Jelling. Dänemark hat zwischen Nord- und Ostsee mehr zu bieten als lediglich Dünen, Strand und Ferienhaus-Idylle – zum Beispiel Welterbestätten.

Dänemark? Klar, kennt man. Nordsee, Ostsee, Ferienhäuser in den Dünen; Strand, wohin das Auge reicht; ideal, wenn man Kinder hat. Das stimmt alles, aber es reicht nicht aus, um ein Land zu beschreiben, das so viel mehr zu bieten hat als Strandurlaube. Allein die Region, die von Deutschland aus am schnellsten zu erreichen ist, nämlich Südjütland, wartet mit drei Unesco-Welterbestätten, einigen quirligen Städten und einem Weltklasse-Regionalmuseum auf.

Dabei misst sie mal gerade eben 150 Kilometer von Nord nach Süd und höchstens 100 von Westküste bis Ostsee. Wer nicht im Hochsommer anreist, bekommt von Horizont bis Zenit ein überirdisches Dauerspektakel geboten: Der Himmel über Jütland ist ganz großes Kino.

Über Jelling knetet der Wind die Wolken durch wie ein Bäcker den Teig. Windjackenwetter. Søren Mols hat deshalb auch eine an. Er steht vor einem Hügel mit einem Fahnenmast, der keine Fahne trägt. Das ist in Dänemark ungewöhnlich. Wo auch immer ein Stück Holz senkrecht aus dem Boden ragt, hängt ein Dannebrog, die dänische Nationalflagge, daran. Hier nicht. Dabei ist der Hügel und alles darum nicht nur Welterbe, sondern Nationalheiligtum. Hier wurde Dänemark erfunden. Über 1000 Jahre ist das nun her. Trotzdem hängt keine Fahne am Mast. Søren Mols wird noch erklären, warum. Später.

Ein Silberbecher steht für den wikingerzeitlichen Kunststil

Museumsführer Mols hält einen kleinen Silberbecher in unsere Richtung. Es ist nur eine Replik. Das Original steht in einer Vitrine im Museumsgebäude. „Der Becher war der einzige nennenswerte Fund im Grabhügel“, sagt er, „keine Leichname, keine weiteren Grabbeigaben, aber auch keine Spur von Plünderung.“ Der Becher machte Jelling weltberühmt. Nach der Art, wie er verziert ist, mit Tierdarstellungen aus der nordischen Mythologie in verschlungenen keltischen Knotenmustern, ist ein ganzer Kunststil benannt: der Jelling-Stil. Es war der elaborierteste Kunststil der Wikingerkultur, beeinflusst von Beutestücken aus Irland und Nordengland. Die galten bei Wikingern als Statussymbol. Die heimischen Kunsthandwerker mussten sich anpassen. Es war auch der letzte Kunststil der Wikinger.

Der Grabhügel, über dem die ­Wolken Spektakel machen, ist der von ­König Gorm (ca. 900–958) und seiner Frau Thyra. Als diese 935 starb, wurde sie im Grabhügel beigesetzt, und Gorm ließ einen Gedenkstein meißeln. „König Gorm errichtete dieses Denkmal für Thyra, seine Frau, die Zierde Dänemarks“, steht darauf in groben Runen. Der Stein ist die Urkunde, auf der zum ersten Mal der Name Dänemark ­auftaucht, und dafür, dass das Land einen ­König hatte.

Den Runenstein betrachten die ­Dänen als Geburtsurkunde des Landes. Gleich daneben steht ein zweiter, größerer. Ihn ließ Gorms Sohn und Nachfolger Harald Blauzahn errichten. Der war zum Christentum konvertiert, erklärte alle seine Untertanen zu Christen und ließ dies auf dem Stein festschreiben. Diesen Stein bezeichnen die Dänen als Taufschein des Landes. Die Christusfigur des Steins – natürlich im Jelling-Stil gestaltet – ziert seit 1995 den dänischen Reisepass. Für die Dänen ist Jelling eine Pilger­stätte. Die Steine sind Weltkulturerbe. Das dänische Nationalmuseum hat hier ein topmodernes, interaktives Besucherzentrum eingerichtet, in dem die Besucher in die Wikingerzeit eintauchen können.

Ungewöhnlich gestaltet ist auch das Wattenmeerzentrum bei Ribe

Präsentation ist etwas, das die dänischen Museen großschreiben. Ein Beispiel dafür ist der Museumskomplex Tirpitz zwischen Blåvand und Esbjerg. Ein alter Bunker des deutschen Atlantikwalls aus der Besatzungszeit bildet die Keimzelle der Anlage. Der Komplex ist für den Jahrespreis von „Architec­ture Daily“ nominiert. Tirpitz beherbergt drei Ausstellungen, die vorher separat voneinander untergebracht waren: das Bunkermuseum, das hier schon immer war, das Westküsten-Heimatmuseum und das Bernsteinmuseum.

