterschiedlichen Stellen des Erbguts in sich. Nicht alle müssen gefährlich sein. Lesen auch: So dramatisch wütet Corona in Indien

Corona: Welche Viruslinien gibt es?

Neben dem in China erstmals festgestellten Urtyp von Sars-CoV-2 gibt es mittlerweile unzählige neue Varianten. Fast wöchentlich kommen neue dazu, überall auf der Welt. In Afrika, Indien, Südamerika oder Europa.

Zu den derzeit bekanntesten Viruslinien zählen die erstmals in Großbritannien identifizierte Variante B.1.1.7, die in Südafrika verbreitete Variante B.1.351 und die in Brasilien grassierende Variante P.1. Alle drei werden von der Wissenschaft als besorgniserregend eingestuft. Sie sind sogenannte Variants of Concern, kurz VOCs. Sie eint eine gemeinsame Mutation des Spike-Proteins, mit dem das Virus an die menschliche Zelle andockt.

Was ist Mutation? Was bedeutet sie für Corona?

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    Die Viruslinie B.1.1.7 ist in Deutschland dominierend. Ihr Anteil beträgt mittlerweile über 90 Prozent. Die zwei anderen Varianten spielen laut Robert Koch-Institut (RKI) derzeit hierzulande kaum eine Rolle: B.1.351 sei in etwa einem Prozent der darauf untersuchten positiven Proben nachgewiesen worden, P.1 in 0,5 Prozent.

    Nun breitet sich auch die zunächst in Indien entdeckte Variante B.1.617 rasant aus. Dabei handelt es sich Virologen zufolge um eine sogenannte Doppelmutation, da sie zwei Varianten in sich trägt: E484Q und L452R. Diese beiden wurden schon einzeln in der britischen sowie in der südafrikanischen und in der sich in Kalifornien ausbreitenden Corona-Variante gefunden. In Indien konnten sie jetzt erstmals zusammen in einer Virus-Variante festgestellt werden.

    Die Mutante B.1.617 kursiert inzwischen schon in Dutzenden Ländern und hatte zuletzt einen Anteil von weniger als zwei Prozent. Die absolute Zahl liege weiter "nur im zweistelligen Bereich" - zuletzt bei etwa 30 Fällen pro Woche, heißt es im RKI-Bericht vom 12. Mai. Der Anteil sei aber jüngst stetig gestiegen.

    Lässt sich die Pandemie trotz Varianten mit einer Impfstrategie besiegen?

    Experten zufolge gilt für alle Präparate und die bisher in Deutschland bekannten Mutanten: Sich zu impfen, bringt mehr Sicherheit vor einer schweren Erkrankung als auf eine Impfung zu verzichten. Dem RKI zufolge sinkt die Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, bei vollständig Geimpften im Vergleich zu Ungeimpften bei allen vier hierzulande zugelassenen Impfstoffen um mindestens 80 Prozent.

    Die bisher in Deutschland eingesetzten Impfstoffe wurden gegen den ursprünglichen Erreger-Typ entwickelt, den sogenannten Wildtyp. Lesen Sie dazu: Studie macht Hoffnung: So schützt Biontech vor Mutationen

    Schützen die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe vor den Corona-Mutanten?

    Alle in Deutschland verfügbaren Impfstoffe schützten nach jüngsten Angaben des RKI allerdings auch vor einer Erkrankung durch B.1.1.7 sowie vor schweren Erkrankungen durch die Varianten aus Brasilien und Südafrika.

    B.1.1.7: Das RKI geht davon aus, dass die Wirksamkeit des Biontech-Impfstoffes bei dieser Mutante im Vergleich zum Wildtyp nicht sonderlich abgeschwächt ist. Dabei stützt sich das Institut auf Analysen aus Israel und Großbritannien. Das Präparat von Astrazeneca könne eventuell etwas weniger effektiv wirken, so das RKI. Die bisherigen Studien dazu seien allerdings nur "eingeschränkt aussagefähig", da vergleichsweise wenige Fälle betrachtet worden seien.

    B.1.351: Obwohl dem RKI zufolge derzeit nur wenige Daten zu dieser in Deutschland selten vorkommenden Mutante vorliegen, lassen diese auf eine "zumindest reduzierte Effektivität" der Impfungen schließen. Einer Analyse aus Katar zufolge kann der Biontech-Impfstoff bei B.1.351 schwere und tödliche Krankheitsverläufe aber sehr gut verhindern. Nach einer Studie aus Südafrika, wo diese Mutante dominierte, kann der Wirkstoff von Astrazeneca eine symptomatische Erkrankung offenbar weniger wirksam verhindern als beim Ursprungsvirus. Was das Mittel von Johnson & Johnson betrifft, weisen vorläufige Daten auf eine möglicherweise reduzierte Wirksamkeit hin.

    Eine im "New England Journal of Medicine" veröffentlichte Studie aus Katar bestätigte ebenfalls: Zumindest der Biontech-Impfstoff scheint gut gegen die Virusvarianten B.1.1.7 und B.1.351 zu wirken. Gegen die englische Variante B.1.1.7 schütze die Impfung mit dem Biontech-Vakzin zu 89,5 Prozent. Und auch gegen die südafrikanische Variante B.1.351 schützt der Impfstoff zumindest zu 75 Prozent.

    Dies hatte auch der Berliner Virologe Christian Drosten im NDR-Podcast mehrfach betont. "Allerdings ist der Impfschutz möglicherweise reduziert und von kürzerer Dauer", erklärten Forscher des Leibniz-Instituts für Primatenforschung und des Uniklinikums Ulm.

