Berlin. Einige Studien belegen die schädliche Wirkung bestimmter Insektizide auf Bienen. Nun könnte die EU den Einsatz im Freien untersagen.

Die Biene und das Sterben werden in diesen Tagen häufig in einem Atemzug genannt: Das Bienensterben treibt die Imker um, die Umweltschützer, die Innenpolitik, die Politik auf europäischer Ebene und auch die Landwirte. So kommt es, dass am Freitag jene Gifte auf der Tagesordnung des Bundestages stehen, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zumindest teilweise zum Verschwinden ganzer Bienenvölker beitragen: Neonikotinoide.

Die Insektizide mit dem sperrigen Namen schützen zwar Saat und Frucht vor sogenannten Schädlingen, töten aber auch Bienen und andere Nützlinge. Das ist in unzähligen Studien nachgewiesen und unumstritten. Trotzdem dürfen die Mittel mit Einschränkungen weiter eingesetzt werden. Das könnte sich nun ändern.

Bundestag debattiert am Freitag über ein Verbot

Die EU-Mitgliedstaaten wollen in der nächsten Woche in Brüssel über ein Freilandverbot für drei Mittel aus der Wirkstoffgruppe der Neonikotinoide abstimmen. Am Freitag berät der Bundestag über einen Antrag der Grünen, der ebenjenes Verbot unterstützt.

Konkret geht es um die Mittel Clo­thianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam. Deren Einsatz hat die EU nach einer Beurteilung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) 2013 stark eingeschränkt. So dürfen sie etwa nicht während der Blütezeit eingesetzt werden. Außerdem beauftragte die EU-Kommission die Efsa anschließend mit einer erneuten Bewertung. Deren Ergebnis lag Ende Februar vor: gefährlich für Honig- und Wildbienen.

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    Der giftige Nektar kann dem ganzen Volk gefährlich werden

    Neonikotinoide werden für die Beize des Saatguts und als Spritzmittel für Pflanzen verwendet. Eine tödliche Dosis hemmt die Nervenzellen der Insekten, lähmt die Tiere, sie verenden. „Merkt eine Biene, dass sie vergifteten Nektar aufgenommen hat, fliegt sie erst gar nicht zurück zu ihrem Stock – um das Volk zu schützen“, sagt Professor Ralf Einspanier von der Freien Universität (FU) Berlin.

    Er leitet dort das Institut für Veterinär-Biochemie. Merkt die Biene es aber nicht, weil die Konzentration gering ist, kann das dramatische Auswirkungen auf das gesamte Volk haben: Sie bringt den giftigen Nektar zurück und füttert damit die Larven. Der Nachwuchs stirbt, ist geschädigt oder kann stark entwicklungsverzögert sein.

    Die Biene vergisst, welche Aufgabe sie im Stock hat

    Neben dieser toxischen gibt es noch eine schleichende Wirkung. „Das Lern- und Erinnerungsvermögen der Tiere wird beeinträchtigt. Das Gift hat eine chronische Wirkung auf das Nervensystem“, sagt Einspanier, der auch die Arbeitsgruppe Bienengesundheit an der FU leitet. Die Bienen, sonst ausgestattet mit einer hervorragenden Fähigkeit zur Navigation, finden den Weg zum Stock nicht mehr – oder sie vergessen, welche Aufgabe sie in der Gemeinschaft haben, etwa das Füttern der Larven. Tragisch in einer Gemeinschaft, in der jedes Individuum auf das andere angewiesen ist.

    Und nicht nur Bienen sind von der Wirkung der Neonikotinoide betroffen. „Auch Schmetterlinge, Käfer, Ameisen und Regenwürmer leiden darunter“, sagt Corinna Hölzel vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (Bund). „Und in der Folge auch Vögel und Fledermäuse, denen es an Nahrung fehlt“, sagt die Referentin für Bienen und Pestizide.

    Bundesregierung wird sich wohl für Verbot aussprechen

    Die Bundesregierung wird sich aller Voraussicht nach für ein Freilandverbot aussprechen. Die bei diesem Thema federführende Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat inzwischen ihre Zustimmung zu dem Vorschlag der EU-Kommission signalisiert.

