Cupertino. Bei der Präsentation der Apple Watch wurde die Computeruhr von manchen Beobachtern noch als Gimmick für Nerds belächelt. Sechs Jahre später hat sie mit ihren Fitness- und Gesundheitsfunktionen eine große Nutzer-Basis gewonnen. Die Konkurrenz tut sich bisher schwer.

Apple ist der wertvollste Technologie-Konzern der Welt, obwohl er mit seinen wichtigsten Produkten nie eine marktbeherrschende Stellung erreicht hat. Selbst das iPhone kommt im Weihnachtsgeschäft weltweit nicht groß über einen Marktanteil von 20 Prozent hinaus - um dann für den Rest des Jahres wieder auf Werte um 15 Prozent zurückzufallen. Samsung und Huawei verkaufen in der Regel jeweils mehr Smartphones als Apple. Und alle Hersteller von Android-Geräten zusammengerechnet, lassen die iOS-Plattform von Apple zahlenmäßig weit hinter sich.

Bei den Smartwatches sieht die Lage anders aus. Zwar verlief der Verkaufsstart der ersten Apple Watch im April 2015 nicht unbedingt so, wie der iPhone-Konzern sich das vorgestellt hatte. Der damalige Apple-Chefdesigner Jony Ive hatte noch davon geträumt, in das Segment der Luxusuhren vorzustoßen. Die aberwitzig teure, goldene Apple Watch Edition, die zwischen 11 000 und 18 000 Euro kostete, erwies sich aber als Ladenhüter. Die technisch identischen Versionen mit einem Aluminuium- oder Edelstahl-Gehäuse waren hingegen weit billiger zu haben und lockten ein Millionen-Publikum.

Apple stand damals - wie so oft - nicht in der ersten Reihe, um die neue Produktsparte ins Leben zu rufen. Doch auch keinem der Wettbewerber war es bis zu diesem Zeitpunkt gelungen, eine Computeruhr im Massenmarkt zu etablieren. Manche Sportler trugen spezialisierte Smartwatches von Polar oder Fitness-Armbänder von Fitbit am Handgelenk. Und Google versuchte etwas halbherzig, mit Partnern wie Fossil oder dem Schweizer Luxusuhren-Hersteller Tag Heuer eine Variante des Betriebssystems Android, die inzwischen WearOS heißt, auf die Uhr zu bringen. Zum Durchbruch reichte es nicht.

Im Wettlauf um die Vorherrschaft im Smartwatch-Markt kam Apple der Umstand zugute, dass viele Käufer ein iPhone oder andere Geräte von Apple besitzen. Sie lassen sich untereinander einfacher verknüpfen als Geräte von unterschiedlichen Herstellern aus dem Android-Lager. Dieser Vorteil schlug sich auch in der Apple-Bilanz nieder.

Die Absatzzahlen der Apple Watch kommuniziert der Konzern zwar nicht, auch der Umsatz in Dollar wird in einer größeren Sparte versteckt. Es gibt aber zuverlässige Schätzungen: Der als treffsicher geltende Analyst Neil Cybart von AboveAvalon hat im Vorfeld des anstehenden Apple Events berechnet, dass inzwischen 103,2 Millionen Geräte verkauft wurden. Im Weihnachtsquartal 2018 wurde demnach erstmals die Schwelle von zehn Millionen Stück überschritten, ein Jahr später lagen 13,8 Millionen Apple Watches unter dem Weihnachtsbaum. Und mit der neuen, preiswerteren Apple Watch SE dürfte diese Zahl in diesem Jahr nochmals überboten werden.

Der Boom der Apple Watch hat auch damit zu tun, dass der Konzern sich auf bestimmte Themen fokussierte, die bei den Anwendern besonders viel Anklang fanden: Benachrichtigungen, Navigation und Fitness/Gesundheit. So verpasst man nicht mehr eine wichtige Nachricht eines bestimmten Absenders oder die nächste Abfahrt auf der Autobahn, die man gleich nehmen muss. Seit der dritten Generation kann die Uhr dank LTE-Funk auch ohne iPhone ins Internet und Telefonate entgegennehmen, ohne dass der Akku sofort leergesaugt ist.

Als Clou erwies sich aber vor allem die Entscheidung von Konzernchef Tim Cook, das Fitness- und Gesundheitsangebot der Computeruhr in den Vordergrund zu stellen und auszubauen. Cook, der regelmäßig morgens um fünf Uhr im heimischen Fitnesstudio steht, sorgte nicht nur dafür, dass die Apple Watch Bewegungen und sportliche Aktivitäten des Besitzers erfasst. Seit der vierten Auflage (2018) kann die Apple Watch auch Herzrhythmusstörungen erkennen, ein einfaches EKG aufzeichnen und Stürze registrieren. Das Modell aus dem Herbst 2019 erhielt einen Bildschirm, der ständig leuchtet, statt nur beim Heben des Handgelenks. Parallel senkte Apple den Preis älterer Modelle.

Mit der Apple Watch Series 6 verstärkt Apple diesen Trend. Die neue Uhr kann nun auch nun auch den Sauerstoff-Gehalt des Bluts ermitteln, wie Apple in einer Online-Präsentation am Dienstag ankündigte. Der Wert gilt als ein wichtiger Indikator für die Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems. Apple ermittelt ihn mit Hilfe eines neuen Sensors, der rotes und infrarotes Licht nutzt und die Farbe des Blutes erkennt. Zugleich stellte Apple einen neuen Fitness-Streamingdienst vor, bei dem Live-Daten aus der Apple Watch wie der aktuelle Puls in das Fernsehbild eingeblendet werden.

Nach Berechnungen des Marktforschungsinstituts Strategy Analytics dominiert Apple mit einem Marktanteil von 55,5 Prozent (Absatz) die gesamte Branche, gefolgt von Samsung (13,9 Prozent) und Garmin (8,0 Prozent). In den Top-3 taucht der Smartwatch-Pionier Fitbit gar nicht mehr auf, der für rund zwei Milliarden Dollar von Google übernommen werden soll - wenn die Wettbewerbshüter grünes Licht geben. Der Milliardendeal zeigt aber auch, dass Google das Segment noch nicht aufgegeben hat. Samsung setzt im Wettlauf mit Apple allerdings nicht auf das Google-System Android Wear, sondern auf die eigene Software Tizen. Dass der chinesische Technologie-Riese Huawei bei seinen Smartwatches auch auf ein eigenes System setzt, zeigt, dass Google bei seiner Aufholjagd mit WearOS gegenüber Apple aktuell nicht auf viel Unterstützung außerhalb des Geschäfts mit sogenannten Fashion-Uhren von Anbietern wie Fossil zählen kann.

Immerhin setzen die Wettbewerber inzwischen auch bei den Funktionen Akzente, die man bei Apple bislang vergeblich sucht. So glänzt die Huawei Watch GT 2 Pro mit einer Batterie-Laufzeit von rund zehn Tagen, während auch die neue Apple Watch nach gut einem Tag wieder aufgeladen werden muss. Da die Huawei-Uhr aber etliche Funktionen vermissen lässt, steht eine Ablösung des Marktführers nicht unmittelbar bevor.

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