    Corona- Brasilianische Mutation dreimal ansteckender

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      P.1: Die vor allem in Brasilien verbreitete Sars-CoV-2-Variante ähnelt der Mutante B.1.351. Dem RKI zufolge deuten experimentelle Daten dementsprechend auch hier auf eine reduzierte Wirksamkeit der Impfstoffe hin. Aktuell liegen aber keine eindeutigen Studiendaten vor. Einer britischen Untersuchung von Mitte März zufolge wirken die Astrazeneca- und Biontech-Präparate gegen P.1 wohl in etwa genauso wie gegen die britische Variante - und damit besser als gegen die südafrikanische Mutante. Eine US-Studie von Mitte Februar wiederum ergab, dass die Vakzine von Biontech und Moderna bei P.1 und B.1.351 eine "signifikant verminderte" Wirksamkeit haben könnten. Lesen Sie auch: Mallorca: Brasilianische Corona-Mutation P.1 erreicht Insel

      B.1.617: Was die in Indien entdeckte Mutante betrifft, deuten nach RKI-Angaben erste Laborexperimente darauf hin, dass die Wirksamkeit von Impfstoffen bei dieser Variante nicht substanziell beeinträchtigt ist. Gesicherte Daten würden aber auch hier noch nicht vorliegen. Leif-Erik Sander, der Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité, sagte Ende April dem Science Media Center: "Ein Grund zur Sorge, dass die Impfungen durch diese Virusvariante ihre Wirksamkeit verlieren, besteht aktuell nicht."

      Experten zufolge sei die bisher vermutete verminderte Wirksamkeit einiger Impfstoffe bei Mutanten kein Grund zur Sorge: Schließlich sei der Schutz vor sehr schweren bis tödlichen Verläufen bei den aktuellen Varianten weitgehend gegeben. Außerdem ließen sich gegen bedrohliche Mutanten rasch angepasste Impfstoffe für eine Auffrischungsimpfung entwickeln. Das entspräche dann in etwa dem Vorgehen wie bei der jährlichen Grippeimpfung.

      Können die Impstoffe angepasst werden?

      Corona-Impfstoffe, vor allem die neuartigen mRNA-Impfstoffe, können nach Angaben der Präsidentin des Österreichischen Verbands der Impfstoffhersteller recht schnell auf mutierte Virustypen angepasst werden. "Für die Entwicklung müssen wir mit circa sechs bis acht Wochen rechnen", erklärte Renée Gallo-Daniel.

      Muss ein Impfstoff adaptiert werden, handle es sich um einen neuen Impfstoff, der wieder zugelassen werden müsse, erläuterte Gallo-Daniel. Die EU hatte bereits vor Wochen angekündigt, sich auf diese Fälle einstellen zu wollen, um schnell handeln zu können. "Nach der Zulassung muss dann die Produktion umgerüstet werden", sagte Gallo-Daniel. Das könne ebenfalls einige Wochen dauern.

      Was sind Escape-Mutationen?

      "Sogenannte Escape-Varianten entwickeln sich dort, wo viele Menschen schon geimpft sind", erklärt die Physikerin und Modelliererin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Es handle sich um Viren, denen es gelinge, den Immunschutz der Impfung zu umgehen.

      "Diese Varianten kommen nur dann hoch, wenn wir in der Bevölkerung schon eine Immunität haben. Sie haben dann einen Selektionsvorteil", erklärt Virologe Christian Drosten. Zwar werden hohe Infektionszahlen während einer Impfkampagne kritisch gesehen, eine sich ausbreitende Escape-Mutation bedeutet Virologe Drosten zufolge aber nicht zwangsläufig, dass Menschen wieder schwer krank würden. Es gebe dann womöglich eine neue dominierende Variante, diese führe in einer grundimmunisierten Gesellschaft aber nur noch zu harmlosen Erkältungen.

      Weil es große Ähnlichkeiten zwischen den Fluchtvarianten B.1.351 und P.1 gibt, die an sehr unterschiedlichen Enden der Welt entstanden sind, halten es Forscher auch für möglich, dass Sars-CoV-2 auf eine sich verbreitende Immunität immer ähnlich reagiere. Vielleicht sei die Zahl der Escape-Varianten begrenzt, erklärte Christian Drosten in seinem Podcast. Das wiederum wäre eine gute Nachricht, weil dann Impfstoffe besser angepasst werden könnten.

      Neben dem in China erstmals festgestellten Urtyp des Corona-Virus gibt es mittlerweile viele neue Varianten.
      Neben dem in China erstmals festgestellten Urtyp des Corona-Virus gibt es mittlerweile viele neue Varianten. © iStock | istock

      Was wird in Deutschland gemacht, um die Mutationen zu beobachten?

      Eine neue Plattform, die gemeinsam von RKI, dem Hasso-Plattner-Institut (HPI) für Digital Engineering und der Medizinischen Hochschule Hannover entwickelt worden ist, ermöglicht eine bundesweite Beobachtung der Mutationen. Sie heißt Covradar: Eine interaktive Deutschlandkarte zeigt an, in welchen Regionen oder Städten diese zirkulieren.

      Die entsprechenden Daten stammen von jenen Laboren, die eine Genomsequenzierung positiver Sars-CoV-2-Proben durchführen. Per Filter lässt sich dabei anzeigen, wie die Mutationen des Spike-Proteins, auf das die meisten Impfstoffe abzielen, in den Standortregionen der Labore nachgewiesen wurden. Über einen beweglichen Zeitstrahl lässt sich die Zu- oder Abnahme beobachten.

      Covradar-Leiter Professor Bernhard Renard erklärt: "Unser Ziel ist es, Sequenzinformationen leichter und nutzerfreundlicher zugänglich zu machen, insbesondere für Virologen und Epidemiologen sowie den Krisenstab des RKI, damit wir notfalls sehr schnell auf Mutationen reagieren können." (kai/day/dpa)