    Doch nicht die drei Wirkstoffe, über deren Verbot nun abgestimmt wird, und auch nicht die gesamte Gruppe der Neonikotinoide sind allein schuld an einem Sterben der Bienen, sind sich Experten einig. „Bei den Bienen sind die Völkerverluste so groß, dass es nicht nur ein Insektizid sein kann, das den Tieren zusetzt“, sagt Ralf Einspanier.

    Umweltverbände fordern Komplettverbote

    Aus Sicht von Umweltschutzverbänden wie Bund und Naturschutzbund (Nabu) kann ein Verbot der drei Wirkstoffe nur ein erster Schritt sein. Sie fordern ein Komplettverbot der Neonikotinoide. Und auch dann bleibe die Sorge, dass die verbotenen Insektizide durch andere ersetzt werden, sagt Harald Ebner (Grüne), Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Agrarausschuss: „Wenn lediglich der eine oder andere Giftstoff durch neue, genauso gefährliche Stoffe ersetzt wird, ist am Ende wenig gewonnen.“ Bedenken, die Corinna Hölzel teilt: „Andere Insektizide sind vielleicht einzeln nicht so toxisch, aber in Kombination etwa mit Pilzmitteln eben doch.“

    Auch das angestrebte Verbot einer Ausbringung der Neonikotinoide im Freiland geht dem Bund nicht weit genug. „Gewächshäuser sind kein geschlossenes System“, sagt Hölzel. „Die Neonikotinoide sind langlebig und wasserlöslich. Landen sie im Grundwasser, sind sie lange Zeit nicht mehr aus der Umwelt zu bekommen.“

    Landwirtschaft ist auf Pflanzenschutzmittel angewiesen

    Doch die Landwirtschaft ist auf den Schutz vor Schädlingen angewiesen. Bislang mangele es jedoch an wirksamen Alternativen zu den Neonikotinoiden, heißt es von Vertretern der Agrarwirtschaft. „Um Qualität und Erträge abzusichern, brauchen wir Pflanzenschutzmittel“, sagt Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Ohne die gehe es nicht, weder in der ökologischen noch in der konventionellen Landwirtschaft. „Sollten wir jetzt eine effektive Wirkstoffgruppe verlieren, um unsere Pflanzen vor Schädlingen zu schützen, ist es eine echte Herausforderung, Alternativen zu entwickeln und neue Produkte schnell zur Zulassung zu bringen“, sagt Rukwied.

    Der Bund für Umwelt und Naturschutz sieht die Lösung in einer anderen Art der Landwirtschaft. „Es gibt Ansätze, die auch sehr gut in der konventionellen Landwirtschaft umgesetzt werden können“, sagt Corinna Hölzel. Etwa Lebensräume für Nützlinge zu schaffen, wie Hecken oder sogenannte Käferbänke, sowie breite bewachsene Feldränder, die den Nützlingen Unterschlupf bieten. „Denn jeder Schädling hat seinen Nützling.“ Auch eine breitere Fruchtfolge kann den Einsatz von Insektiziden reduzieren. Denn der Anbau der immer gleichen Frucht fördert starke Schädlingspopulationen.

    Auch Mensch kommt mit Neonikotinoiden in Berührung

    Bislang ist es vor allem das Sterben der Bienen, das Politiker und Umweltschützer umtreibt. Immerhin gehört die Honigbiene in Deutschland neben Rind und Schwein zu den drei wichtigsten Nutztieren. Zwei Milliarden Euro pro Jahr ist ihre Bestäubung von Obst- und Gemüsepflanzen wert. Doch auch der Mensch kommt mit den Neonikotinoiden in Berührung, wie Forscher zeigen konnten. Sie wiesen in 75 Prozent der untersuchten Honigproben aus aller Welt mindestens ein Neonikotinoid nach. Die Werte lagen jedoch unter der Grenze, ab der sie in der EU als bedenklich gelten, so die Forscher im Fachblatt „Science“.