Berlin. Sebastian Schütz arbeitet bei einer Petitionsplattform. Wie der 32-Jährige Kunden hilft, Unterstützer für ihre Projekte zu finden.

Den Begriff Arbeitsalltag hat Sebastian Schütz seit mindestens vier Jahren nicht mehr gehört. Seitdem der 32-Jährige als sogenannter Campaigner bei der Petitionsplattform change.org arbeitet, hatte er noch nie eine ruhige oder gar eintönige Woche. Schütz leitet das kleine Kampagnenteam des Vereins, der in Berlin zwölf Mitarbeiter hat.

„Die meiste Zeit verbringe ich damit, Menschen dabei zu unterstützen, ihr Anliegen voranzutreiben. Egal, ob lokal in ihrer Gemeinde oder auf Bundesebene“, erklärt der gebürtige Siegerländer.

In kurzer Zeit Unterstützer finden

Wenn Menschen ein Anliegen haben oder auf einen Missstand aufmerksam machen möchten, können sie über change.org in kurzer Zeit Petitionen ins Leben rufen, um Unterstützer zu finden.

Ist die Petition online, kommt Schütz ins Spiel: „Dann versuche ich, relevante Politiker oder Medien für dieses Thema zu erreichen.“ Denn eine Petition allein schaffe noch keinen Wandel. „Die Unterschrift ist der Einstieg ins Engagement, die Petition nur der Anfang einer Kampagne.“

Auch Schüler und Senioren nutzen die Plattform

Sebastian Schütz und sein Team können nicht jedem Nutzer die Arbeit abnehmen, dafür gibt es zu viele Petitionen. Change.org hilft da, wo es nötig ist: „Manche Initiatoren sprühen nur so vor Ideen, wie man ihr Anliegen verbreiten könnte“, erzählt der Campaigner.

„Andere brauchen da mehr Unterstützung.“ Auch Schüler und „die ältere Omi“ würden auf change.org Kampa­gnen starten „und haben ganz unterschiedliche Fragen“.

Jeder Mitarbeiter betreut ungefähr zehn Projekte pro Woche. Mal fährt derjenige in den Wedding, wenn es um den Erhalt eines Cafés geht, eine Woche später nach Brüssel, um dafür zu streiten, dass Supermärkte in der EU keine abgelaufenen Lebensmittel wegwerfen.

Tipps, um den richtigen Adressaten zu finden

Der erste Schritt bei jeder Petition sei, den geeigneten Adressaten für die Kampagne zu finden. „Viele Menschen schreiben am Anfang Angela Merkel als Adressatin und Entscheidungsträgerin auf“, erzählt Schütz. „Dann schlagen wir vor, vier oder fünf Stufen weiter unten zu schauen.“

In so einem Fall überlege sein Team zum Beispiel, welche Sprecher oder Ausschussmitglieder relevant sein könnten. Vor allem sei es wichtig, Personen statt Institutionen zu adressieren. Wer Institutionen als Ganzes anspricht, läuft Gefahr, dass sein Anliegen ins Leere läuft, weil sich keiner gemeint fühlt.

Ereignisse beeinflussen die Kampagnen

Manchmal muss es schnell gehen: wenn eine Antwort vom Petitionsausschuss kommt oder ein tagesaktuelles Ereignis den Erfolg der Kampagne beeinflussen kann. „Ich erinnere mich noch, wie das bei der Free-Deniz-Kampagne war“, erzählt Sebastian Schütz. Dabei ging es um die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel, der in der Türkei inhaftiert war.

„Die Kampagne wurde um 23.30 Uhr online gestellt, und dann brannte bei uns die Hütte. Wenn man eine Kampagne startet und am nächsten Tag die Tagesschau über die Petition berichtet, ist das aber auch wahnsinnig motivierend“, schwärmt er.

Bei change.org zu arbeiten sei wie ein wahr gewordener Traum. Den 32-Jährigen beeindruckt besonders, dass es oft „ganz normale Leute“ sind, die Kampagnen ins Leben rufen, gar nicht unbedingt große Organisationen oder Bündnisse.

Traum wahrgeworden

Schon als Student hatte sich Sebastian Schütz um ein Praktikum bei change.org beworben. „Nach vier Tagen bekam ich eine Nachricht. Wir haben einen Vorstellungstermin ausgemacht, und eine Woche später saß ich mit dem Team im Büro.“ Er könne „drei Tage am Stück“ über die Projekte berichten, die er allein in seiner Praktikumszeit mitbetreut hat.

Die damals in Berlin bekannteste Kampagne setzte sich für den Erhalt der East-Side-Gallery ein, die teilweise Luxus-Apartments hätte weichen sollen. „Am Ende kam David Hasselhoff, um die Petition zu unterzeichnen“, berichtet Schütz amüsiert.

Kommunikation an der UdK studiert

Nach seinem Bachelor­abschluss in Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste (UdK) Berlin gründete Schütz mit Kommilitonen einen Verein, der Profis aus der Kreativbranche mit sozialen Einrichtungen vernetzte.

Parallel arbeitete er bei einer Kommunikationsagentur, die er aber verließ, als er 2014 den ersehnten Anruf von change.org bekam: „Ich wurde direkt gefragt, ob ich dort als Campaigner arbeiten wollte“, erzählt er. „Die spontane Praktikumsbewerbung von damals hatte sich ausgezahlt, weil sich das Team an mich erinnert hat.“

Prominente gewonnen, Abschiebung verhindert

Optimistisch sein, das sei wichtig, wenn man bei change.org arbeitet, findet Schütz. Und erzählt von der drohenden Abschiebung einer albanischen Familie: Die Lage schien hoffnungslos, da Albanien als sicheres Herkunftsland gilt.

Doch als eine Mitschülerin der Tochter eine Petition ins Leben rief, Prominente wie Schauspieler Til Schweiger und Journalistin Dunja Hayali für ihre Sache gewann und die Lokalpresse über den Fall berichtete, wurde der Familie tatsächlich der Aufenthalt in Deutschland gewährt.

„Die Opfer bekamen ein Gesicht, die Debatte wurde menschlicher und hat etwas in den Menschen bewegt.“

Engagement lohnt sich immer

Der 32-Jährige berichtet gern von solchen Geschichten. Besonders, wenn er den Vorwurf hört, dass die Petitionen bei change.org nichts bringen würden: „Natürlich ist der Bundestag kein Selbstbedienungs-Restaurant“, sagt er. „Keiner kann eine Kampagne starten und morgen ein neues Gesetz erwarten.“

Doch: „Wenn man daran glaubt, eine grobe Ungerechtigkeit verändern zu können, dann sollte man nichts unversucht lassen. Engagement lohnt sich immer.“