Berlin. Bei Asyl und Migration wollen SPD, Grüne und FDP einen Neuanfang wagen. Da auf EU-Ebene kaum etwas vorangeht, soll jetzt ein Konsens mit jenen Staaten gesucht werden, die bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen.

Um die seit Jahren andauernde Blockade in der EU-Asylpolitik zu beenden, will Bundesinnenministerin Nancy Faeser gemeinsam mit anderen eine "Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten" schmieden.

Eine solche Allianz könne vorangehen und so die Weiterentwicklung des europäischen Asylsystems in Gang bringen, sagte die SPD-Politikerin nach einem Treffen mit EU-Innenkommissarin Ylva Johansson in Berlin. Ihre ersten Gespräche mit Frankreich und Italien zu Migrationsfragen seien vielversprechend gewesen. Eine Einschätzung, wie groß diese "Koalition der Willigen" letztlich sein würde, wagte die Ministerin nicht.

Es gehe hier nicht um einen "nationalen Alleingang", betonte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, Konstantin Kuhle. "Das Ziel muss sein, dass weitere Mitgliedstaaten mit der Zeit folgen." Die nun angekündigten Schritte seien kein Ersatz für ein gemeinsames Asylsystem. Vielmehr dienten sie dazu, Bewegung in die Verhandlungen zu bringen.

Migrationskrise in Belarus: "in die Falle gelockt"

Die Migrationskrise an der Grenze zu Belarus habe gezeigt, dass die EU-Staaten, wenn sie gemeinsam handeln, erfolgreich sein könnten, sagte EU-Kommissarin Johansson. Von den Migranten, die der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko "in die Falle gelockt" habe, seien mittlerweile rund 5000 Menschen wieder in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt. Zuletzt seien kaum noch Migranten auf irregulärem Weg in die Europäische Union gelangt, betonte sie.

Die Aufnahme von Asylbewerbern sei nicht der einzige Weg, um Solidarität zu zeigen, sagte Johansson. Mitgliedstaaten könnten auch dafür sorgen, dass Menschen ohne Asylrecht in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden.

Johansson müsse sich darum kümmern, dass die sogenannten Pushbacks - also die Zurückweisungen von Flüchtlingen - an den EU-Außengrenzen in Polen, Griechenland oder Kroatien aufhören, sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. Er fügte hinzu: "Die Koalition der Willigen muss auch Druck ausüben auf die Unwilligen, damit sie sich an EU-Recht halten und Schutzsuchende in die EU einreisen lassen."

"Im Einzelnen ein Konsens möglich"

"Auch wenn es schwierig ist, auf EU-Ebene einen gemeinsamen Nenner in der Asylpolitik zu finden, ist im Einzelnen ein Konsens möglich", sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann. Als Beispiele nannte er Mindeststandards für die Asylverfahren sowie die Betreuung und Unterbringung der Schutzsuchenden. "Wenn das nicht gelöst wird, bekommen wir das Problem der Sekundärmigration nicht in den Griff." Von Sekundärmigration spricht man, wenn Geflüchtete von einem EU-Staat in einen anderen weiterreisen.

Es sei gut, dass Deutschland "wieder eine konstruktivere Rolle einnimmt, wenn es um die festgefahrenen Verhandlungen zur Reform des Europäischen Asylsystems geht", sagte der Grünen-Obmann im Innenausschuss, Marcel Emmerich. Humanitäre Lösungsansätze seien von Faesers Vorgänger Horst Seehofer (CSU) über Jahre "blockiert oder blind ignoriert" worden. Mit einer Gruppe von EU-Mitgliedstaaten könne Deutschland nun wieder mehr Bewegung in die Verhandlungen bringen und für bessere Standards sorgen.

"Deutschland wird Lasten der Migration alleine tragen"

Aus Sicht der Union ist das Wunschdenken. "Die Ampel-Regierung fordert gerne dazu auf, Deutschland solle vorangehen, aber die Erfahrung zeigt, dass kaum ein anderes europäisches Land nachkommt", sagte ihr innenpolitischer Sprecher Alexander Throm (CDU). Die Folge werde sein, "dass wir die Lasten der Migration überwiegend alleine tragen werden". Fraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) warnte: "Die Bundesinnenministerin setzt mit ihrer Ankündigung Fehlanreize für mehr illegale Migration nach Europa."

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