Ålesund. Die Stadt in Nordnorwegen gilt auch dank deutscher Hilfe heute als Jugendstil-Juwel am Fjord. Und die Umgebung bietet reizvolle Ziele.

Zum Abschied serviert uns Linda Fischsuppe mit Lachs und Kabeljau, als Dessert gibt es Blaubeerkuchen mit Eis aus karamelisiertem Ziegenkäse. Auf so eine Komposition muss erst mal einer kommen. „Das ist nicht die einzige ausgefallene Idee meiner Familie gewesen“, erzählt Linda, die ein T-Shirt mit der Aufschrift „Trandalrock“ trägt.

Tatsächlich wird Christian Gaard, der urige Pub im Blockhausstil, an zwei Wochenenden im Sommer alljährlich zum Hotspot für Blues- und Country-Musik. 2019 wird am 5./6. Juli Blues und vom 8. bis 11. August Country gespielt. „Wir erwarten wieder bis zu 2000 Besucher.“ Und wo finden die bitte Platz? „Kein Problem“, versichert Linda. „Viele bleiben auf ihren Booten im Fjord. Die Musik ist gut zu hören, nur tanzen können die dann eben nicht.“

Zu Linda und ihrer Familie nach Trandal am Ufer des Hjørundfjords kommt man nur übers Wasser: Zweimal täglich verkehrt die Fähre von Store Strandal nach Plan, zusätzliche Fahrten gerne nach Anruf. Gut, dass der Handy-Empfang auch in einsamsten Land­strichen Norwegens bestens ist. Wir werden von Lindas Sohn mit dem Privatboot von Christian Gaard zurück ans andere Ufer des Fjords gebracht, wo unser Bus wartet.

Bis zu acht Schiffe fahren täglich in den Geirangerfjord

Das Ziel, die Hafenstadt Ålesund, erreichen wir am frühen Nachmittag. Ein Jugendstil-Schmuckkästchen: bunte Häuser, Fassaden mit Ranken und Rosetten, Erkern, Giebeln und Zinnen überall. Das Resultat einer Katas­trophe: Am 23. Januar 1904 brannte fast die gesamte Innenstadt nieder, 10.000 Menschen wurden obdachlos. In der Margarinefabrik war eine Petroleumlampe umgestürzt und hatte den Brand ausgelöst. 800 Häuser wurden anschließend in einem Guss wiederaufgebaut, auch mit finanzieller Unterstützung durch den deutschen Kaiser Wilhelm, der ein großer Norwegen-Fan war.

Während unseres Rundgangs erleben wir die vielleicht schönste Stadt des Landes – jedenfalls in den Augen der 50.000 Ålesunder – in erholsamer Ruhe. „Die ist morgen früh vorbei“, sagt Tobias Riegel, Geologe und seit über 20 Jahren norwegenbegeisterter Wanderführer. „Dann werden wieder zwei Kreuzfahrtriesen einlaufen, und es wird rummelig hier im Zen­trum.“ Die mons­trösen Schiffe machen fast alle hier halt, denn Ålesund liegt am ­Eingang zu einem Unesco-Naturerbe, dem Geirangerfjord, der bei keiner Kreuzfahrt fehlen darf. „Mit Folgen“, sagt Tobias. „Im Geirangerfjord wachsen heutzutage ­keine Flechten mehr, weil die bis zu acht Schiffe, die täglich in den Fjord einfahren, zu viele Schadstoffe ausstoßen.“ Ein Dilemma: Die Touristen kommen, um dieses Naturwunder zu bestaunen. Ihr Besuch trägt jedoch gleichzeitig zu seiner Zerstörung bei.

Wanderer ohne Nebelmeer: Die Sunnmøre-Alpen bei herrlichem Wetter.
Wanderer ohne Nebelmeer: Die Sunnmøre-Alpen bei herrlichem Wetter. © Getty Images/Hemis.fr RM | GARCIA Julien / hemis.fr

Auf der Insel Godøya kommt man nur zu Fuß weiter

Wir schnaufen am Abend noch schadstofffrei 418 Stufen auf den Aksla, Ålesunds Hausberg, hinauf. Der Blick von hier oben auf die Stadt, die sich über ein Geflecht von Inseln erstreckt, ist unbezahlbar und die Anstrengung wert. Auch wenn ein Bier 15 Euro kostet. Es scheint, als würde die Stadt aufs Meer hinausschwimmen.

