Manchester. Zwei Züge durchqueren die Landschaft der englischen Grafschaft Yorkshire. Auch die Bahnstationen wurden detailverliebt restauriert.

Emily Brontë hatte recht. Es ist stürmisch auf den moosgrünen Hügeln rund um Haworth. Jenes Dorf in den Mooren von Yorkshire, in dem drei der bemerkenswertesten Autorinnen des 19. Jahrhunderts, Charlotte, Emily und Anne Brontë, lebten. Nur ein paar Heidesträucher sprenkeln das kahle, wellige Land mit lila Farbtupfern.

Mitten in dieser Moorlandschaft, ließ sich Emily zu ihrem Roman „Wuthering Heights“ („Sturmhöhe“) inspirieren. Geboren wurden die drei Schwestern zwischen 1816 und 1820 im nahen Thornton. Kurz darauf nahm Vater Patrick eine Pfarrstelle im armen, schmutzigen Weberdorf Haworth an.

Das geräumige Pfarrhaus aus gelbgrauen Ziegeln neben Kirche und Friedhof ist heute das „Brontë Personage Museum“. Möbel, Kleidungsstücke, Manuskripte, Briefe und Zeichnungen der Familie sind hier zu sehen. Am ovalen Esstisch entstanden zunächst Gedichte und später Romane wie „Jane Eyre“, „Sturmhöhe“ und „Agnes Grey“. Vom Esszimmer blickt man in den Garten und zum Friedhof. Begraben sind die Brontës dort nicht, sondern bis auf die jüngste Tochter Anne ruht die Familie in einer Gruft unter der Kirche St. Michael and all Angles.

Im Schreibwarengeschäft schräg gegenüber kauften die Schwestern ihr Papier, auf dem sie ihre Romane verfassten. Da Frauen im 19. Jahrhundert noch nichts zu melden hatten, veröffentlichten sie sie 1847 unter den männlichen Pseudonymen Currer, Ellis und Acton Bell. Heute vermarktet sich die Region als „Brontë Country“.

Ein Verein eröffnete den Museumszugbetrieb in Haworth

Schlendert man die mit Kopfsteinen gepflasterte Straße zwischen den Häusern mit den leicht verwitterten Sandsteinfassaden weiter bergab, gelangt man zum pittoresken Bahnhof von Haworth. Als die Brontës hier lebten, fuhr man noch mit Pferd und Wagen oder ging zu Fuß. Eine Bahnverbindung gab es nicht. Das monierte Bauingenieur John McLands­borough, als er 1861 den Ort besuchte.

Die Textilfabrikbesitzer in der Gegend begrüßten seinen Vorschlag, von Keighley nach Oxen­hope Gleise zu verlegen, enthusiastisch. Die Industrialisierung lief auf Hochtouren. Bis Keighley fuhren bereits Züge aus Leeds und anderen größeren Städten. Baumwollmühlen benötigten Kohle für ihre Produktion, und die bekamen sie nun über die Schiene.

1867 wurde die acht Kilometer lange, normalspurige Nebenbahnstrecke für Güter- und Personenverkehr eröffnet. Nach mehreren Betreiberwechseln gehörte die Trasse nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu ihrer Stilllegung im Jahr 1962 zu British Railways. Im Mutterland der Dampfeisenbahn formierte sich sofort eine Gruppe Freiwilliger. Der Verein kaufte der staatlichen Bahngesellschaft die Schienen ab und eröffnete den Museumszugbetrieb der Keighley and Worth Valley Railway.

Das niedrige Stationsgebäude ist wie die meisten anderen entlang der Linie aus gelblichen Backsteinen errichtet. Hellgelb gestrichene Fensterrahmen, dunkelrote Dachrinnen, Gaslaternen, Bänke und Anzeigetafeln lassen die Bahnhöfe wie Puppenstuben wirken. Nostalgische Handkarren sind mit Kisten und Koffern bestückt, als sollten sie gleich verladen werden.

