Berlin. Lange nach einer Windpockenerkrankung können die Viren wieder erwachen und eine Gürtelrose verursachen. Experten raten zu einer Impfung.

Weiße Creme auf juckenden Bläschen. Mahnende Eltern: Bloß nicht kratzen! Später dann runde Erinnerungsnarben, weil man eben doch gekratzt hat. Die Windpocken sind bei den meisten Menschen, die vor Einführung der Impfempfehlung im Jahr 2004 geboren wurden, fester Teil der Kindheitserinnerungen.

Dass das Varicella-Zoster-Virus (VZV), das die Windpocken auslöst, nie wieder aus den Nervenzellen verschwindet, sich nur schlafen legt, davon ahnen viele nichts. Jahrzehnte später dann meldet es sich wieder – als Herpes zoster, bekannt unter dem Namen Gürtelrose. Seit dem Frühjahr 2019 können sich ältere Menschen auf Kosten der Krankenkassen dagegen impfen lassen.

Experten raten zur Impfung gegen Gürtelrose

Experten raten auch ausdrücklich dazu, denn die Gürtelrose ist zwar für die meisten Menschen mit einem intakten Immunsystem nicht unmittelbar gefährlich – doch sie kann die Lebensqualität für lange Zeit extrem einschränken.

In Deutschland erkranken jedes Jahr rund 400.000 Menschen an einer Gürtelrose, Tendenz steigend. Das kann mit einer alternden Bevölkerung zu tun haben. Aber: „Wir beobachten auch einen weltweiten Anstieg“, sagt Professor Bernd Salzberger vom Uniklinikum Regensburg, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI).

Es besteht also noch Forschungsbedarf – und nicht nur in der Frage steigender Fallzahlen. Denn warum das Virus nach Jahrzehnten der Ruhe wieder aufwacht und warum es so starke Schmerzen auslösen kann, die lange Zeit anhalten, ist nicht abschließend geklärt.

Die Wachsamkeit des Immunsystems lässt nach

Was Forscher aber wissen: Das Varicella-Zoster-Virus ist eines von neun humanen Herpesviren, die sich im menschlichen Körper sehr wohl fühlen. Es kann zwei Krankheiten auslösen: Windpocken und Gürtelrose. Letztere aber nur, wenn der Mensch zuvor an Windpocken erkrankt war.

Zwar bildet der Körper nach einer Windpockenerkrankung entsprechende Antikörper, ist also künftig vor einer Neuinfektion geschützt. Doch er eliminiert das Virus nicht und gewöhnt sich dann auch irgendwie an die ewigen Gäste in seinen Nervenzellen, die sich sehr lange Zeit ganz unauffällig verhalten.

„Die Wachsamkeit des Immunsystems gegenüber dem Virus lässt jedoch im höheren Alter nach“, sagt Salzberger. Dann kann das Immunsystem die Varicella-Zoster-Viren nicht mehr in Schach halten, die Viren erwachen, vermehren sich und machen krank.

Nur durch Schmierinfektion übertragbar

Anders als bei den sehr ansteckenden Windpocken, bei denen das Virus über die Luft – Husten, Niesen, Atmen – übertragen wird, ist die Gürtelrose nur durch eine Schmierinfektion übertragbar. Nur die mit Flüssigkeit gefüllten Bläschen enthalten die Viren. Wer weder geimpft ist noch irgendwann in seinem Leben die Windpocken hatte, kann sich infizieren. Der beste Schutz ist also die Abdeckung der Bläschen.

Doch noch bevor sich die für die Gürtelrose typischen Bläschen bilden, beginnt die Erkrankung oft mit einem Kribbeln und Jucken, auch mit Schmerzen im Rücken. „Aber Rückenschmerzen haben viele Menschen“, sagt Salzberger. Sie vermuteten dann oft zunächst einmal keine Gürtelrose.

Dabei ist eine frühzeitige Behandlung wichtig. „Je früher antivirale Medikamente gegeben werden, desto besser kann die Schwere des Verlaufs der Gürtelrose und ihre Ausbreitung gemildert werden“, sagt Professorin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung und der Technischen Universität in Braunschweig.

„Schmerzen, über die man fast verrückt werden kann“

Diese Ausbreitung geschieht entlang der betroffenen Nervenzellen, oft einseitig an Rumpf oder Kopf. Mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen bilden sich, die jucken und brennen, aber auch mit sehr starken Nervenschmerzen verbunden sein können. „Das sind extrem unangenehme Schmerzen, über die man fast verrückt werden kann“, sagt Brinkmann, die an Herpesviren forscht und selbst bereits eine Gürtelrose hinter sich hat.

In einigen Fällen verschwinden zwar die Bläschen, aber die Schmerzen bleiben und können sogar chronisch werden. Diese sogenannte Post-Zoster-Neuralgie trifft je nach Schweregrad der Gürtelrose jeden zehnten bis hundertsten Patienten.

„Die von der Infektion geschädigten Nerven und ihre Umgebung können dann über lange Zeit, manchmal Jahre, entzündet sein und falsche Signale senden“, sagt Brinkmann. Da helfe dann meist nur eine Schmerztherapie. „Die Lebensqualität dieser Menschen ist stark eingeschränkt.“

Impfung verhindert in über 90 Prozent eine Gürtelrose

Auch deswegen sei eine Impfung für ältere Menschen nur zu empfehlen, sind sich die Experten einig. Denn sie verhindert nicht nur in über 90 Prozent der Fälle eine Gürtelrose, sondern im Falle einer Erkrankung bei über 80 Prozent der Betroffenen die Post-Zoster-Neuralgie.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) mit Sitz am Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt die Zosterimpfung mit dem Impfstoff Shingrix seit Ende 2018. Seit Frühjahr 2019 ist sie Kassenleistung für Menschen ab 60 Jahren und Menschen ab 50 Jahren, wenn ihr Immunsystem geschwächt ist oder sie eine schwere Grunderkrankung haben.

Shingrix ist ein sogenannter Totimpfstoff. Er enthält also nur winzige Bestandteile des Virus und hat eine höhere Wirksamkeit als der bereits 2013 zugelassene Lebendimpfstoff Zostavax, der von der Stiko entsprechend nicht als Standardimpfung empfohlen wird.

Derzeit Lieferengpass für den Impfstoff

Geimpft wird in zwei Durchgängen – und angenehm sei die Immunisierung nicht, sagt Brinkmann. „Sie kann bei vielen eine relativ starke Immunantwort hervorrufen.“ Konkret kann das laut Stiko bedeuten: Schmerzen an der Einstichstelle, aber auch Fieber, Müdigkeit, Kopfschmerzen.

„Aber im Vergleich zu einer Gürtelrose ist das nichts“, sagt Brinkmann. „Es ist wichtig, dass der Arzt seinen Patienten offen von diesen Nebenwirkungen erzählt und ihnen sagt, wie wichtig es dennoch ist, dass sie die zweite Spritze nicht versäumen – nur dann sind sie geschützt.“

Erhöht die Gürtelrose Wahrscheinlichkeit für Herzinfarkt?

Vor mehreren Jahren haben südkoreanische Forscher in einer Studie herausgefunden, dass eine Gürtelrose möglicherweise die Wahrscheinlichkeit erhöht, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden.

Auch früher schon waren Wissenschaftler zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Als Ursache vermuten sie die starke Entzündungsreaktion, die mit Herpes zoster einhergeht. Aber auch das ist eine Vermutung. Der Forschungsbedarf bleibt groß.

Dieser Artikel erschien zuerst am 18.10.2019