Moskau/Jekaterinburg. Journalisten leben gefährlich in Russland. Der Inlandsgeheimdienst FSB hat nun einen westlichen Korrespondenten wegen angeblicher Spionage festgenommen. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Wegen angeblicher Spionage für die USA hat ein Gericht in Moskau gegen einen auch zu Russlands Krieg gegen die Ukraine recherchierenden Journalisten Haftbefehl erlassen.

Der Reporter der renommierten US-Zeitung „Wall Street Journal“ sei zunächst bis 29. Mai in Untersuchungshaft, teilte das Gericht in Moskau mit. Dem 1991 geborenen Evan Gershkovich drohen bei einer Verurteilung bis zu 20 Jahre Haft. Die Zeitung wies die Vorwürfe gegen ihren Mitarbeiter, der seine Arbeit erledigt habe, zurück.

Vorwurf der Spionage

Die Strafjustiz in Russland gilt als politisch gesteuert, die meisten Anklagen enden mit einem Schuldspruch. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB hatte zuvor mitgeteilt, den Mann in Jekaterinburg im Ural wegen „Spionage im Interesse der amerikanischen Regierung“ festgenommen zu haben. Gegen ihn sei ein Strafverfahren eingeleitet worden. Gershkovich habe im Auftrag der US-Seite Informationen über den militärisch-industriellen Komplex in Russland gesammelt, die ein Staatsgeheimnis darstellten.

„Beim Versuch, geheime Informationen zu erhalten, wurde der Ausländer in Jekaterinburg festgenommen“, teilte der FSB mit. Medien hatten zuvor berichtet, der Reporter sei verschwunden. Er hatte demnach versucht, eine Reportage über die Einstellung der Bevölkerung zu den Anwerbeversuchen der Privatarmee Wagner, die im Krieg gegen die Ukraine im Einsatz ist, zu schreiben. „Das 'Wall Street Journal' ist tief besorgt um die Sicherheit von Mister Gershkovich“, kommentierte die Zeitung die Festnahme.

„Wir sind zutiefst besorgt“

Die US-Regierung verurteilte die Inhaftierung aufs Schärfste. „Die Verfolgung amerikanischer Staatsbürger durch die russische Regierung ist inakzeptabel“, teilte das Weiße Haus mit. „Wir sind zutiefst besorgt über die beunruhigenden Berichte, dass Evan Gershkovich, ein amerikanischer Staatsbürger, in Russland festgenommen wurde.“ Das US-Außenministerium stehe in direktem Kontakt mit der russischen Regierung und bemühe sich aktiv darum, Gershkovich konsularischen Zugang zu verschaffen. Die US-Regierung erneuerte ihren Aufruf an US-Staatsbürger, sofort aus Russland auszureisen.

Auch die Bundesregierung hat sich „tief besorgt“ über die Verhaftung geäußert. „Die Arbeit von in Russland akkreditierten ausländischen Korrespondentinnen und Korrespondenten muss ungehindert und ohne Einschüchterungen möglich sein“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. „Journalismus darf nicht kriminalisiert werden.“

Der Kreml hielt die Vorwürfe schon kurz nach Bekanntwerden der Festnahme für berechtigt. „Soweit uns bekannt ist, wurde er auf frischer Tat ertappt“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow im staatlichen Rundfunk. Das Gebiet Swerdlowsk um Jekaterinburg gilt als eine der Hochburgen der russischen Rüstungsindustrie. Er hoffe nicht, dass es nun Repressionen gegen russische Journalisten in den USA gebe, sagte Peskow auf Nachfrage.

Verfolgung und Bedrohungen

„Das dürfte zumindest nicht sein, weil es in dem Fall (der Festnahme von Gershkovich) - ich wiederhole es - nicht um einen Verdacht geht, sondern darum, dass er auf frischer Tat ertappt wurde“, sagte der Kremlsprecher. Zuletzt hatten auch deutsche Journalisten bei Besuchen in Jekaterinburg über Verfolgung und Bedrohungen geklagt.

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, nahm den Fall zum Anlass, westlichen Korrespondenten allgemein vorzuwerfen, unter dem Deckmantel des Journalismus gegen Russland zu spionieren. Sacharowa sagte, womit sich Gershkovich in Jekaterinburg befasst habe, habe nichts mit Journalismus zu tun.

„Leider ist dies nicht der erste Fall, wo der Status eines ausländischen Korrespondenten, das Journalistenvisum und die Akkreditierung von Ausländern in unserem Land zur Verschleierung einer Tätigkeit genutzt werden, die kein Journalismus ist“, behauptete sie auf ihrem Telegram-Kanal.

Sacharowa beklagt auch immer wieder, dass russische Journalisten im Westen, darunter in Deutschland, Repressionen ausgesetzt seien. Erst in der vergangenen Woche warnte sie öffentlich vor Schritten gegen deutsche Korrespondenten in Moskau, sollte die Bundesregierung Druck gegen Russen ausüben. Für deutsche Medien arbeiten auch nach dem Rauswurf der Deutschen Welle aus Russland noch etwa zwei Dutzend Korrespondenten.

US-Zeitung dementiert

Das „Wall Street Journal“ hat derweil alle Vorwürfe gegen Gershkovich dementiert und dessen Freilassung gefordert. „Wir sind solidarisch mit Evan und seiner Familie“, teilte die Zeitung mit. Die Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ nannte die Festnahme des Journalisten „besorgniserregend“. „Journalisten dürfen nicht zur Zielscheibe werden“, forderte die Organisation.

2022 hat die russische Führung im Zuge ihres Angriffskriegs gegen die Ukraine die Meinungs- und Pressefreiheit im Land noch einmal deutlich eingeschränkt. Es drohen etwa auch Verfahren wegen Diskriminierung oder Rufschädigung der russischen Armee. Einige Korrespondenten und Medien hatten im vergangenen Jahr nach Kriegsbeginn zeitweilig die Arbeit eingestellt aus Angst vor Repressionen. Die Zahl der westlichen Journalisten ist geringer geworden, weil viele Medien keine Akkreditierungen erhalten für ihre Reporter.

Russische Opposition spricht von „Geiselnahme“

US-Amerikaner werden immer wieder in Russland wegen Spionage oder anderer Verbrechen verdächtigt. Das dürfte der erste Spionage-Fall gegen einen Journalisten sein, der offiziell beim russischen Außenministerium akkreditiert ist. Die russische Opposition sprach von einer „Geiselnahme“. „Putin ist bereit, jede Methode anzuwenden, um Druck auf den Westen auszuüben“, teilte das Team des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny mit.

Kremlchef Wladimir Putin hatte in der Vergangenheit immer wieder inhaftierte russische Kriminelle in den USA durch einen Austausch mit in Moskau verurteilten Amerikanern freibekommen. Sein Sprecher Peskow wollte sich zu einer solchen Möglichkeit im Fall von Gershkovich zunächst nicht äußern. Der Kremlsprecher sagte aber, dass die Korrespondenten des „Wall Street Journal“ weiter in Russland arbeiten könnten, wenn sie sich an die Gesetze hielten.