In Ingrow West werden alte britische Schienen-Schätzchen präsentiert

Mit lautem Hupen kündigt sich das schwarze Dampfross mit der Nummer 85 an. Vier weinrote Waggons führt es im Schlepptau. „Als unser Verein vor 50 Jahren gegründet wurde, entschloss man sich dazu, an den ­einzelnen Stationen die Atmosphäre britischer Landbahnhöfe um 1955 wieder aufleben zu lassen“, sagt Lokführer Steve Harris, der mit Heizer Roger France die fast 120 Jahre alte Dame steuert. Ein schriller Pfiff aus der Dampfpfeife kündigt die Abfahrt an. Roger legt ein paar Schaufeln Kohlen nach. Die Keighley and Worth Valley Bahn tuckert ­Richtung Oakworth.

Heizer Roger France auf der Lok 85 der Keighley and Worth Valley Railway.
Heizer Roger France auf der Lok 85 der Keighley and Worth Valley Railway. © Axel Baumann | AXEL BAUMANN

Hinter Bäumen versteckt mäandert das Flüsschen Worth, das Tal und Zug den Namen gab. Auf saftiggrünen Weiden, die durch windschiefe Feldsteinmauern getrennt sind, ­blöken weiße Schafe mit schwarzen Gesichtern. Dann taucht Lok 85 in den Ingrow-Tunnel ein. Er endet am Haltepunkt Ingrow West. Direkt neben dem Bahnhof gibt es zwei ­sehenswerte „Rail Story“-Museen. Im „Engine Shed“ ­präsentiert die „Bahamas Locomotive Society“ alte britische Schienen-Schätzchen.

Noch beeindruckender ist, was der „Vintage Carriage Trust“ in der Halle „Carriage Works“ ­zusammengetragen hat. Unmengen Signale, Stations- und Lokschilder zieren die Wände.

Die Strecke zwischen Pickering und Whitby war lange eine Pferdebahn

Besucher können in restaurierte Waggons klettern und nacherleben, wie die vornehme Gesellschaft in der ersten und die weniger Gutbetuchten in der dritten Klasse zur Zeit Königin Victorias und später während der ­Belle Époque reisten.

Lok 85 rollt in den Endbahnhof Keighley ein. Mit 50.000 Einwohnern ist es der größte Ort entlang der Trasse. Auf dem mit bunten Blumen geschmückten Bahnsteig ertönt Blasmusik. Unwichtig für die „eiserne Lady“. Sie löscht erst mal ihren Durst am Wasserkran. Schließlich stehen heute noch vier weitere Fahrten nach Oxenhope und ­zurück auf dem Fahrplan.

130 Kilometer weiter nordöstlich schnauft die North Yorkshire Moors Railway durch eine grüngraue Moorebene. Die knapp 30 Kilometer lange Bahn­linie zwischen der kleinen Marktstadt Pickering und der Hafenstadt Whitby an der Nordsee wurde ab 1830 von George Stephenson errichtet.

Whitbys Einwohner wandten sich an Großbritanniens Eisenbahnpionier, da sie dringend eine Verbindung zwischen Hafen und Hinterland benötigten, denn Walfang und Schiffsindustrie gingen zurück. Sie forderten eine bessere Anbindung, um Kohle, Holz, Kalk, Lebensmittel, aber auch Personen transportieren zu können.

„Nach fünfjähriger ­Bauzeit konnte die Strecke 1836 eröffnet ­werden“, erläutert Pickerings Stationsvorsteher Allan Langham: „Allerdings fuhren zunächst noch keine Dampflokomotiven. Zehn Jahre lang war es eine reine Pferdebahn. Dann verrichteten schwere Dampfrösser ihren Dienst, bis man sie Ende der 1950er-Jahre durch Dieselloks ­ersetzte oder Lastwagen den Warentransport übernahmen. 1966 fiel die Strecke schließlich dem Rotstift zum Opfer.“

Goathland ist der berühmteste Bahnhof an der Strecke im Norden

Doch wie im „Brontë Country“ gründete sich auch hier umgehend ein Verein, um eine der historischsten britischen Bahnen zu erhalten. Vier Dampfloks sind an diesem Morgen auf der Schiene. Vor vier Stunden hat Heizer Mark Noble die „80136“ angeheizt und zusammen mit Lokführer Iain Hodgman 70 bewegliche Teile geschmiert. „Wellness für die ­Dame“, sagt Iain und grinst.

