Berlin. Von London bis Paris, von Wien bis Madrid: Große Boulevards sind Anziehungspunkte für Besucher. Tipps und Hintergründe zum Flanieren.

In Europas Weltstädten gilt es wieder als hohe Lebenskunst, auf den großen Avenuen zu promenieren, sehen und gesehen zu werden. Auf diesen legendären Straßen kann man sowohl der Vergangenheit nachhängen als sich auch aktuell, ja sogar hip fühlen. Hier kommen die schönsten Boulevards mit Tipps zu Sehenswürdigkeiten, zum Shoppen und für entspannte Pausen.

Paris – Champs-Élysées

Ist es die schönste Avenue der Welt? Jedenfalls hat keine andere Prachtstraße in Europa eine so große historische Bedeutung für eine ganze Nation wie diese Allee der elysischen Felder. Der Name entstammt der griechischen Mythologie und spielt auf Helden an, die seinerzeit auf den paradiesischen Auen Elysions geehrt wurden, von den Göttern geliebt, unsterblich im übertragenen Sinne. Alljährlich am 14. Juli, dem Nationalfeiertag, schaut ganz Frankreich auf die Champs-Élysées, wenn der Staatspräsident hier die größte Militärparade des Landes abnimmt.

Und seit 1975 bilden die Champs die Ziellinie der Tour de France. Seit einige Fast-Food-Imbisse und Allerwelts-Kettenläden an diese Straße gezogen sind, mag der Glamour-Faktor nicht mehr so hoch sein wie früher. Für Paris-Besucher bleibt es jedoch ein Muss, wenigstens einmal vom Obelisken auf der Place de la Concorde knapp zwei Kilometer bis zum Arc de Triomphe zu promenieren.

Rechts und links die prominenten Adressen aus der Luxus-Etage, Cartier, Tiffany, Estée Lauder, legendäre Cafés wie Ladurée, Gourmettempel wie Fouquet’s. Noch immer angesagt: Savoir-vivre in aller Ruhe genießen, zum Beispiel auf der Terrasse des Café Lenôtre in der Nähe vom Obelisken. Küche und Service sind dort anspruchsvoll, aber nicht abgehoben.

Madrid – Paseo del Prado

Was für eine prachtvolle Symbiose von Natur und Kultur. Was für ein Vergnügen unter Platanen und Kastanien zwischen der Plaza de Cibeles im Norden bis nach Atocha im Süden, dem berühmtesten Bahnhof der Stadt, zwei Kilometer lang spanische Grandeza vom Feinsten zu genießen. Start und beliebter Treffpunkt der Madrileños: der Cibeles-Brunnen, auf dem eine römische Göttin, gezogen von zwei Löwen, thront.

Der Platz ist gesäumt von Banken und Ministerien, und jedes dieser Gebäude verdient das Prädikat Palast. Nur ein paar Schritte entfernt lenken zwei weitere Meisterwerke des spanischen Klassi­zismus Blicke und Kameras auf sich: Apollo- und Neptun-Brunnen. Dazwischen, an der Plaza de la Lealtad, liegen das mondäne Hotel Ritz und der Säulenpalast der Börse (Besichtigung lohnt sich!).

Ein Stück weiter machen weltberühmte Museen wie Prado und Thyssen-Bornemisza fantastische Reisen durch alle Perioden der Kunstgeschichte möglich. Und es lockt kulinarischer Hochgenuss, zum Beispiel im sündhaft teuren Horcher oder, angenehm-bodenständig, im netten Straßencafé Taberna La Platería, zwischen dem Museum Reina Sofia und dem Bahnhof gelegen.

Wien – Kärntnerstraße

Am Stephansdom, der von den Wienern ganz liebevoll Steffl genannt wird, schlägt das Herz der österreichischen Hauptstadt. Und an der Staatsoper, einem der bedeutendsten Musiktheater der Welt, verorten Kenner und Liebhaber die Seele dieser wundervollen Me­tropole. Verbunden sind die beiden Wahrzeichen durch den schönsten Teil der Kärntner Straße, der seit 1974 Fußgängern vorbehalten ist; flankiert von so funkelnden Namen wie Swarovski, (Nr. 24) und so süßen Versuchungen wie dem „Gerstner K.u.K. Hofzuckerbäcker“ mit Mehlspeisen zum Niederknien oder dem Café Sacher nebenan in der Philharmoniker Straße.

Mozart ist natürlich allerorten präsent, vorwiegend mit den nach ihm benannten Kugeln. Das Genie ist übrigens in einem Haus verstorben, an dessen Stelle heute das Kaufhaus Steffl (Nr. 19) steht. Und zu dem gehört, hoch über den Dächern Wiens, die Sky Bar mit besten Cocktails und Traumblick. Derart ausgeruht darf man sich wieder in Geschichte und Geschichten verlieren, zum Beispiel ums Eck in der Himmelpfortgasse.

Dort, im Winterpalast des Prinzen Eugen, residiert nun der Finanzminister der Republik. Im Palais Esterházy hingegen (Nr. 41, ältestes Haus der Straße) empfängt das Casino Wien die Zocker von Welt in einer Melange aus Eleganz, modernem Design und einem Spritzer Sisi-Nostalgie. Dazu passt das Sahnehäubchen am Schluss des Kärntner-Bummels: der Einspänner mit Schlagobers im feinen Café Oper – habe die Ehre!