Auf der Insel Godøya kommt man nur zu Fuß weiter, zunächst steil bergan auf steinernen Pfaden. „Die haben Nepalis angelegt, im norwegischen Sommer, wenn im Himalaya der Trekking-Tourismus Winterpause hat“, erzählt Tobias. Weiter oben wandern wir durch eine stille Sumpf- und Moorlandschaft, an einem blaugrün schimmernden Bergsee entlang, über dem sich der mächtige Storehornet erhebt.

Überall Preisel-, Blau- und Krähenbeeren

Überall Preisel-, Blau- und Krähenbeeren. Die Unterscheidung zwischen den beiden Letztgenannten ist nicht leicht, aber wichtig, wenn man scharf darauf ist, sich die wohlschmeckenden Früchte beim Wandern einzuverleiben. „Hildegard von Bingen, die renommierte Alchemistin des Mittelalters, hat schon auf die zuverlässig abführende Wirkung der Krähenbeere hingewiesen. Und die können wir jetzt nicht gebrauchen“, sagt Tobias.

Unser heutiges Ziel ist das idyllische ­Alnes mit seinem Leuchtturm – bei strahlend blauem Himmel ein klassisches Postkartenmotiv. Bevor wir in den Ort hinunterkraxeln, erreichen wir einen Bergrücken, von dem eine einsame Felsnadel weit über den steilen Abgrund hinausragt.

Von oben bietet sich ein Panoramablick über die Küste und die Gipfel der Sunnmøre-Alpen. Unser Guide Tobias hat sie fast alle bestiegen. „Warum gibt’s hier oben keine Wegmarkierungen?“, will einer von ihm wissen. „Die mögen die Norweger nicht, weil sie die Landschaft verschandeln. Aber ihr habt ja mich“, antwortet er pragmatisch und führt uns sicher ins Leuchtturm-Café von Alnes, wo frisch gebackene Preiselbeertorte auf uns wartet. Die Frauen des Ortes betreiben das Café ehrenamtlich und in Eigeninitiative. „Ihr gehört zu den letzten Gästen in diesem Sommer. Morgen schließen wir“, sagt Kristina.

Wie bei „Herr der Ringe“: Mystisches Romedalen
Wie bei „Herr der Ringe“: Mystisches Romedalen © Junker | Uwe Junker

Auch bei schlechtem Wetter gibt es viel zu unternehmen

Jetzt ist noch Zeit, sich bei starkem Wind und leichtem Nieselregen den ­Vogelfelsen der Insel Runde hinaufzukämpfen. 170.000 Seevögel-Paare brüten alljährlich in den Felsen und Höhlen, vor allem Basstölpel, Trottellummen und Papageientaucher. Letz­tere dienen zwar als Wahrzeichen des Campingplatzes, der am Fuße des Berges am Meer liegt. Aber wir bekommen sie nicht zu Gesicht. „Die brüten hier im Frühjahr, wenn der Winter noch über der Gegend liegt. Jetzt haben sie sich mit ihrem Nachwuchs in ruhigere Gefilde zurückgezogen“, erklärt Tobias.

Im Romedalen, dem Tal, das sich tief in die Sunnmøre-Alpen schneidet, kommen Besucher sich vor wie Sta­tisten in der Verfilmung von Tolkiens „Herr der Ringe“. Mys­tische Stimmung allerorten: das Tal eingerahmt von ­spitzen und gezackten Bergen mit Schneefeldern, in der Mitte der Romedaselva-Bach, der sich sanft durch die Tundra-Landschaft windet. Eine ­fahle Sonne verwischt in der Ferne die Konturen von Bergen und Wolken wie ein Weichzeichner. Die Norweger halten Romedalen für das schönste Tal ihres Landes. Wer mag das bestreiten?

„Wie hätten wir eigentlich die vergangenen Tage bei schlechtem Wetter verbracht?“, möchte ich beim Abschied von Tobias wissen. „Zur Not gäbe es da noch das Aquarium und das Stadtmuseum in Ålesund, das Kystmuseum in Herøy, die Marmorkirche in Giske. Oder du könntest dich mit der Geschichte von Ivar Åsen im gleichnamigen Museum beschäftigen, er hat die norwegische Sprache grundlegend reformiert. Allerdings habe ich auch genug Touren im Kopf, die wir bei Regen gehen könnten.“ Das war ja klar!

Tipps & Informationen

Anreise Ab Hamburg oder Berlin z. B. mit KLM über Amsterdam nach Ålesund

Pauschal Zum Beispiel mit Wikinger Reisen, 13 Tage „Fjordnorwegen: Kulturwandern“, www.wikinger-reisen.de, oder mit Erlebnisreisen Sigl, „Wandern in Fjord-Norwegen“,
www.erlebnisreisen-weltweit.de

Auskunft www.visitalesund.com
(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Wikinger-Reisen)