Karlsruhe. Facebook-Seite oder Foto-Cloud: Verstorbene hinterlassen oft viele digitale Inhalte. Am BGH bahnt sich dazu nun ein Grundsatzurteil an.

Der Tod einer 15-Jährigen in einem Berliner U-Bahnhof lässt die Eltern mit vielen Fragen zurück. Was ist damals passiert? Antworten versprechen sie sich von dem Facebook-Konto des Mädchens. Aber der Konzern verweigert ihnen seit Jahren den Zugang – aus Datenschutz-Gründen.

Nun ruhen die Hoffnungen der Eltern auf den obersten Zivilrichtern am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. An diesem Donnerstag hat die Verhandlung begonnen. (Az. III ZR 183/17)

Offenbar bahnt sich nun am BGH ein Grundsatzurteil zur Vererbbarkeit digitaler Inhalte an. Die höchsten Zivilrichter signalisierten in der Verhandlung am Donnerstag, dass für sie die zentrale Frage sein wird, ob das digitale Erbe dem analogen gleichzustellen ist – also ob Erben Chat-Nachrichten und E-Mails genauso lesen dürfen wie Briefe. Das Urteil soll am 12. Juli verkündet werden.

Worum geht es genau?

Ende 2012 wird die Tochter von einer einfahrenden U-Bahn erfasst, später stirbt sie im Krankenhaus. Die Umstände bleiben unklar: War es ein Unglück? Oder wollte das Mädchen nicht mehr leben? Die Eltern wünschen sich Gewissheit. Womöglich, denken sie, hat die Tochter auf Facebook Nachrichten ausgetauscht, die Licht ins Dunkel bringen könnten. Nach eigener Aussage hatten sie sich von dem Mädchen das Passwort sagen lassen. Aber als sie sich nach dessen Tod anmelden wollen, geht das nicht mehr: Das Konto ist schon im „Gedenkzustand“.

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    „Gedenkzustand“ – was bedeutet das?

    Facebook-Nutzer können einstellen, dass ihr Account nach ihrem Tod gelöscht werden soll. Tun sie das nicht, wird das öffentlich sichtbare Profil im „Gedenkzustand“ eingefroren und bekommt den Zusatz „In Erinnerung an“. Die Seite wird zu einer Art virtuellem Kondolenzbuch für die Bekannten des Verstorbenen. Anmelden kann sich bei dem Konto niemand mehr.

    Facebook aktiviert den „Gedenkzustand“, sobald jemand den Tod des Nutzers meldet. Wer das im Fall ihrer Tochter getan hat, wissen die Eltern nicht. Sie hatten darauf keinen Einfluss. Mit ihrer Klage will die Mutter erstreiten, dass sie als Erben das Konto mit sämtlichen persönlichen Inhalten einsehen dürfen.

    Warum weigert sich Facebook?

    Der Konzern hat zwar immer wieder betont: „Wir fühlen mit der Familie und verstehen ihren Wunsch.“ Vorrang hat für das Netzwerk aber das Interesse der Facebook-Kontakte des Mädchens am Schutz ihrer Daten.

    Heißt konkret: Wer mit der Tochter private Nachrichten ausgetauscht hat, hat nicht damit gerechnet, dass die Eltern diese eines Tages zu sehen bekommen. Deshalb gibt Facebook die Inhalte nicht heraus. Auch eine Sichtung des Kontos etwa durch einen Mitarbeiter wird abgelehnt.

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      Wie sehen die Gerichte den Fall?

      Der Prozess durch alle Instanzen bedeutet für die Eltern ein kräftezehrendes Hin und Her. Ende 2015 entscheidet das Berliner Landgericht, dass sie das Facebook-Konto mitgeerbt haben und damit auch einsehen dürfen. Im Mai 2017 korrigiert das Kammergericht Berlin dieses Urteil zugunsten von Facebook. „Es fällt uns nicht leicht, die Entscheidung so zu fällen“, sagt der Vorsitzende Richter damals. Aber der Senat sieht sich an das Fernmeldegeheimnis gebunden.

      Seiner Auffassung nach dürfte Facebook die Konto-Inhalte nur dann herausgeben, wenn sämtliche betroffenen Kontakte des Mädchens dem zuvor zugestimmt hätten. Das letzte Wort hat jetzt der BGH.

      Warum ist das Interesse an dem Streit so groß?

      Einmal natürlich wegen der menschlichen Dramatik. Das zugrundeliegende Problem betrifft aber längst nicht nur die Berliner Familie und auch nicht nur Facebook-Nutzer. Während private Dokumente wie Briefe oder Tagebücher in der Regel an die Erben gehen, ist das bei digitalen Inhalten keine Selbstverständlichkeit. Denn oft liegen die E-Mails, Fotos oder Chatprotokolle eben nicht auf der heimischen Festplatte oder einem Speicherstick, sondern auf einem Rechner im Internet („Cloud“).

      Was mit diesen Daten passiert, steht derzeit nur zweifelsfrei fest, wenn der Verstorbene dazu etwas verfügt hat. Bei Facebook etwa ist es inzwischen möglich, einen „Nachlasskontakt“ zu benennen, der sich um das Profil nach dem Tod in gewissem Umfang kümmern kann.

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        Was ändert ein höchstrichterliches Urteil?

        Die Erbrechts-Spezialistin Stephanie Herzog hofft, dass der BGH den Fall nutzt, um die Rechtslage zum digitalen Erbe möglichst umfassend zu klären. „Wir haben im Moment große Rechtsunsicherheit“, sagt die Anwältin, die im Deutschen Anwaltverein dem Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Erbrecht angehört. Die Provider mauerten auch deshalb, weil sie nicht sicher sein könnten, was Recht und Gesetz ist.

        Für Herzog ist es ein überfälliger Schritt, dass Erben uneingeschränkten Zugang zum digitalen Nachlass bekommen. „Eine ordnungsgemäße Nachlass-Abwicklung wird sonst unmöglich“, sagt sie. Denn die relevanten Informationen finden sich längst nicht mehr alle in Aktenordnern. Vieles Wichtige steht in E-Mails oder Chats. (dpa)