Tábor. Etwa 2000 Burgen, Schlösser und Ruinen gibt es in Tschechien. Im Winter ist die Reise von Prag nach Südböhmen geradezu märchenhaft.

Am Ende wird dann doch noch alles gut. Statt der garstigen Stiefschwester bekommt das Aschenbrödel den Prinzen. Und da wir ja im Märchen sind, spielen auch die Temperaturen keine Rolle, wenn die Glückliche schließlich im hauchzarten Brautkleid auf ihrem Schimmel Nikolaus durch die dick verschneite Landschaft galoppiert – Seite an Seite mit dem Mann ihrer Träume.

Spätestens in dem Augenblick, da die beiden Reiter hinter dem Horizont verschwinden und der Abspann über den Bildschirm flimmert, ist das Maximum an Romantik erreicht und ein Seufzen dürfte manches Wohnzimmer füllen. So wie immer kurz vor Jahresende, wenn der Weihnachtsklassiker „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ im Programm gleich mehrerer Fernsehsender auftaucht und seinem Publikum die Seele wärmt.

Tschechien ist bekannt für seine Märchenfilme

Über vier Jahrzehnte sind vergangen, seit der Kultfilm als gemeinsame Produktion von DDR und Tschechoslowakei Premiere feierte – gedreht unter anderem in den Kulissen des Potsdamer Filmstudios Babelsberg, während in den Filmstudios Barrandov in Prag, die zu den größten und ältesten Europas zählen, die Kostüme geschneidert wurden.

Szene aus dem Film „Drei Nüsse für Aschenbrödel“.
Szene aus dem Film „Drei Nüsse für Aschenbrödel“. © picture alliance / dpa | DB WDR/Degeto

Sowohl Aschenbrödels rosa Ballrobe als auch ihr perlenverziertes, weiß-silbernes Hochzeitskleid können in der legendären Produktionsstätte an der Moldau in einem Filmmuseum bewundert werden. Wie auch viele andere zauberhafte Kostüme, denn unser Nachbarland war und ist bekannt für seine Märchenfilme.

Auch heute noch bringt die dortige Filmindustrie jedes Jahr ein neues Märchen ins Fernsehen. Und zwar genau zum Heiligabend, dem Tag, an dem das Christkind, das Náš Ježíšek, mit den Geschenken kommt.

Südböhmen im Winter – märchenhaft

Wie passend, dass Tschechien da mit rund 2000 Burgen und Schlössern, Ruinen inklu­sive, für jede Gelegenheit den richtigen Drehort bietet. Besonders Südböhmen – wo die einflussreichen Adelsgeschlechter der Eggenbergs, Rosenbergs und Schwarzenbergs in einer Landschaft aus flachen Marschen, gewaltigen Hügeln und rauem Gebirge, aus duftenden Nadelwäldern und glitzernden Teichflächen ein sehenswertes architektonisches Erbe hinterließen – tut sich dabei entsprechend hervor und verzaubert seine Besucher.

Zumal im Winter, wenn der Tourismus vielerorts auf Sparflamme kocht und sich die Region im Grenzgebiet zu Deutschland und Österreich mit ihren schönen Städtchen und Dörfern ganz und gar märchenhaft zeigt.

Nach Tábor flohen die Anhänger Jan Hus’

Einer dieser Orte ist Tábor, dessen außergewöhnliche Geschichte in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Als Anhänger des Kirchenreformators Jan Hus, der wenige Jahre zuvor als Ketzer auf dem Scheiterhaufen brannte, hatte sich eine radikal-religiöse Gruppe nach dem Prager Fenstersturz von 1419 auf einen Berg um die Burg Kotnov geflüchtet, wo sich ihr Lager schnell zu einer richtigen Stadt auswuchs.

Wie damals endet deren Gespinst verwinkelter Gassen an einem großen Platz in der Orts­mitte, „auf dem sich einmal die Hussiten sammelten, bevor sie in die Schlacht zogen“, so Guide Jan Sochor. Der Heerführer dieser aus Bauern, Handwerkern sowie niederen Adligen bestehenden und für eine gerechte Gesellschaft kämpfenden Gottesstreiter hieß Jan Žižka und steht heute unübersehbar auf Tábors verschlafenem Hauptplatz.

In Sandstein gemeißelt und hoch auf einem Sockel, in nachbarschaftlicher Eintracht mit der spätgotischen, in späteren Epochen aufgepeppten Dekanatskirche und dem prachtvollen Rathaus.

