Dawson City. Der berühmte Klondike-Rausch Ende des 19. Jahrhunderts prägte die gesamte kanadische Provinz. Heute ist er ein touristisches Erlebnis.

Schlange stehen ist angesagt im Downtown Saloon in Dawson City. Wer nicht zu der langen Reihe der Wartenden gehört, versammelt sich leise wispernd um den kleinen Tisch herum, auf dem bereits ein Glas Whiskey steht. Fünf Dollar kostet es. Ein fairer Preis für ein exklusives Getränk.

Harvey Jenkins hat es geschafft und setzt sein Glas ab. Der Amerikaner aus Texas ist einer der vielen Kreuzfahrtgäste, die über Skagway (Alaska) nach Dawson gekommen sind, und begierig darauf, diese Mutprobe zu bestehen, für die die Kneipe bekannt ist. Seine Frau klatscht begeistert, während er voller Stolz seine Urkunde in die Luft hält: Nun ist auch er Mitglied im Sourtoe-Cocktail-Club. Glückwunsch!

Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass der Drink nicht mehr lange angeboten wird. Um 23 Uhr ist Schluss, und diese Uhrzeit wird genau eingehalten, wenn hier auch sonst auf zumindest zeitliche Genauigkeit weniger Wert gelegt wird. Das aber hat nichts mit Nachlässigkeit, sondern eher mit Gelassenheit zu tun. „Bei uns herrscht Dawson Time!“, erklärt Danny.

Der 29-jährige Frankokanadier aus Quebec lebt seit sieben Jahren in dem kleinen Ort und führt in einem seiner Jobs Touristen durch die Stadt. Dawson Time? „Das bedeutet: Komm, wann es dir möglich ist!“, sagt er.

Und so lebt es sich in dem 4000-Einwohner-Ort am ­Yukon in der westlichsten Provinz Kanadas relativ ruhig und beschaulich. „Wir haben Zeit!“, sagt auch Elfriede. Vor 30 Jahren hat die gebürtige Deutsche aus der Pfalz im Yukon ihre Heimat gefunden. Ein Zurück hat sie sich nie überlegt. „Hier gehen die Uhren wunderbar anders, keiner drängelt, keiner hat Druck. Keiner regt sich auf, wenn etwas nicht gleich funktioniert. Es ist unglaublich angenehm, hier zu leben!“

Der Ruf „Gold im Yukon“ weckte Sehnsüchte und Hoffnungen

Das war nicht immer so. Vor 120 Jahren, als sich die Stadt aus dem Nichts zur ersten Hauptstadt des Yukon entwickelt hat, lebten in Dawson rund 30.000 Menschen, die alle nur eins im Sinn hatten: Gold. Oder zumindest Geld. Denn am legendären Klondike-Goldrausch, der hier am Yukon River seinen Anfang nahm, wollten alle teilhaben.

Und wer keinen sogenannten Claim abbekommen hatte, wie man ein abgestecktes, registriertes Revier nannte, in dem man Gold schürfen konnte, der eröffnete in Dawson ein Geschäft, eine Bar, einen Friseursalon und profitierte so vom Erfolg all derer, die mit dem Ziel, reich zu werden, nach Kanada gekommen waren.

Wer genau den Nugget am 16. August 1896 im heutigen Bonanza Creek gefunden hat, konnte nie festgestellt werden. Zugeschrieben wird er dem Amerikaner George Carmack, der dort vermutlich gemeinsam mit seiner Frau Kate und Schwager Skookum Jim, beide First Nations, zum Fischen und Schürfen war.

Ein Jahr später, im Juli 1897, erreichte die Nachricht die USA. In Amerika herrschte zu der Zeit eine Wirtschaftskrise, und der Ruf „Gold im Yukon“ weckte Sehnsüchte und Hoffnungen bei Tausenden Menschen aus Amerika, Australien und Großbritannien. Gleich einer Massenhysterie machten sie sich auf den Weg in den hohen Norden, ohne zu wissen, wohin es tatsächlich ging, wie das Land dort aussah und was sie zum Überleben brauchten.

Der Großteil kam mit dem Dampfer in Skagway an. Dann folgte ein ­lebensgefährlicher Fußmarsch durch Schnee und Eis über den White Pass oder Chilkoot Trail bis zum Lake Bennet. Für die, die es bis dahin schafften, begann hier der letzte Teil, eine über 700 Kilometer lange Fahrt mit selbst gezimmerten Booten oder Flößen über den damals noch wilden, ungezähmten Yukon River, bis sie schließlich am Fundort ankamen und dort die spätere Boomtown Dawson errichteten.

