Berlin. Für mehr Klimaschutz soll es weniger Anreize geben, mit dem Flugzeug zu reisen. So schwebt es den Kanzlerkandidaten von SPD und Grünen vor. Industrieverbände warnen vor Gefahren für die Wirtschaft.

Nach SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat auch Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock angekündigt, Flugreisen im Fall einer Regierungsübernahme unattraktiver machen zu wollen.

Im Interview mit der "Bild am Sonntag" machte sie deutlich, dass sie perspektivisch für die Abschaffung von Kurzstreckenflügen ist. Auch Billigpreise wie 29 Euro für Mallorca-Flüge dürfe es nicht mehr geben, wenn man es mit der Klimapolitik ernst meine, sagte Baerbock der Zeitung: "Jeder kann Urlaub machen, wo er will. Aber eine klimagerechte Besteuerung von Flügen würde solche Dumpingpreise stoppen."

Auch SPD-Kanzlerkandidat Scholz hatte vor wenigen Tagen in der Sendung "ProSieben Spezial Live" erklärt, gegen Billigflüge vorgehen und eine Preisgrenze setzen zu wollen. Die FDP, die an diesem Wochenende ihr Programm für die Bundestagswahl verabschiedet, plädiert dagegen für technische Lösungen anstelle von Verboten. Industrieverbände warnten am Sonntag davor, die Produktion in Deutschland durch zu ambitionierte Klima-Vorhaben zu gefährden. Die Union reagierte mit Ablehnung auf die Vorschläge der Grünen-Kanzlerkandidatin zum Flugverkehr der Zukunft.

Baerbock nannte es nicht fair, wenn mit Steuergeld Kerosin subventioniert werde, während Fernfahrten mit der Bahn gerade zu Stoßzeiten teuer seien. "Wer als Familie mit dem Zug reist, sollte doch weniger zahlen als für die Kurzstrecke im Flugzeug", sagte sie. "Und ja, Kurzstreckenflüge sollte es perspektivisch nicht mehr geben." Als Kanzlerin würde sie als erstes Gesetz ein "Klimaschutzsofortprogramm" auf den Weg bringen, das auch andere Neuregelungen wie etwa eine Solaranlagenpflicht für Neubauten mit sich bringen werde, erklärte Baerbock.

SPD-Kanzlerkandidat Scholz hatte argumentiert, dass kein Flug billiger sein dürfe "als die Flughafengebühren und alle anderen Gebühren, die dafür anfallen". Weitergehende Regelungen seien rechtlich schwierig. Das bedeute aber immerhin, "dass es sicherlich keinen (Flug) geben wird, der unter 50, 60 Euro dann sein wird", sagte Scholz. Auch das sei noch ziemlich günstig, gemessen an dem, was Flugreisen früher gekostet hätten. Auch der Linken-Bundestagsabgeordnete Jörg Cezanne forderte kürzlich eine Kerosinsteuer für Inlandsflüge, um das Tempo der Verlagerung auf klimafreundlichere Alternativen wie Zugreisen zu steigern.

Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft nannte die Analysen von Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock "unzutreffend" und forderte statt höherer Steuern eine EU-weite Regelung zur Verhinderung von Dumpingpreisen. Auch Unionsfraktionsvize Ulrich Lange (CSU) reagierte mit Ablehnung. "Es ist klar, dass der Flugverkehr seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten muss. Ein Verbot von Kurzstreckenflügen und massive Preiserhöhungen im Flugverkehr sind aber der falsche Ansatz", sagte Lange dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Montag). Wichtig sei, dass die Flugreise auch weiterhin für jeden finanzierbar bleibe. "Deshalb verbieten sich unverhältnismäßige Preiserhöhungen. Es wäre unsozial, wenn der Flug in den Urlaub ein Privileg für Wohlhabende würde. Das ist mit der CDU/CSU nicht zu machen", erklärte der Verkehrspolitiker.

Der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß, mahnte ebenfalls, dass Klimaschutz nicht auf Kosten der Urlaubsplanung einkommensschwacher Familien gehen dürfe. "Ich finde, Reisen und Fliegen müssen auch in Zukunft für jeden Geldbeutel möglich sein und nicht zum Luxus von einigen wenigen werden. Klimaschutz und CO2-Reduktion müssen intelligent und durch neue Technologien erfolgen. Wer glaubt, Verbote und unverhältnismäßige Preiserhöhungen sind das richtige Mittel, ist auf dem Holzweg", sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.

In seiner Rede beim Bundesparteitag der Liberalen betonte FDP-Generalsekretär Volker Wissing, dass der Klimaschutz für seine Partei als Wahrnehmung der Verantwortung für künftige Generationen bedeutsam sei. Die FDP setze auf technische Lösungen. Er nannte als Beispiel Verbrennungsmotoren, deren Verbot kein Sinn ergebe, wenn sie doch mit synthetischen Kraftstoffen klimaneutral betrieben werden könnten. Die Grünen plädieren für ein Ende des Verbrennungsmotors ab 2030. Gleichzeitig betonte Baerbock im Interview mit der "Bild am Sonntag", dass Autofahren weiter bezahlbar bleiben müsse. "Das heißt, Menschen, die jetzt kein Geld für ein neues E-Auto haben, werden wir unterstützen", sagte Baerbock.

Automobil- und Maschinenbauverbände äußerten am Wochenende große Wut über die Klimapolitik der Bundesregierung. "Es hilft dem Weltklima nichts, wenn wir die innovative Industrie in Deutschland zerstören und die Produktion in Regionen abwandert, in denen für das gleiche Ergebnis wesentlich mehr Kohlendioxid ausgestoßen wird", sagte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Sie sei sehr irritiert über "die Hast der Bundesregierung und die fehlende Folgenabschätzung mit ihrem Klimapaket", kritisierte Müller.

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