Třeboň, ein Mosaik aus Wäldern, Mooren und Teichen

Auch der Marktplatz im knapp 60 Kilo­meter entfernten Třeboň (auf Deutsch: Wittingau) ist fein herausgeputzt: Im Zentrum einer malerischen Altstadt füllt holpriges Pflaster zwischen dem bunten Nebeneinander historischer Giebelhäuser ein langgezogenes Viereck, an dessen südwestlicher Ecke sich hinter einem Tor das Renaissanceschloss der Familie Rosenberg versteckt – komplettiert durch barocke Anbauten derer von Schwarzenberg, die 1660, rund 50 Jahre nach dem Tod des letzten Rosenbergs, in den Besitz von Schloss und Stadt gekommen waren.

Třeboň, das sich in ein verträumtes Mosaik aus Wäldern, Mooren und Hunderten Teichen bettet, in denen fette Karpfen als weihnachtliche Leibspeise der Tschechen schwimmen, öffnet das Zuhause seiner blaublütigen Herrschaft von einst für die Öffentlichkeit.

Einblick in die Welt des Adels

Speisesaal, Frauenzimmer oder Kunstkammer lassen hier Besucher einen Blick in die Welt des Adels werfen. Was auch 30 Kilometer weiter Richtung Westen im Schloss Frauenberg möglich ist, das als eines der schönsten Schlösser Tschechiens gilt .

Hluboká nad Vltavou, so sein für westeuropäische Zungen kaum zu bewältigender Name, thront hoch auf einem Felsen – mit Türmen, zinnenbekrönten Mauern, zahllosen Fenstern und wie ein Juwel umrahmt vom gepflegten Grün eines Landschaftsparks. Nur zu gern würde man das Aschenbrödel und seinen Prinzen in diesem Märchenschloss über der Moldau sehen.

Gang durch Hluboká nad Vltavou – ein Sinnenrausch

Aber wie auch anderswo waren es hier mal wieder die Schwarzenbergs, die sich in die Besitzerliste von Frauenberg einreihten. Und es war auch einer von ihnen, nämlich ­Johann Adolf II., der auf einer Reise nach England seine Liebe für die Tudorgotik entdeckte und dem Schloss im 19. Jahrhundert das entsprechende Design verpasste.

Einen Gang durch einen Teil der 142 Räume erleben Besucher wie einen Sinnenrausch. Prunk, wohin man schaut. Da unterstreichen Gobelins, Gemälde und Möbel mit kunstvollen Intarsienarbeiten die sinnliche Üppigkeit eines Schlafzimmers mit integrierter Privatkapelle, dort setzt eine Phalanx an Kronleuchtern die opulenten Holzschnitzereien des Morgensalons ins rechte Licht, während Regale, verziert mit Säulen aus glänzendem Holz und mit goldenen Kapitellen, Platz für die beeindruckenden 12.000 Bücher der Bibliothek bieten.

Bevor Johann Adolf II. seine Zelte in Frauenberg aufschlug, residierte die Familie in Krumau, dem heutigen Český Krumlov und eigentlichen Höhepunkt unserer Reise durch Südböhmen. Immerhin hat die Unesco die mittelalterliche Stadt, die ihre Häuser ausgesprochen pittoresk auf den Anhöhen zwischen den eng geschnürten Flussschleifen der Moldau verteilt, nicht ohne Grund auf die Weltkulturerbeliste gesetzt.

Oben auf dem Fels sitzt ein Schlosskomplex

Ein guter Blick bietet sich von der Aussichtsterrasse neben dem Regionalmuseum: auf das Ge­dränge roter, brauner, grauer Dächer, die das ständige Auf und Ab schmaler Gassen und die herrlichen Fassaden jahrhundertealter Bürgerhäuser unter sich verbergen; auf einen winzigen Ausschnitt des Flusses, dessen Kapriolen im Sommer die Kanufahrer verblüffen; auf den riesigen Burg- und Schlosskomplex, der von Gotik bis Klassizismus alle Stilmerkmale seiner über 700-jährigen Bauzeit aufweist und der alles beherrschend oben auf dem vernarbten Stein seines Felsens sitzt. Gemacht für die Ewigkeit.

