Berlin. Tierschützer werfen einem isländischen Unternehmen vor, einen Blauwal getötet zu haben. Der Streit um die Jagd ist damit neu entbrannt.

Der riesige tote Körper liegt in der Walfangstation im isländischen Hvalfjördur. Ein Arbeiter in orangefarbener Gummihose besprüht ihn mit Wasser, das aus einem Schlauch kommt. Das Tier wird für die Verarbeitung vorbereitet. Bald wird ihm hier der Speck abgetrennt. Dann wird es zerschnitten und gekühlt. Doch ist es tatsächlich ein Blauwal, der da auf der Seite liegt? Tierschützer behaupten das. Oder ist es ein Hybrid, ein Mischling aus Blau- und Finnwal, wie es die Firma erklärt, die den Säuger getötet hat?

Laut Weltnaturschutzorganisation IUCN sind seit 1978 keine Blauwale mehr absichtlich erlegt worden. Mit einer Länge von bis zu 33 Metern sind sie die größten Tiere der Welt. Ihre Gesamtpopulation wird auf 10.000 bis 25.000 geschätzt. Sie sind als stark gefährdet eingestuft und international streng geschützt. Experten zufolge wurde ihr Bestand vor allem durch Walfang im 20. Jahrhundert reduziert. 1925, so die Umweltschutzorganisation WWF, hätten sie wie fast alle großen Walarten am Rande des Aussterbens gestanden. Die Dampfschifffahrt und neue Harpunierkanonen hatten den Walfang zur Industrie werden lassen.

US-Wissenschaftler äußert nach Analyse Zweifel

Blauwal oder Hy­brid? Eine DNA-Analyse muss nun zeigen, wer im Falle des vor Island getöteten Tieres recht hat – das Walfangunternehmen Hvalur oder die Tierschützer, die sich auf Aussagen von Wissenschaftlern wie Phillip Clapham berufen. Clapham arbeitet für das „Alaska Fisheries Science Center“ in den USA. Nach Analyse von Fotos hatte er erklärt, Zweifel an der Hybrid-Aussage zu haben. Dafür könne er keine Anzeichen erkennen. Zwar sind auch Mischlinge aus Finn- und Blauwal extrem selten, im Gegensatz zu Blauwalen aber dürfen sie in Island geschossen werden.

Blick auf die Nachbildung eines großen Blauwals in der Ausstellungshalle „Riesen der Meere 1:1“ in Stralsund.
Blick auf die Nachbildung eines großen Blauwals in der Ausstellungshalle „Riesen der Meere 1:1“ in Stralsund. © dpa | Stefan Sauer

Für Tierschützer ist der Tod des Tieres auch jenseits der Frage nach der Walart ein Aufreger. Seit Jahren kritisieren sie den isländischen Unternehmer Kristján Loftsson, den Chef von Hvalur. Er ist der letzte Walfänger der Welt, der Finnwale tötet. Mit einer Länge von bis zu 25 Metern sind auch sie Giganten der Meere. Nach zweijähriger Pause hat Loftsson die Jagd wieder aufgenommen und angekündigt, bis zu 190 Tiere töten zu wollen. Deren Fleisch oder ein daraus hergestelltes Nahrungsergänzungsmittel will er nach Japan verkaufen. Etwa 16 Millionen Euro will die Firma eigenen Angaben zufolge damit erlösen.

Tierschutzorganisationen werfen Loftsson Umweltkriminalität vor

Die Population der Finnwale vor Island bezifferte Loftsson einem Medienbericht zufolge auf etwa 40.000. Für ihn gebe es zwischen Wal- und Fischfang keinen grundsätzlichen Unterschied. Die Tierschützer bezeichnete er als „Antis, die gegen alles sind“. Die Kritik an ihm und der Jagd sei ihm egal.

Für die Verantwortlichen der Tierschutzorganisationen WWF, Sea Shepherd oder WDC verstößt Loftsson womöglich gegen den internationalen Artenschutz. „Dieser Vorfall bestätigt, dass der Walfang immer noch eine ernsthafte Bedrohung für gefährdete Tiere darstellt und niemals nachhaltig sein kann. Walfang war im 20. Jahrhundert außer Kontrolle und ist es auch heute noch“, sagt WDC-Programmleiterin Astrid Fuchs. Sie warf Loftsson Umweltkriminalität vor.

Ureinwohner dürfen jagen, um sich selbst zu versorgen

An diesem Punkt aber beginnt eine Diskussion, die kompliziert ist. Tatsächlich gibt es seit 1948 eine Internationale Konvention zur Regulierung des Walfangs. Ausführendes Organ ist die Internationale Walfangkommission (IWC). 1982 wurde das Moratorium zum Stopp der kommerziellen Jagd auf Großwale vorgeschlagen, 1986 trat es in Kraft. Doch es gibt Ausnahmen und Länder, die dem widersprachen.

Die IWC definiert Kategorien, in denen die Waljagd weiter erlaubt ist: Jagen dürfen demnach Ureinwohner, um sich selbst zu versorgen, sowie Forscher für wissenschaftliche Zwecke. Japan beruft sich auf die Wissenschaft, während Island und Norwegen mal aus wissenschaftlichen, mal aus kommerziellen Gründen Wale töten. Norwegen etwa jagte zwischen 1993 und 2016 einer Studie von Umweltschützern zufolge über 12.000 Wale – mehr als Japan und Island zusammen.

Oft wird die kulturelle Tradition als Argument genannt

Die Formulierungen des IWC-Moratoriums und auch die Widersprüche lassen Spielräume, die Japan, Norwegen und Island ausnutzen. Aus nationaler Sicht machen sie sich nicht strafbar. Und der Internationale Gerichtshof, der 2014 den japanischen Walfang als pseudowissenschaftlich bezeichnete und verbot, wird als Vermittler nicht anerkannt.

Neben wirtschaftlichen Interessen wird in allen drei Ländern auch die kulturelle Tradition als Argument für die Waljagd angeführt. Tierschützer halten dies für vorgeschoben. Die moderne Jagd habe mit Tradition nichts mehr zu tun. Und die IWC? Sie rügt jedes Jahr die Walfangnationen für ihr Vorgehen, Sanktionen kann die Kommission nicht verhängen.

Japan will die Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs

Im Fall des Island-Wals mahnten Tierschützer gestern eine schnelle Klärung an. Sollte ein Blauwal getötet worden sein, werden sie wohl juristische Schritte einleiten. Das Problem an sich aber wird damit nicht gelöst. Denn glaubt man der japanischen Fischereibehörde, sind die Mehrheiten in der IWC nicht mehr so eindeutig verteilt wie früher. Im September will Japan beim Treffen in Brasilien laut einem ABC-Bericht über die Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs einiger Arten entscheiden lassen. Und es heißt, die Front der Gegner könnte bröckeln.