Rund 100.000 brachen auf, weniger als die Hälfte erreichte den Yukon

Farbenfrohe Fassaden in Dawson City.
Farbenfrohe Fassaden in Dawson City. © Government of Yukon | Gov of Yukon

Rund 100.000 sind aufgebrochen, weniger als die Hälfte erreichte den Yukon, und nur einige wenige sind wirklich reich geworden. Dazu gehörte Frederick Trump, der Großvater des heutigen amerikanischen Präsidenten, der hier im Yukon mit einem Hotel und zwielichtigen Etablissement den Grundstein des heutigen Imperiums legte. Nur verständlich, dass Comic-Autor Walt Disney das nicht unkommentiert lassen konnte und auch den geizigen Unsympath Dagobert Duck dort seine erste Million schürfen ließ.

Noch heute ziehen Skagway und Dawson City ihre große Popularität aus ihrer goldenen Vergangenheit und bieten Touristen ein Potpourri aus alten sowie historisch anmutenden Häusern, Museen, in denen die Geschichte von George, Skookum und Kate wieder und wieder dargestellt wird, aus Goldschmuck und einem Haufen billig aussehender Souvenirs.

Aber auf den zweiten Blick ist hinter all dem Bling-Bling in den Auslagen die Tragik der Geschichte, der große Mut der Menschen damals und das unermessliche Leid stets erkennbar.

Ob die Asiaten, die sich gut gelaunt und Fratzen schneidend vor der alten Dampflok der White Pass Scenic Rail in Skagway gegenseitig fotografieren, daran interessiert sind? Mit Kameras ausgerüstet, schlendern sie gemeinsam mit Hunderten anderen Passagieren der Schiffe, die im Hafen angelegt haben, durch den kleinen Ort, kaufen sich Caps und T-Shirts, Ketten, an denen goldene Mini-Nuggets hängen, essen üppig belegte Burger, Waffeln voller knallbunter Eiskugeln oder Popcorn in ungewöhnlichen Geschmacksrichtungen.

Nur die ersten bekamen noch die begehrten Claims

Wer Interesse an der Geschichte zeigt, unternimmt von Skagway aus eine Fahrt mit der White Pass Scenic Rail bis Fraser in British Columbia. Die Strecke folgt so genau wie möglich dem ersten Teil der Route, die 1897 die Goldsucher gegangen sind. Rund 27 Kilometer weit und knapp 900 Meter hoch geht es vorbei an der letzten Ruhestätte der ersten Bewohner von Skagway, an den Bridal Veil Wasserfällen und der Dead-Horse-Schlucht, wo 1898 mehrere Tausend Lastpferde wegen Vernachlässigung und Überlastung ihr Leben lassen mussten.

So beeindruckend die Perspektiven über tiefe Schluchten, schwindelerregende Brückenkonstruktionen und den Skagway-Fluss sind, so verstörend ist die Vorstellung, wie beschwerlich es gewesen sein muss, mit großem Gepäck bergauf und bergab durch teils unwegsames Gelände und bei schlechten Wetterbedingungen zu gehen.

Und jedem Einzelnen, der sich in dem Menschenstrom Richtung Bonanza Creek befand, saß die Zeit im Nacken. Denn nur die Ersten bekamen noch die begehrten Claims. Wer zu spät kam, hatte nach einer monatelangen, strapaziösen Tour nichts in der Hand.

Für mehrtägige Kanutouren gilt es, die Komfortzone zu verlassen

Die Route, die damals die Goldsucher gegangen sind, ist ein landschaftlich unvergleichliches Erlebnis. Dominiert wird die Strecke vom Yukon River, der allein durch den Klang seines Namens Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer, Wildnis und Lagerfeuerromantik schürt. Mit über 3000 Kilometer Länge ist er der fünftgrößte Fluss auf dem nordamerikanischen Kontinent.

Sein Weg von der Quelle im kanadischen Marsh Lake bis zur Mündung in der Beringsee führt durch Regionen, in denen die Natur zum Teil noch unberührt zu sein scheint. Der Abschnitt von Whitehorse, der heutigen Hauptstadt des Yukon, bis nach Dawson City, ist vielfältig und abwechslungsreich, dabei angenehm unaufgeregt. Hohe Berge wechseln sich ab mit sanften Hügeln, schneebedeckte Spitzen mit dichten dunkelgrünen Wäldern.

Am Ufer sitzen Weißkopfseeadler, tummeln sich Bären und manchmal Elche. Auf dem stark mäandernden Fluss kann man mit dem Kanu tagelang unterwegs sein, ohne einem anderen Menschen zu begegnen. Kein Handyklingeln, kein Autolärm, nichts stört die Ruhe, die mit jedem Paddelschlag meditativer wird. Straßen und Dörfer sind meilenweit entfernt. Alltag? Hektik? Was ist das?

