Dublin. Wer im Norden Irlands unterwegs ist, merkt kaum, wann er von der Republik ins Vereinigte Königreich kommt. Der Brexit könnte das ändern.

Spot und sechs andere Border Collies springen wild bellend auf dem Hof von Farmer Joe Joyce umher. Jeder will – jetzt! sofort! – zeigen, was er kann: Schafe hüten.

Joyce züchtet seit 20 Jahren Hütehunde ­inmitten einer Fototapetenlandschaft aus ­grünen Hügeln an einem malerischen See in der irischen Grafschaft Galway. Inzwischen ist er eine Berühmtheit: Im Vorraum zu seinem Wohnhaus stehen Fotos, die ihn mit Jennifer Aniston, Owen Wilson und Calista Flockhart zeigen, die hier gedreht haben. Der Hunde ­wegen.

Ein Hauch von Hollywood in einer ­Gegend, wo der Nachbar 15 Kilometer entfernt wohnt.

Ohne EU-Subventionen ginge hier nichts

Eigentlich ist Joyce Schaffarmer, doch ­leben könnte er davon nicht. 60 bis 70 Schafe verkauft er pro Jahr, zu einem Stückpreis von 30 Euro. Ohne EU-Subventionen ginge hier nichts, doch Joyce sieht diese keineswegs als Almosen: „Ich sorge für Lammfleisch, meine Kollegen in Deutschland oder Frankreich, die ja auch EU-Gelder bekommen, für Wein und Milch. Am Ende sitzen wir alle zusammen am gedeckten Tisch.“

Außerdem werde er mit den Subventionen auch für die Pflege der Hügel und Berge bezahlt, auf denen seine Schafe ­grasen. Ohne sie wäre das Ökosystem in ­seiner immergrünen Heimat in Gefahr.

Dem Brexit, der die Farmer in England, Wales und Nord­irland massiv treffen werde, sieht er mit un­guten Gefühlen entgegen und hofft vor ­allem, dass es keine neue harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland gibt, die den einigermaßen befriedeten Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten wieder aufflammen lassen könnte. Es läuft doch eigentlich alles so gut gerade.

Ohne Grenze ist Irland vereint in der Schönheit der Natur

Wie präsent dieser Konflikt immer noch ist, zeigen Abstecher nach Belfast und Derry in Nordirland. Die protestantischen und katho­lischen Viertel sind klar voneinander ­getrennt, bisweilen durch hohe Mauern und Zäune. Große Wandbilder, die sogenannten Murals, preisen wahlweise Scharfschützen oder Hungerstreikende.

Mal sind die Bürgersteige in den britischen Farben gestrichen, mal fordern Plakate unmissverständlich auf, unter keinen Umständen mit den britischen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten.

Die Wunden des Bürgerkriegs sind auch 20 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen noch nicht völlig verheilt, doch die meisten Menschen hier hoffen einfach auf eine weiterhin friedliche Zukunft.

Ein Ausflug zu den Titanic Filmstudios

Beispielsweise die Taxifahrer Sam und Brian, der eine Katholik, der andere Protestant. Freunde, die Touristen in Belfast zu den geschichtsträchtigen Orten führen und sich freuen, dass Nordirland heute vor allem positive Schlagzeilen macht.

Wie durch die Titanic Filmstudios („Game of Thrones“), das futuristisch anmutende Titanic-Museum, das in jenem ehemaligen Ha­fengebiet liegt, in dem die „Titanic“ gebaut wurde, oder die 11.000 Besucher fassende SSE Arena, in der schon Weltstars wie Bruce Springsteen, Adele und U2 gespielt haben.

Belfast und Derry sind mehr als einen ­Tagesausflug wert und haben in den Jahren nach dem Bürgerkrieg mit einiger Anstrengung ein touristisches Potenzial entwickelt, das bei Naturereignissen wie dem Gobbins Path oder dem Giants Causeway nördlich von Derry ohnehin vorhanden ist.

Sind beim Gobbins Path noch Helm und fachkundige Führung notwendig, um entlang der Steilküste über Brücken, in den Fels geschlagene Treppen oder durch Höhlen zu wandern und eine spektakuläre Aussicht zu erleben, kann der Giants Causeway, seit 1986 Unesco-Welterbestätte, auf eigene Faust in Angriff ­genommen werden.

Die Slieve Leagues gehören zu den höchsten Steilklippen Europas

Bei unserem Besuch regnet und stürmt es – perfektes Wetter, um das Kräftespiel der ­Natur auf der eigenen Haut zu spüren und die riesigen Flächen voller 60 Millionen Jahre ­alter Basaltsäulen zu bewundern.

40.000 sollen es hier am Meer sein, die unter diesen Witterungsbedingungen nur die Mutigsten (oder Leichtsinnigsten) erklettern. Danach, ordentlich durchgepustet, auf ein Guinness und einen Connemara Whiskey in den Pub: Mehr irische Lebensqualität geht kaum.

Moment: Irisch? Oder doch noch nordirisch? Zu unterscheiden ist das hier, mitten in der Natur und auf den Dörfern, kaum. Wer die Grenze passiert, merkt das nicht einmal. ­Keine Schilder, schon gar keine Schlagbäume. Die „Grüne Insel“ ist vereint in der Schönheit ihrer Natur, die uns bei der Wanderung durch den Glenveagh-Nationalpark im County Donegal einmal mehr den Atem raubt.