Rom – Via dei Condotti

Treffpunkt am Obelisk, vor der Kirche Santissima Trinità dei Monti, als Auftakt zum Bummel durch eine der teuersten Einkaufsstraßen Europas. Zuvor aber will der Blick über die Spanische Treppe ausgiebig genossen sein. Man setzt sich, wie es die Römer und alle Welt tun, möglichst weit oben auf eine der 138 Stufen, und schaut über die Dächer von Rom. Am Fuß der Treppe ist der Barcaccia-Brunnen auf der Piazza di Spagna unbedingt noch einen Fotostopp wert.

Von diesem Platz zweigt die Via Condotti ab, ein baumloser Canyon des Luxus und der Moden, Prada zur Rechten, Dior zur Linken. Nach knapp einem Kilometer hat man sie alle getroffen: Armani und Gucci, Versace und Bulgari. Und sonst? Zum Beispiel locken ein legendärer Musentempel und ein Ort der zeitlosen Muße. Zunächst im Haus Nr. 88 das Antico Caffè Greco. Hier haben sie, angefangen um 1760, alle gehockt, getrunken und gestritten: die Philosophen Schopenhauer und Nietzsche, die Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy und Richard Wagner, die Dramatiker Ibsen aus Norwegen und Gogol aus Russland. Und natürlich unser guter alter Goethe.

Ein paar Schritte weiter lenken mächtige Säulen den Blick in eine Barock-Oase stiller Schönheit, die Kirche Santissima Trinità degli Spagnoli. Sie wird innen von einer Kuppel dominiert, deren Glanz die Bulgaris und Swarovskis von nebenan buchstäblich in den Schatten stellt.

London – Oxford Street

Es mag elegantere Straßen geben, Regent oder Bond zum Beispiel. Aber nirgendwo in der Millionen-Metropole trifft so viel bunte und bizarre Welt auf so viel Tradition und Stil wie auf dieser Shoppingmeile; die Londoner lieben die Oxford Street. Zweieinhalb Kilometer Merry Old England, aber wo anfangen?

Am besten mit der Underground bis Tottenham Court Road fahren und gegenüber (Oxford Str. No. 6) einen ersten Warm-up-Drink im Traditionspub Nicholson’s Flying Horse nehmen, seit 1790 eine Lieblingstränke von Bohemians und Leuten aus dem Viertel. Somit der ideale Platz, einen aktuellen Tipp für die Stores und Shops der Umgebung aufzuschnappen (kostet allenfalls ein Ale).

Die Band The Thirst spielt an der Ecke Tottenham Court Road und Oxford Street in London.
Die Band The Thirst spielt an der Ecke Tottenham Court Road und Oxford Street in London. © Getty Images | Lionel Derimais

Modisch gesehen halten sich in der Oxford gut und günstig und schräg und hip die Waage. Für beides unter einem Dach steht das gute alte Kaufhaus Selfridges (No. 214), 1909 gegründet: 5000 Paar Damenschuhe in der Auslage und angeblich 100.000 auf Lager, von Valentino bis Kors.

Nicht weit entfernt locken die gläsernen Flaggschiffe von Zara, Topshop, Niketown oder River Island hinter futuristischen Fassaden, allen voran Uniqlo (No. 311) mit spektakulärer Dachterrasse. Stilvoller Abschluss: der Afternoon Tea im Lanes of London (Park Lane 140), nur ein paar Schritte von der Oxford Street und dem Hyde Park entfernt, very british!

St. Petersburg – Newski Prospekt

Es ist mit Abstand die längste unter den weltberühmten Straßen europäischer Metropolen. Auf viereinhalb Kilometern zieht sie sich seit 300 Jahren wie eine Schneise durch die traumschöne Stadt an der Newa. Namensgeber ist Alexander Newski, ein russischer Nationalheld aus dem 13. Jahrhundert, ein Heiliger der orthodoxen Kirche, nach dem auch das Kloster am Ostende dieses Boulevards heißt.

Im Westen empfiehlt sich das historische Gebäude der Admiralität als Auftakt zum Bummel über die Prachtmeile voller Gegensätze: große Kunst und uriger Kitsch, Kaviar und Haute Couture, Luxusherbergen von Weltruf wie das Grand Hotel Europe, Kaufhäuser mit rustikalem Charme wie das Gostiny Dvor oder Malls wie Grand Palace oder Wladimirski Palace mit Boutiquen für Braut- und Hundemode. Arme Kopftuch-Mütterchen mit ein paar Pilzen und Trödler mit dem Krempel der Roten Armee im Angebot, beide wirken sie hier wie aus der Zeit gefallen.

Paläste aus der Zarenzeit, zum Teil aufwendig renoviert, flankieren zu Dutzenden die Hauptstraße. Und so imposante Sakralbauten wie die Kasaner Kathedrale oder, ein paar Schritte nördlich vom Newski Avenue, die Blutskirche; keine ist reicher an goldenen und grünen Zwiebeltürmchen. Seit 2003, dem Jahr des 300. Stadtgeburtstags, präsentiert sich ihre Prachtmeile in neuem Glanz. Pause angesagt? Setzen Sie sich in das Café in der Beletage des Singer-Hauses, haben Sie Geduld mit der Bedienung und genießen Sie aus gehobener Perspektive den Blick auf das Prospekt-Gewimmel.