Stanford. Unzählige Strahlen und Partikel umgeben uns – und beeinflussen unsere Gesundheit. Die Wolke liefert Wissen für Krankheitstherapien.

Der Mensch lebt nicht für sich allein: Nicht nur, dass der Körper aus mehr Bakterien als menschlichen Zellen bestehen kann. Ständig prasseln gewaltige Mengen chemischer Moleküle, Mikroben, Strahlen und Partikel aller Art auf ihn ein. Nicht ohne Folgen: Allergien und Krankheiten werden ebenso beeinflusst wie die Lebenserwartung. „Probleme wie Diabetes und Herzinfarkt werden zu rund 70 Prozent durch Umwelt- und den Lebensstil-Faktoren bestimmt“, erklärt Annette Peters, Leiterin des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München.

Von Geburt an atmen wir Feinstaub ein, essen Pflanzenschutzmittel mit, nehmen Umweltgifte über die Haut auf – profitieren aber auch von etlichen, vielfach noch unbekannten Wechselwirkungen. Unser Erbgut mag zu einem großen Teil bestimmen, wie wir aussehen, an welchen Krankheiten wir leiden werden, wie lange wir leben. Immensen Einfluss hat aber auch unsere Umwelt. Zusammengefasst werden solche vom Erbgut unabhängigen Einflüsse unter dem Begriff Exposom.

Wissen für die Therapie schwerer Erkrankungen nutzen

„Das Exposom ist so interessant, weil wir seit einiger Zeit verstanden haben, dass die Umwelt auch unsere Gene verändern kann“, erklärt die Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann von der Technischen Universität München. „Durch Faktoren aus der Umwelt werden Gene ein- oder ausgeschaltet.“ Epigenetik ist das Fachwort für diese Abläufe, die auch eine Erklärung dafür seien, warum bestimmte, vermeintlich genetisch bedingte Erkrankungen zunehmen.

Zudem liefere das Exposom Wissen für die Therapie schwerer Erkrankungen. So habe eine Studie am Lehrstuhl für Umweltmedizin, UNIKA-T, gezeigt, dass bei Neurodermitis die Diversität des Mikro­bioms auf der Haut reduziert ist, so Lehrstuhlinhaberin Traidl-Hoffmann. „Wenn wir wissen, welche Organismen bei gesunden Menschen auf welche Weise miteinander interagieren, können wir daraus neue Medikamente und Therapieformen entwickeln und so einen völlig neuen Ansatz in der Medizin schaffen.“

Belastung einzelner Menschen noch nicht wirklich erfasst

Die Wechselwirkungen zwischen Körper und Umwelt lassen sich derzeit kaum in Gänze erfassen. Zwar gebe es Messungen zu einzelnen Faktoren wie Luftverschmutzung, erklärt Michael Snyder von der Stanford University School of Medicine in Kalifornien. Die Belastung einzelner Menschen mit biologischen und chemischen Stoffen sei aber noch nicht wirklich erfasst worden. „Niemand weiß, wie riesig das menschliche Exposom ist und was für Dinge sich darin finden.“

Forscher um Snyder wollen zumindest die chemischen Substanzen und Mikroben erfassen, denen Menschen je nach Umgebung ausgesetzt sind. In einem Versuch statteten sie 15 Männer und Frauen bis zu 890 Tage lang mit einem Gerät aus, das Partikel aus der Luft filtert – und wiesen ein Sammelsurium etwa an Bakterien, Viren, Chemikalien, Pflanzenpartikeln und Pilzen nach. Sie schufen eine Datenbank zu mehr als 40 000 Arten von Bakterien, Viren und Pilzen.

Spuren von Staub-, Haut- und Spinnmilben

Unterschiede im Exposom gab es unter anderem abhängig von Region, Wetter, Jahreszeit – und sogar von Eigenheiten des jeweiligen Haushalts wie Haustieren, Haushaltschemikalien und blühenden Pflanzen in Haus und Garten, berichten die Forscher im Magazin „Cell“. Spuren von Staub-, Haut- und Spinnmilben gab es, von Mücken, Fliegen, Bienen und Kakerlaken – und von Viren, die in dem Kleingetier vorkommen. „Im End­effekt haben wir alle unsere eigene Mikrobiom-Wolke, die wir mit uns herumschleppen und verteilen“, sagt Snyder.

Zu den Substanzen, die in den Filterproben fast immer gefunden wurden, zählten das Insektenabwehrmittel DEET, das Pestizid Omethoat und krebserregend wirkende Stoffe wie Diethylenglycol (DEG). „Insgesamt lassen unsere Ergebnisse annehmen, dass wir ständig Tausenden erwarteten wie unerwarteten Chemikalien ausgesetzt sind, oft an bestimmten Orten“, heißt es in der Studie. Der Nachweis der Umweltgifte sei nicht überraschend, erklärt Traidl-Hoffmann. „Viel zu lange haben wir unbesorgt giftige Substanzen in der Natur entsorgt, ohne anschließend für eine ausreichende Reinigung von Boden und Wasser zu sorgen.“ Umso wichtiger sei es nun, die molekularen Mechanismen zwischen Exposom und Mensch zu bestimmen.

Neue Zusammenhänge finden mithilfe künstlicher Intelligenz

Für die Umweltmedizinerin biete der Ansatz der US-Mediziner neue Möglichkeiten herauszufinden, welche Substanz bestimmte Symptome eines Patienten verursacht. Lebensmittelunverträglichkeiten etwa könnten über die Haut entstehen, erklärt sie. Schwierig könne eine Abklärung gesundheitlicher Probleme durch zeitverzögerte Reaktionen Tage oder Wochen nach dem Kontakt mit einer Substanz sein. „Mit künstlicher Intelligenz werden sich da in den großen Datensätzen sicher viele neue Zusammenhänge erkennen lassen, von denen man bisher gar nichts wusste“, so die Expertin.

Das Zusammenspiel von Umwelt und Gesundheit zu ergründen sei eine der großen Herausforderungen, sagt Traidl-Hoffmann. „Wie macht uns Umwelt krank – oder auch gesund? Und wie können wir in einer sich massiv wandelnden Welt gesund bleiben und eine Prävention für die großen Umwelt­erkrankungen wie Diabetes, Krebs, Allergien und Asthma schaffen?“