Seit 20 Jahren lässt der Software-Entwickler an mehreren Wochenenden im Jahr das Abfahrtssignal ertönen. Mit dem Kohletender voraus macht sich die schwarze Diva in einer lang gezogenen Rechtskurve auf den Weg zum mitten in der Moor­region gelegenen Bahnhof Levisham. Erste Wanderer steigen aus.

Birken, Erlen und Weiden bilden ein Spalier am Schienenstrang. Durch hügelige Heide- und Weideflächen dampft der Zug weiter Richtung Goathland, den berühmtesten Bahnhof der North Yorkshire Moors Railway. Er wurde in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurückrestauriert: Milchkannen, rote Feuerlöscheimer, voll beladene Gepäckkarren sind der Blickfang auf den beiden Bahnsteigen.

„Goathland ist unser Star“, meint Heizer Mark: „Der Bahnhof diente in mehreren ­Filmen und TV-Produktionen als Kulisse. Richtig berühmt wurde er in ‚Harry Potter und der Stein der Weisen‘.

Goathland war der fiktive Bahnhof aus einem Harry-Potter-Film

Da war Goathland der fiktive Ort ‚Hogsmeade’, in dessen Nähe sich das Zauber-Internat ‚Hogwarts‘ befand.“ In Hogsmeade hielt der knallrote „Hogwarts ­Express“ vor einem ebenso roten Holzhäuschen. Dort stiegen Harry Potter und seine Freunde aus, wenn sie aus den Ferien von London ins Internat zurückkehrten.

Das ­Gebäude ist längst wieder beige-maronfarben ­gestrichen. Und verzaubert war es nur im Film. In Wirklichkeit verbirgt sich hinter der Tür der „Ladies Room“, die Damentoilette des Bahnhofs.

Der urige Landbahnhof Goathland (oben) diente bereits in mehreren ­Filmen und TV-Produktionen als Kulisse. Richtig berühmt wurde er als Station Hogsmeade für den Hogwarts Express in dem Film „Harry Potter und der Stein der Weisen“.
Der urige Landbahnhof Goathland (oben) diente bereits in mehreren ­Filmen und TV-Produktionen als Kulisse. Richtig berühmt wurde er als Station Hogsmeade für den Hogwarts Express in dem Film „Harry Potter und der Stein der Weisen“. © picture alliance | picture alliance

Zehn Minuten später ist Grosmont ­erreicht. So beschaulich wie heute ging es hier nicht immer zu. Im späten 19. Jahrhundert war der Ort eine hässliche Industriestadt mit Eisenerzminen und rauchenden Schloten von Kalköfen und Ziegeleien. Auf den letzten zehn Kilometern bis Whitby folgt die Bahn dem Fluss Esk, der in Whitby in die Nordsee mündet.

Der berühmteste Einwohner des ehe­maligen Fischerstädtchens war im 18. Jahrhundert James Cook. Neun Jahre lebte und arbeitete er in Whitby und sammelte erste Segelerfahrungen, bevor er zum Seefahrer der Weltmeere aufstieg. Der letzte Zug an diesen Tag begibt sich auf die Rücktour nach Pickering. Kurzer Halt in Goathland. Auch wenn hier längst nicht mehr gezaubert wird, eine Fahrt mit der North Yorkshire Moors Railway verzaubert ­jeden.

Tipps& Informationen

Anreise ab Berlin z. B. mit Easyjet oder Ryanair nonstop nach Manchester. Weiterreise durch Yorkshire per Leihwagen oder Bahn/Bus.

Die Bahnstrecken Die Keighley and Worth Valley Railway fährt ganzjährig , im Winterhalbjahr nicht täglich, www.kwvr.co.uk; die North Yorkshire Moors Railway verkehrt mehrmals täglich von April bis Oktober von Pickering nach Whitby, www.nymr.co.uk.

Übernachtung Royd Mill Bed and Breakfast Oxenhope / West Yorkshire, DZ/F ab 77 Euro, www.roydmill.com; The White Swan Inn, Pickering, DZ/F ab 152 Euro, www.white-swan.co.uk

Auskunft www.yorkshire.com, www.visitbritain.com

(Die Reise der Autorin wurde unterstützt von Visit Britain.)