Berlin. Viele Kinderprodukte unterscheiden sich von denen für Erwachsene. Laut Stiftung Warentest sind sie aber nicht besser – im Gegenteil.

Formaldehyd, Naphtalin, Benzoperylen – was klingt wie die Bestandteile eines Chemiebaukastens sind nur drei von zahlreichen potenziell gesundheitsschädlichen Stoffen, die von der Stiftung Warentest in Kinderprodukten nachgewiesen wurden.

Kinderprodukte schneiden schlechter ab als andere

Allein in diesem und dem vergangenen Jahr stellten die Prüfer in 15 Untersuchungen 79 schwerwiegende Sicherheitsprobleme bei Spielzeug, Schulmaterialien, Babymatratzen oder Kindersitzen fest.

Das berichtete Stiftungs-Vorstand Hubertus Primus bei der Vorstellung einer Analyse aller Tests aus 2017 und 2018, bei denen vor allem Produkte für Babys und Kleinkinder untersucht wurden.

„Über alle Tests der Stiftung gerechnet, liegt der Durchschnitt der mangelhaften Produkte bei rund sieben Prozent“, so Primus. Bei Kinderprodukten seien es hingegen 28 Prozent. „Kinderprodukte schneiden also in puncto Sicherheit deutlich schlechter ab als alle anderen Konsumgüter. Sie bergen Unfallgefahren, sind schadstoffbelastet oder versagen bei der Datensicherheit.“

Auf die Gründe, warum es ausgerechnet bei Produkten für Kinder so häufig zu Sicherheitsmängeln kommt, gingen die Verbraucherschützer nicht ein.

Verbraucherministerin Barley sieht EU-Gesetzgeber in der Pflicht

„Die Ergebnisse sind erschreckend“, sagte Verbraucherschutzministerin Katarina Barley (SPD), die ebenfalls an der Vorstellung teilnahm, „Es ist die Verbrauchergruppe, die am verletzlichsten ist.“

Damit sich die Situation verbessere, seien mehrere Schritte nötig. Primus sieht vor allem die Hersteller in der Verantwortung. Sie müssten beispielsweise Grenzwerte für Schadstoffe und Chemikalien, die bei Gebrauchsgegenständen und Lebensmitteln für Babys und Kleinkinder besonders streng sind, beachten.

Allein in den vergangenen beiden Jahren hätten die Tester potenziell krebserregende Stoffe in neun verschiedenen Produktkategorien nachgewiesen, darunter Babyspielzeug, Buntstifte und Spielschleim. Primus: „Dabei ist es ohne weiteres möglich, Kinderprodukte herzustellen, die die Kleinen keinem unnötigen Risiko aussetzen, wie viele positive Testergebnisse zeigen.“

Aber auch der europäische Gesetzgeber sei gefordert, erklärte Barley. Zwar seien in der EU-Spielzeugrichtlinie bestimmte Schadstoffgrenzen geregelt, doch das reiche nicht. Denn Produkte, die Kinder oft in der Hand oder auch im Mund haben, wie etwa Laufradgriffe, Bezüge von Buggys und Kindersitzen oder Tinten für Schulfüller, werden von der Richtlinie nicht erfasst. „Alle Produkte, mit denen Kinder in Kontakt kommen, müssen besser geschützt werden“, forderte die Ministerin.

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    Die Stiftung selbst legt bei ihren Tests von Kinderprodukten auch für nicht von der Spielzeugrichtlinie erfasste Gegenstände deren Vorgaben an – und bewertet sie mit „mangelhaft“, wenn sie die Grenzwerte nicht einhalten. Ein Punkt, den einige Hersteller kritisieren, denn tatsächlich verstoßen sie mitunter nicht gegen Gesetze – auch wenn ihre Ware nachweislich mit unerwünschten Stoffen belastet ist.

    Anders als Hersteller von Spielzeug, sind sie auch nicht verpflichtet, ihre Produkte zurückzurufen, wenn diese lediglich die Grenzwerte der Spielzeugrichtlinie überschreiten. Einige tun das trotzdem oder bieten Kunden zumindest einen Umtausch gegen Ware an, bei der die Probleme behoben wurden.

    Weichmacher und Gummis bereiten Probleme

    Vier von zehn Herstellern boten diese Option etwa für ihre stark belasteten Kinderlaufräder, die für die aktuelle Dezember-Ausgabe geprüft wurden. Die Stiftung Warentest strafte elf der 15 Testkandidaten mit der Note „mangelhaft“ ab. In Griffen, Sätteln oder den Gummireifen hatten sie kritische Schadstoff-Mengen entdeckt.

    Darunter besonders häufig sogenannte polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, kurz PAK. Eine Gruppe chemischer Verbindungen, von denen einige Krebs hervorrufen, andere die Fruchtbarkeit schädigen und das Erbgut verändern können. Sie werden über die Haut aufgenommen und können im Körper langfristig Schäden anrichten.

    PAK waren bei insgesamt 29 von 79 der in den vergangenen zwei Jahren in den Tests der Stiftung durchgefallenen Kinderprodukte das Hauptproblem. Sie können etwa durch verunreinigte Weichmacher in Kunststoffe oder Gummi gelangen. Bei einigen Produkten lässt sich so eine Verunreinigung sogar riechen, sie verströmen einen Geruch nach verbranntem Gummi.

    Erstickungsgefahr bei Matratzen aufgedeckt

    Der Geruchstest ist allerdings nur ein Notbehelf für Verbraucher, er verrät weder wie viel noch ob überhaupt PAK enthalten sind. Verbraucherschützer raten jedoch, streng riechende Kunststoffprodukte grundsätzlich nicht zu kaufen. Für Verbraucher nicht zu erkennen sind hingegen Flammschutzmittel. Die Warentester wiesen sie ebenfalls in zahlreichen Kinderartikel nach. Darunter auch der unter Krebsverdacht stehende Stoff TCPP.

    Nicht immer sind es Schadstoffe, die Herstellern eine bessere Bewertung verhageln. Bei einem Test von Kindermatratzen im Oktober dieses Jahres etwa fielen sieben von 14 Kandidaten durch, weil sie unter anderem beim sogenannten Kugeltest versagten. Dieser ist Teil einer standardisierten Prüfung: Eine Schablone mit kreisrunder Öffnung wird auf eine Matratze und in die Öffnung eine babykopfschwere Kugel gelegt.

    Sinkt die Kugel so weit ein, dass sie auf dem Rand der Schablone aufliegt, besteht die Gefahr, dass auch der Kopf eines auf dem Bauch liegenden Kindes in der Matratze verschwindet und das Kind erstickt.

    Auch technische Mängel können bei Produkten für Babys und Kinder gefährliche Risiken bergen. So erhielten im Februar drei von fünf Baby-Webcams die Bewertung „mangelhaft“. Die zugehörigen Apps hatten nicht gewarnt, wenn die Verbindung unterbrochen wurde – bis Nutzern die Fehlfunktion auffällt, ist das Kind unbeaufsichtigt.

    Eine positive Nachricht hatten die Verbraucherschützer aber auch. Zwar gebe es noch immer zu viele unsichere Produkte, erklärte Stiftungsvorstand Hubertus Primus. Bei Spielzeug, Buggys und Kinderwagen laute das Urteil aber mittlerweile etwas seltener „mangelhaft“ als noch vor ein paar Jahren. „Es hat also Verbesserungen gegeben.“