Auch wenn der Fluss seine einstige Bedeutung als Transportstraße längst verloren hat, wird man immer wieder an vergangene Zeiten erinnert. Man paddelt vorbei an verfallenen Dörfern sowie an Versorgungsstationen aus der Goldgräberzeit wie Hootalinqua. Selbst ganze Schaufelraddampfer, die damals Hunderte Menschen vom Lake Bennett über den Yukon nach Dawson brachten, liegen als riesige Holzleichen am Grund und am Ufer.

Beim Campen am Yukon muss man seine Komfortzone verlassen

Tänzerinnen im Diamond Tooth Girtie's.
Tänzerinnen im Diamond Tooth Girtie's. © Gov of Yukon | Government of Yukon

Komfortable Campgrounds gibt es am ­Yukon nicht. Wer hier mehrere Tage unterwegs ist, muss sein Equipment mit ins Boot nehmen und am späten Nachmittag relativ willkürlich ein Ufer anpeilen, an dem man ein oder mehrere Zelte aufbauen kann. Wir haben Glück, und zwei der Plätze, auf denen wir übernachten, sind zumindest mit einer Feuerstelle und einigen rustikalen Bänken ausgestattet.

Bad? WC? Fehlanzeige. Das Runterschrauben der Ansprüche zwingt einen, die eigene Komfortzone zu verlassen. Aber ist es nicht großartig, sagen zu können, hey, ich ­habe mich im Yukon gewaschen und die ­Zähne mit Flusswasser geputzt? Eine gute Erfahrung, dass man mit weitaus weniger auskommen kann, als man glaubt.

Kaum hat man sich an die Ruhe und Weite der Landschaft gewöhnt, an die Strömung des Flusses, die einen mal träge dahinfließend, mal aufgepeitscht durch starke Böen Richtung Norden getragen hat, da ist die Tour vorbei. Fast wehmütig werden in Little Salmon die Kanus aus dem Wasser gezogen. Aber nun heißt es: Zurück in die Zivilisation. Ab nach Dawson City.

Die Geschichte der Stadt wird bereits einige Kilometer vor dem Ortszentrum sichtbar. Rund um den Klondike Highway, der seit den 50er-Jahren Skagway mit Dawson City verbindet, häufen sich hohe Steinberge, teilweise mit Sträuchern und Bäumen bewachsen. Es sind die goldlosen Reste, die die großen Maschinen, sogenannte Dredges, nach dem Baggern und Sortieren ausgespuckt haben und die nun die Landschaft dominieren und verschandeln.

Am Ende des Klondike Highway, wo der gleichnamige Fluss in den Yukon fließt, landet man im Goldgräberzentrum und fühlt sich um viele Jahrzehnte zurückversetzt. Das Ortsbild aus kleinen bunten Holzhäusern mutet an wie ein liebevoll gestaltetes, lebendiges Museum und lädt dazu ein, in eine unkonventionelle Welt einzutauchen, die von Aufbruchstimmung und Unternehmergeist geprägt war.

Dawson Tage sind entspannt und werden gern am Flussufer verbracht

Noch gibt es eine Reihe von Häusern aus der Zeit, als die Stadt gegründet wurde. Mittlerweile stehen viele davon schief, sind verlassen und verrammelt. Die Straßen sind absichtlich ungeteert, die simplen Fußstege holzbeplankt, um so den ursprünglichen Charakter der Stadt beizubehalten.

Dawson-Tage sind chillig, man trifft sich am begrünten Flussufer, Bands spielen eingängige Folkmusik, Jugendliche liegen in der Sonne, Kinder spielen Ball. Abends sitzt man in einem der vielen Restaurants, isst Süßkartoffelpommes, Fisch oder frische Salate und trinkt dazu ein Local Beer, bevor man in Diamond Tooth Gertie’s Gambling Hall geht und sich eine aufregende und aufreizende Show im Stil der 20er-Jahre anschaut. Wer mag, kann auch an einem der Automaten oder Roulette-Tische sein Glück versuchen.

Aber Spielen ist Geschmackssache. Wie auch der Souertoe-Cocktail, den vor rund 40 Jahren ein ehemaliger Barkeeper nach einer durchzechten Nacht kreiert haben soll, nachdem ­er in einer Hütte einen konservierten Zeh in einem Einmachglas gefunden hatte. Heute ist ein menschlicher Zeh im Whiskey der Clou im Downtown Saloon. Na denn, Prost!

Tipps & Informationen

Anreise Condor fliegt zwischen Juni und September sonntags nonstop von Frankfurt/Main nach Whitehorse.

Kanufahren Geführte Touren bietet z. B. Ruby Range Adventure, 15 Tage von Whitehorse bis Carmacks mit Transfer, Verpflegung und Ausrüstung ab 1680 Euro p. P., www.rubyrange.com;
zwölftägige Kanutour auf dem Yukon nur für Frauen, ab 1279 Euro, Infos und Buchung unter www.canusa.de

Auskunft www.travelyukon.com

(Die Reise wurde unterstützt von Destination Canada und Travel Yukon.)