Ebenfalls ungewöhnlich gestaltet ist das Wattenmeerzentrum bei Ribe. Die Außenwände des Ausstellungsgebäudes zur Weltnaturerbestätte süddänisches Wattenmeer sind komplett aus Reet gefertigt. Innen erlebt man auf einigen Hundert Quadratmetern, wofür man sonst die ganze Weite des Küstenvorlandes durchstreifen müsste: Zugvögel, Plattfische, Sand und Schlick. Sogar ein Stück des spektakulären Himmels haben die Museumsmacher nachgebaut. Hunderte digitale Bildschirme an der Saaldecke geben dem Besucher die Illusion, in einem Vogelschwarm zu stehen.

Über Jelling sind die Wolken mittlerweile in Bewegung geraten. Sie jagen über den Himmel wie eine Tierherde. Søren Mols nimmt uns mit aufs Gelände. Wir stehen zwischen Steinplatten, die wie ein Schiffsbug angeordnet sind, und gerade gereihten Steinsäulen. „Jahrhundertelang dachte man, die Grabhügel, die Kirche und die Runensteine seien die einzigen Zeugnisse der Vergangenheit“, sagt Mols, „aber es gab ungewöhnlich viele große Feldsteine, die beim Pflügen hochkamen. Erst ab den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckte man Muster in den Fundstellen.“ Die zunächst sporadischen Grabungen zogen sich bis 2006 hin. Dann war klar, dass man die größte je gefundene Schiffssetzung freigelegt hatte. „Schiffssetzungen kannte man. Es waren Wikingerfriedhöfe in Schiffsform. Nur waren alle, die man bis dahin gefunden hatte, kleiner – so groß wie ein Schiff damals tatsächlich war. Diese hier war fast 400 Meter lang mit Hunderten Grabsteinen!“, sagt Mols.

Die dänische Staatsflagge vor dem Museum darf nur sonntags gehisst werden

Neueste Datierungen ergaben, dass die Schiffssetzung unter König Gorm angelegt wurde, die Palisade von König Harald. Die Vermutung liegt nahe, dass sie stehende Heere anlegten. Damit dämmerte in Dänemark das Mittelalter, und die Zeit der Wikinger ging zu Ende. Alle Könige und Königinnen Dänemarks stehen offiziell in der Tradition Gorms, auch wenn es keine durchgängige Blutlinie gibt. Königin Margrethe II. ist Gorms 55. Nachfolgerin.

Jahrhundertelang lag die Denkmalpflege in der Hand des Dorflehrerseminars, das in der kleinen Stadt angesiedelt ist. Auch Søren Mols studierte hier. „Dass die Grabkammer leer war, erklären wir uns damit, dass Harald Blauzahn zum Christentum konvertiert war“, sagt er. „Wir vermuten, dass er seine ­Eltern umbetten ließ und in der Kirche bestattete, die er errichtet hatte.“

Mit dem Dorflehrerseminar hat übrigens auch der leere Flaggenmast vor dem Museum zu tun, ­erklärt Mols: ­König Frederik VII. war bei einem ­Besuch im Jahr 1857 so ­begeistert von der Arbeit des Seminars, dass er ihm ­gestattete, die dänische Staatsflagge zu hissen. Die sieht ähnlich aus wie der Dannebrog, hat aber noch zwei Wimpelzacken. „Die Staatsflagge darf eigentlich nur an Palästen, Ministerien und Universitäten wehen“, sagt Mols, „Deshalb gab es eine Einschränkung: Wir dürfen die Fahne nur sonntags hissen. Heute ist aber erst Sonnabend.“

Tipps & Informationen

Anreise Von Hamburg aus ist der Süden des Landes in rund drei Stunden Autofahrt zu erreichen beziehungsweise vier Stunden mit dem Zug nach Ribe, Esbjerg oder Vejle. Drei Stunden dauert es nach Kolding. Fernbus nach Kolding: drei Stunden. Von Berlin aus: Direktflug Berlin-Billund mit Ryanair, eine Stunde, ab 20 Euro. Von NRW aus: Flüge von Düsseldorf nach Billund mit Zwischenstopps, ab 2,5 Stunden, ab 200 Euro.

Übernachten z. B. im Landgasthof Tyrstrup Kro, Christiansfeld, DZ ab 150 Euro, tyrstrupkro.dk;
Hotel Britannia, Esbjerg, DZ ab 130 Euro, britannia.dk; Vejle Center Hotel, DZ ab 88 Euro, vejlecenterhotel.dk

Auskunft Visit Denmark, Glockengießerwall 2, 20095 Hamburg, Tel. 0180 / 5 32 64 63, www.visitdenmark.com

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch die Hamburg Messe und Congress GmbH sowie Visit Denmark)