600 Meter hohe Steilklippen - ein Traum für Wanderer

Wir wandern entlang des Sees Lough Veagh vorbei an Wasserfällen und durch Moos überwachsene Wälder, bis wir in der Ferne irgendwann Glen­veagh Castle erblicken, ein idyllisch gelegenes Schloss mit viktorianischer Parkanlage im größten der sechs irischen Nationalparks.

Das nicht sehr luxuriöse, aber urige Nesbitt Arma Boutique Hotel im nahen Ardara ist ideal, um am Abend die Eindrücke des ­Tages Revue passieren zu lassen. Ardara ist ein Dorf, das dezent-würzig nach den Torffeuern ­duftet, die hier die Wohnungen beheizen. Runterkommen, innehalten: Mitten in Europa ist der Alltag unendlich weit entfernt.

Dabei folgt der Höhepunkt der Reise erst am nächsten Tag, als es zu den Slieve Leagues geht. Mit etwa 600 Metern gehören sie zu den höchsten Steilklippen Europas und sind ein Traum für Wanderer.

Die allerdings sollten gut vorbereitet sein auf die Wetterkapriolen, die für diese Gegend typisch sind. Gerade noch hatte unsere Führerin „Ich glaube, da kommt gleich was runter“ gerufen, schon peitscht ein mächtiger Guss über die Klippen. Wer sich nicht rechtzeitig den Regenponcho übergeworfen hat, ist augenblicklich durchnässt – aber nach wenigen Minuten dank Wind und sofort einsetzendem Sonnenschein wieder getrocknet.

Amerikanische Besucher trinken auf ihre Vorfahren

Die Urgewalt des Nordatlantiks unter uns, die Ehrfurcht gebietenden Felsforma­tionen, die tief hängenden Wolken, immer wieder fortgetrieben vom kräftig blasenden Wind: Wir sind unverkennbar auf dem Wild Atlantic Way, einer insgesamt etwa 2500 Kilometer langen Route entlang der (nord-)irischen Küste, die vor Naturspektakeln nur so strotzt.

Ein Touristenmagnet, auf dem sich ob seiner Ausdehnung die Wanderer allerdings einigermaßen verlieren – um den Platz für das beste Foto muss hier nirgendwo gestritten werden.

Ein wenig anders sieht es in dem nur 145 ­Einwohner zählenden Örtchen Cong im County Mayo aus. Ganze Heerscharen amerikanischer Touristen fallen dort Tag für Tag ein, auf den ­Spuren eines Hollywoodfilms, der für sie und ihre Familien eine große ­Bedeutung hat.

Selfie mit Filmstars

Im Jahr 1952 ­drehten John Wayne und Maureen O’Hara hier unter der Regie von John Ford „The Quiet Man“ (deutsch: „Der Sieger“) über einen Mann, der aus den USA in die irische Heimat zurückkehrt und dort die Liebe seines Lebens findet.

Für viele ältere Amerikaner mit irischen Wurzeln bietet dieser Film eine Reise in die eigene Vergangenheit. Die Menschen in Cong haben das zu nutzen gewusst. Es gibt nicht nur eine als Selfie-Motiv sehr beliebte Statue, die Maureen O’Hara in den Armen von John Wayne zeigt, sondern zudem ein Quiet-Man-Museum mit der Möglichkeit für Paare, in die (nachgemachten) Filmkostüme zu schlüpfen und sich fotografieren zu lassen.

Auch die zahlreichen Andenkenshops und Restaurants verdienen sehr gut an den Amerikanern, die hier regelrechte Heimatgefühle entwickeln.

Wer einmal hier war, will immer wieder zurück

Und die statt des sonst geliebten Bourbon auch mal einen Single Malt Whiskey trinken. Einige der besten irischen werden etwa 90 Kilometer westlich von Dublin hergestellt, in der Kilbeggan Distillery, deren Anfänge in das Jahr 1757 zurückreichen.

Bei einem Rundgang sind tatsächlich einige sehr alte Kupferkessel zu ­sehen, in denen der Whiskey (die irische Vari­ante schreibt sich mit e!) gebrannt wurde, doch auch Kilbeggan ist längst Teil eines ­modernen, weltweit operierenden Unternehmens und im Besitz des japanischen Getränkeherstellers Suntory.

An der Qualität des Portfolios, zu dem auch die Marken The ­Tyrconnell und Connemara gehören, hat das allerdings nichts geändert.

Noch ein letzter wärmender Schluck, dann heißt es Abschied nehmen von der Insel. Doch wer einmal hier war, der wolle immer wieder zurück, sagt unsere Reiseleiterin, und sie muss es wissen, kam sie doch vor 20 Jahren als Au-pair nach Irland – und blieb.

Es ist schon so: den Wild Atlantic Way bezwingen, ins Nachtleben von Belfast eintauchen, noch einmal den Hunden auf der Farm von Joe Joyce das weiche Fell kraulen – Gründe, um immer wieder zu kommen (oder tatsächlich zu bleiben), gibt es genug.

Tipps & Informationen

Flüge ab Hamburg z. B. mit Ryanair oder Air Lingus nach Dublin.

Pauschal „Irland – Per Pedes von Küste zu Küste“, zum Beispiel 13 Tage von Dublin bis Enniskerry inklusive zwölf Übernachtungen, Halbpension und Reiseleitung pro Person ab 1589 Euro; www.dertour.de; achttägige geführte Wanderreise Irland/Nordirland, ab 1275 Euro, www.wikinger-reisen.de

Wild Atlantic Way Ausführliche Informationen unter www.wildatlanticway.com (englischsprachig) und www.wild-atlantic-way.de (deutschsprachig)

(Die Reise wurde unterstützt durch DER Touristik und Aer Lingus. )