Berlin. Nach den Bund-Länder-Beschlüssen sollen Corona-Beschränkungen trotz angespannter Infektionslage schrittweise aufgehoben werden können - aber abgesichert durch Tests. Im Parlament stößt das auf Zweifel.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat die mit den Ländern vereinbarten Lockerungsmöglichkeiten für den Corona-Lockdown verteidigt.

Er setzt dafür auf Fortschritte bei Impfungen und Tests. Nötig sei nun "Umsicht beim Öffnen hin zu mehr Normalität", sagte der CDU-Politiker im Bundestag. "Ich kenne niemanden, der diese Pandemie nicht leid ist", sagte er. Die Pandemie sei aber noch nicht beendet.

Der Bundestag bestätigte daher mit den Stimmen von Union, SPD, Grünen und Linken das Fortbestehen einer "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" - eine wichtige Grundlage für die Maßnahmen gegen die Pandemie. Die FDP enthielt sich, die AfD votierte dagegen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten hatten am Vortag den Lockdown grundsätzlich bis zum 28. März verlängert. Es soll aber je nach Infektionslage viele Öffnungsmöglichkeiten geben. Mehrere Länder kündigten umgehend für die kommenden Tage konkrete Öffnungsschritte an. So will etwa Schleswig-Holstein ab Montag den Einzelhandel wieder vorsichtig aufmachen. Baden-Württemberg und Bayern planen weitere Lockerungen bei Schulen.

Spahn sagte, bei den Beratungen sei um eine schwierige Balance zwischen dem Bedürfnis nach Normalität und der Kontrolle über die Pandemie gerungen worden. Der Minister betonte: "Alles spricht dafür, dass das das letzte Frühjahr in dieser Pandemie wird." Die Opposition und Fachleute äußerten deutliche Kritik an den Beschlüssen.

Linke-Fraktionsvize Susanne Ferschl sagte im Bundestag mit Blick auf bislang abweichende Öffnungsschritte in den Ländern und immer neue Inzidenzgrenzwerte: "Das ist Willkür und keine Strategie." Die Menschen könnten nach einem Jahr Pandemie erwarten, dass die Regierung "Ordnung in dieses Chaos" bringe. Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink sagte, die Regierung habe es verschlafen, in zwölf Monaten Pandemie ein Infektionsschutzgesetz vorzulegen, das nachvollziehbar und rechtssicher sei. Es fehle eine Strategie für Tests, Impfungen und digitale Kontaktnachverfolgung.

Die FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus nannte den deutschen Impffortschritt im internationalen Vergleich "eine Schande". Die AfD verlangte, die epidemische Lage sofort aufzuheben. "Die epidemische Lage wird genutzt, um Grundrechtseinschränkungen zu legitimieren", sagte ihr Abgeordneter Robby Schlund. Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla forderte im Bundestag zudem "das geregelte Ende des Lockdowns so schnell wie möglich". Auch aus den Reihen der SPD kam leichte Kritik an den Beschlüssen der Bund-Länder-Runde. "Leider ist das, was gestern vereinbart worden ist, zwei Schritte vor und einer zurück", monierte die Abgeordnete Hilde Mattheis.

Der Mobilitätsforscher Kai Nagel von der TU Berlin befürchtet mehr Corona-Ansteckungen durch die beschlossenen Lockerungen bei privaten Kontakten. Nach Simulationen, die unter anderem auf anonymisierten Mobilfunkdaten beruhen, seien private Treffen bereits in den vergangenen Wochen der "kritischste Bereich" gewesen, neben Ansteckungen im eigenen Haushalt, sagte er.

Auch Intensivmediziner sehen die Lockerungen kritisch. "Ich rechne damit, dass wir durch die beschlossenen Öffnungsszenarien deutlich steigende Zahlen von Neuinfektionen erleben werden - und dann auch vermehrt Intensivpatienten mit Covid-19", sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, der Deutschen Presse-Agentur.

Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) hält die Beschlüsse des Spitzentreffens von Bund und Ländern dagegen für angemessen. "Man kann nicht eine Gesellschaft nach vier Monaten jetzt weiter im Winterschlaf halten. Deshalb sind diese Öffnungsschritte richtig", sagte Braun am Donnerstag im ARD-"Morgenmagazin."

Bundesgesundheitsminister Spahn betonte, dass Schnelltests verfügbar seien, die ab kommender Woche als kostenloses Angebot für alle Bürger ermöglicht werden sollen. Laut Ministerium liegen 150 Millionen Schnelltests nach Herstellerangaben bereits heute auf Halde und könnten direkt geliefert werden. Länder und Kommunen müssten diese nur abrufen. Teils geschehe das schon, etwa für Pflegeheime. Der Bund habe mindestens 800 Millionen Schnelltests über nationale und europäische Rahmenvereinbarungen für dieses Jahr für Deutschland gesichert. Das tatsächliche Marktangebot werde dieses Kontingent bei weitem übertreffen.

Bei Selbsttests für zu Hause, von denen erste Produkte zugelassen worden sind, habe der Bund mehr als 200 Millionen Stück gesichert, teilte das Gesundheitsministerium weiter mit. Mit weiteren Herstellern liefen Gespräche.

Allein Bayern will nach Aussage von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im laufenden Jahr 100 Millionen Corona-Tests kaufen und einsetzen.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) teilte vorab mit, dass der Corona-Impfstoff des Herstellers Astrazeneca in Deutschland nun auch für Menschen ab 65 Jahren empfohlen wird. Ende Januar hatte die Stiko den Impfstoff zunächst nur für Menschen zwischen 18 und 64 Jahren empfohlen. Die Entscheidung beruht laut Stiko "auf einer intensiven Analyse und Bewertung von neuen Studiendaten, die erst innerhalb der vergangenen Tage als Vorab-Publikationen verfügbar wurden".

Spahn sprach von einer guten Nachricht für alle Älteren, die auf eine Impfung warten. "Sie können schneller geimpft werden." Die neuen Studiendaten belegten zudem, dass der Impfstoff noch wirksamer sei, wenn der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung zwölf Wochen betrage. Auch dies empfehle die Stiko ausdrücklich. Die Empfehlungen würden nun "sehr zeitnah" in der Impf-Verordnung umgesetzt.

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