Um Český Krumlovs Attraktionen aus der Nähe zu sehen, folgt man der Straße namens Horní vom Regionalmuseum und vorbei an der St. Veitskirche zur ersten Etappenstation: dem Platz der Eintracht (náměstí Svornosti). Man bewundert das vielfach über Laubengänge verbundene Häuserensemble aus Gotik wie Renaissance darum herum.

Und staunt nicht schlecht über die große Schar von Touristen aus Fernost, die Böhmisch Krumau sogar in der unwirtlichsten aller Jahreszeiten zu einem vielbesuchten Reiseziel machen und für ein Foto vor der Bilderbuchkulisse posieren.

Malerisch und festlich geschmückt ist die Stadt Tábor.
Malerisch und festlich geschmückt ist die Stadt Tábor. © Getty Images/Robert Harding World Imagery | Richard Nebesky / robertharding

Ausgetretene Stufen führen bis unters eisigkalte Dach

Hinter dem Rathaus legt die Radniční-Gasse dann noch ein paar letzte holprige Meter zurück bis zur hölzernen Baderbrücke, die die Altstadtinsel mit dem Latrán-Viertel verbindet. Am anderen Ufer der Moldau verliert so mancher Besucher keine Zeit und nimmt auch gleich die steile Abkürzung über einen Treppenweg zum Burgbezirk.

Wir aber bleiben lieber auf der schönen Straße, die wie das Viertel Latrán heißt und sich ganz kommod in die Höhe windet. Und noch bevor wir schließlich Schloss und Kloster erreichen, öffnen wir erst einmal die Tür der Kirche St. Jost, in der ein Marionettenmuseum sein Zuhause gefunden hat.

Ausgetretene Stufen führen da bis unters eisigkalte Dach, wo Könige, Prinzessinnen, Räuber, Hexen, Teufel und weitere Geschöpfe talentierter Puppenmacher an ihren Schnüren im Gebälk baumeln. Stumm und regungslos.

23 denkmalgeschützte Höfe im „Bauernbarock“

„Manche sind schon 100 Jahre alt und bis zu zehn Kilo schwer“, sagt Museumsleiterin Renata Štindlová. Und alle hatten Bühnenerfahrung, bevor sie von Prag und anderswo kommend in der schaurigen Atmosphäre des Dachbodens Einzug hielten.

So betriebsam Český Krumlov mit all seinen Sehenswürdigkeiten ist, so ländlich-still ist ein anderer Unesco-Welterbe-Ort ganz in der Nähe: Holašovice, das aus nicht viel mehr als zwei Straßen um einen Dorfanger besteht. Im Stil des sogenannten Bauernbarocks ­stehen da 23 denkmalgeschützte Höfe mit ­gewölbten Einfahrten, Scheunen, Ställen, Brunnen, die die meist auffallend dekorierten Fronten ihrer Wohnhäuser dem 210 Meter langen Grün des Platzes zuwenden.

Wirklich viel zu tun gibt es für die Touristen hier nicht. Man schaut, falls es geöffnet hat, in das kleine Bauernmuseum und in eines der zwei Restaurants – in der Hoffnung auf eine ordentliche Portion Braten mit Klößen oder eine ähnlich handfeste Mahlzeit. Und dreht zur Verdauung und zum Giebelgucken einfach noch eine Runde um den Anger.

Tipps & Informationen

Eurowings und CSA bieten Flüge ab Hamburg nonstop nach Prag. Mit dem ICE dauert es sechseinhalb Stunden.

Eine Möglichkeit zum Übernachten ist das LH Hotel Dvorák in einer ehemaligen Táborer Brauerei, DZ/F ab 79 Euro. www.lhdvoraktabor.cz – oder das Hotel Budweis: 4-Sterne-Haus mit Restaurant in zentraler aber ruhiger Lage in Budweis, DZ/F ab 100 Euro, www.hotelbudweis.cz

Viele Sehenswürdigkeiten haben im Winter nur eingeschränkte Öffnungszeiten. Schloss Trebon (www. zamek-trebon.cz) und das Krumlover Marionettenmuseum (marionettemuseum.cz) öffnen nach Absprache, das Barrandov-Museum am Wochenende (www.barrandov.cz/en/public/barrandov-for-public).

Mehr Auskunft auf www.czechtourism. com/de sowie www.jiznicechy.cz/de

(Die Reise wurde unterstützt von der Tschechischen Zentrale für Tourismus und der Region Südböhmen.)