London. Seit Tagen schimpft Boris Johnson auf die geplante Super League. Im fußballverrückten England weiß der Premier eine überwältigende Mehrheit hinter sich. Die Regierung bastelt an einer Drohkulisse, die Fans gehen auf die Straße. Mit Erfolg.

Sie jubeln, als hätte ihr FC Chelsea ein wichtiges Fußballspiel gewonnen. Dabei haben die Spieler des deutschen Trainers Thomas Tuchel ihre Partie gegen Brighton noch gar nicht begonnen.

Doch als sich in sozialen Netzen die Nachricht verbreitet, dass die Blues aus der umstrittenen Super League wieder aussteigen, liegen sich die Fans vor dem Stadion in den Armen - trotz der Pandemie. Wenige Stunden später bestätigt Manchester City als erster Teilnehmer der Super League den Rückzug, danach fallen auch die weiteren Clubs von der Insel. Der FC Liverpool, Manchester United, Tottenham Hotspur, der FC Arsenal - alle sagen "Sorry" und stampfen ihre Pläne von der elitären Liga ein. Die Fans fühlen sich als Sieger.

Zwei Tage hatten sie lautstark gegen die Super League protestiert, ihre eigenen, sonst so heiß geliebten Clubs verteufelt für ihre geplante Teilnahme an einer geschlossenen Veranstaltung für die finanzstärksten Vereine. Die Emotionen im selbst ernannten Mutterland des Fußballs kochten hoch. Ex-Stürmerstar Alan Shearer, forderte die Premier League auf, eine "Handgranate" zu werfen, von "Krieg" war die Rede, Jürgen Klopps FC Liverpool stand im Fokus der Kritik.

Die Pläne des "dreckigen Dutzend", wie die zwölf Gründungsmitglieder von der britischen Presse genannt werden, sorgen für massiven Widerstand und martialische Worte. Fans, Ex-Spieler und Medien sind empört, Premierminister Boris Johnson kündigte öffentlichkeitswirksam in der "Sun" an, dem "lächerlichen" Milliardenprojekt die Rote Karte zu zeigen. Sein Sportminister Oliver Dowden stellte drastische Ideen vor, um die "Big Six", die englischen Spitzenvereine, von einer Teilnahme abzuhalten. Sogar Prinz William - Präsident des nationalen Verbandes FA - mischte sich ein.

Am Dienstagabend schien der massive Druck von allen Seiten Wirkung zu zeigen. Noch bevor Manchester City seine Mitteilung rausgeschickt hatte, feierten Kritiker wie Ex-Nationalspieler Gary Neville auf Twitter bereits das Ende des Milliardenprojekts.

Dem deutschen Trainer des englischen Meisters FC Liverpool, Jürgen Klopp, war deutlich anzumerken, wie zerrissen er ist zwischen der persönlichen Abneigung gegen die Super League und der Loyalität zu seinem Arbeitgeber. Auch Liverpool hatte sich den Plänen angeschlossen. Ja, er bleibe dabei, dass er die Super League ablehne, aber zurücktreten wolle er nicht, so Klopp noch am Montagabend.

Liverpools James Milner stellte sich nach dem mageren 1:1 bei Leeds United als erster Profi eines der Rebellen-Clubs öffentlich gegen die Pläne, während die Leeds-Profis mit T-Shirts gegen das Vorhaben protestierten. "Earn it" (Verdient es) stand dort unter dem Champions-League-Logo. Vor dem Stadion verbrannten Fans ein Liverpool-Trikot, am heimischen Stadion an der legendären Anfield Road hingen Protestplakate. "Schande", "Diebstahl", "Zerstörung": Die britischen Zeitungen überschlugen sich auf ihren Titelseiten mit Anschuldigungen gegen die Super League.

Sechs Vereine aus der englischen Eliteliga wollten sich an der neuen Liga beteiligen. Mit Ausnahme der Spurs, die einem britischen Investmentunternehmen gehören, stehen Milliardäre aus den USA, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten als Eigner hinter den traditionsreichen Clubs. Auch die meisten anderen Erstligisten sind im Besitz von Konzernen oder reichen Individuen. Anders als in Deutschland, wo Konzerne und Privatpersonen wegen der 50+1-Regel - offiziell - nicht die Mehrheit an einem Fußballclub halten dürfen, ist das Prozedere in England seit Jahren akzeptiert.

Doch der Super-League-Vorstoß droht, die gesamte Fußball-Landschaft zu verändern. Einerseits könnte sich die Eigentümerstruktur verändern. Sportminister Dowden drohte den Clubs mit dem "deutschen Modell" einer Fan-Mehrheitsbeteiligung. Andererseits wäre die Premier League ohne die "Big Six" ein Scherbenhaufen. Jedem Club hätten Einbußen in Höhe von Dutzenden Millionen Pfund bei TV-Geldern gedroht, wenn die stärksten Teams nicht mehr mitgemischt hätten.

Das Interesse an der Premier League werde deutlich nachlassen, wenn die Teams, die in wichtigen, finanzstarken Märkten wie China oder arabischen Ländern Millionen Anhänger zählen, nicht mehr dabei sind, warnten Experten. Und auch auf die anderen Ligen werde sich der Exodus der Topclubs auswirken, weil Solidaritätszahlungen ausbleiben würden. Der Rückzug ihrer Clubs lässt die Premier League nun aufatmen. Das Geschäftsmodell dürfte gerettet sein.

Denn ohne die englischen Clubs ist das Modell gescheitert. Auch der Druck der britischen Regierung, mit massiver Abschreckung die Vereine auf Linie zu bringen, zeigte Wirkung. Zu den Maßnahmen, die Minister Dowden im Parlament vorschlug, gehörten Extrasteuern, eine geringere Anzahl von Sicherheitskräften an Spieltagen sowie eine Verweigerung der Arbeitserlaubnis für Neuzugänge aus dem Ausland. Damit setzte sich die Regierung selbst stark unter Druck. Alles andere als eine Kehrtwende der sechs Vereine wäre als politisches Versagen angesehen worden. In der Nacht zum Mittwoch war das Thema erledigt.

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