Eriwan. Inmitten einer schweren politischen Krise wählt Armenien ein neues Parlament. Die Wahl ist richtungsweisend nach dem Krieg um die Region Berg-Karabach, bei dem Aserbaidschan Gebiete zurückeroberte.

Sieben Monate nach dem Krieg um die Konfliktregion Berg-Karabach hält die krisengeschüttelte Südkaukasusrepublik Armenien am Sonntag eine vorgezogene Parlamentswahl ab. Zugelassen sind mehr als 20 Parteien und Blöcke - so viele wie nie zuvor.

Es wird erwartet, dass die Partei Bürgervertrag des angeschlagenen Regierungschefs Nikol Paschinjan und der Block Armenien um den früheren Präsidenten Robert Kotscharjan das Rennen um die stärkste Kraft unter sich ausmachen. Aufgerufen zur Wahl sind von 8.00 Uhr (6.00 Uhr MESZ) bis 20.00 Uhr (18.00 Uhr MESZ) rund 2,6 Millionen Menschen in der früheren Sowjetrepublik.

"Der Ausgang der Wahl ist völlig offen. Es kann alles passieren", sagte der Politologe Alexander Iskandarjan der Deutschen Presse-Agentur in Eriwan mit Blick auf die aufgeheizte Stimmung im Land. Die Lage ist seit Monaten gespannt, weil viele Menschen Regierungschef Nikol Paschinjan eine Niederlage und Gebietsverluste in dem Krieg mit Aserbaidschan im Herbst vorwerfen. Mehr als 6500 Menschen starben. Armenien verlor die Kontrolle über Gebiete, die sich Aserbaidschan in dem 44-tägigen Krieg zurückerobert hatte.

Die Abstimmung entscheidet indirekt auch über die Zukunft eines Anfang November unter Vermittlung Russlands zustande gekommenen Waffenstillstandsabkommens mit Aserbaidschan. Der 46 Jahre alte Paschinjan gilt aus Moskauer Sicht als Garant dafür, dass die Vereinbarung bestehen bleibt. Dazu gehört auch die Stationierung von rund 2000 russischen Friedenssoldaten in Berg-Karabach.

Paschinjan hatte die Neuwahl unter dem Druck der Opposition angesetzt, um einen Ausweg aus der Krise in der Südkaukasusrepublik zu finden. Einen Rückzug hatte der frühere Journalist, der 2018 im Zuge der Samtenen Revolution an die Macht gekommen war, stets abgelehnt. Paschinjans Hauptkonkurrent Kotscharjan stammt selbst aus Stepanakert, der Hauptstadt Berg-Karabachs. Der 66-Jährige will verhindern, dass Aserbaidschan seine Kontrolle dort ausweitet.

Präsident Armen Sarkissjan rief zu einem friedlichen Urnengang auf. Nach dem Wahlkampf mit Bedrohungen und Beleidigungen sei es nicht hinnehmbar, dass "die politischen und moralischen Grenzen überschritten werden, dass die Lage eskaliert und Hass und Feindschaft geschürt werden", sagte er am Samstag. "Die Wahlen verlaufen in einer schwierigen Krisensituation und haben eine entscheidende Bedeutung für unseren Staat und unser Volk."

Gewählt werden die mindestens 101 Abgeordneten für fünf Jahre. Erste Ergebnisse werden am späten Sonntagabend erwartet. Armenien hat mit den verfeindeten Staaten Aserbaidschan und Türkei geschlossene Grenzen. Geöffnet sind die Grenzen nur mit Georgien und dem Iran.

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