Kabul. Im September soll die US-Armee Afghanistan verlassen haben. Kurz nach der Ankündigung versucht der US-Außenminister die Sorgen der Regierung in Kabul zu mindern. Und die Taliban möchten am liebsten einen sofortigen Abzug.

Die militant-islamistischen Taliban sehen in der Verzögerung des Abzugs der US-Truppen aus Afghanistan eine klare Abkommensverletzung Washingtons und haben mit Gegenmaßnahmen gedroht.

Die Entscheidung über den US-Abzug zum 11. September sei "ein klarer Verstoß gegen das Doha-Abkommen", heißt es in einer von den Taliban veröffentlichten Erklärung am Donnerstag. Die USA und alle anderen Länder wurden aufgefordert, das Land ohne weitere Ausreden "sofort" zu verlassen.

Die Aufständischen hatten zuletzt neue Gewalt gegen Nato-Truppen angedroht, sollte die Frist bis zum 1. Mai nicht eingehalten werden. US-Präsident Biden wie auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnten die Taliban, bei etwaigen Attacken auf Soldaten der USA oder anderer Nato-Staaten während der Abzugsphase müssten sie mit einer kraftvollen Antwort rechnen.

Das USA-Taliban-Abkommen, das noch unter US-Präsident Donald Trump im Golfemirat Katar unterzeichnet worden war, sieht einen Abzug aller US- und internationalen Truppen bis 1. Mai vor. Die Islamisten riefen die Vereinten Nationen und andere Länder, die bei der Unterzeichnung des Abkommens im Vorjahr anwesend waren, dazu auf, auf die USA Druck auszuüben, damit Washington seinen Verpflichtungen nachkomme.

Die Taliban warfen den USA auch weitere Abkommensverletzungen vor, darunter die verspätete Freilassung gefangener Taliban, dass sich Taliban-Mitglieder weiter auf Schwarzen Listen der UN befänden und weitere 1200 nicht näher spezifierte Verstöße. Sie selbst hätten alle Verpflichtungen erfüllt.

Allerdings haben die USA in der Vergangenheit auch den Taliban vorgeworfen, das Abkommen nicht einzuhalten. US-Offizielle hatten unter anderem auf ein zu hohes Gewaltniveau verwiesen.

In der Erklärung hieß es weiter, dass die Abkommensverletzungen der USA nun auch den Taliban "im Prinzip den Weg öffnen, jeglich notwendige Gegenmaßnahme zu ergreifen".

US-Präsident Biden hatte am Mittwoch den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan zum 11. September angekündigt. Das Datum markiert den 20. Jahrestag der Terroranschläge von 2001 in den USA, die der Anlass für den Einmarsch in Afghanistan waren. Auch die Nato kündigte am Mittwoch das Ende ihres Einsatzes in Afghanistan ein.

Nur wenige Stunden nach der offiziellen Ankündigung des Abzugs traf US-Außenminister Anthony Blinken zu einem unangekündigten Besuch in Kabul ein. Das teilte der Präsidentenpalast auf Twitter mit.

Blinken habe dem afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani mitgeteilt, dass der US-Abzug die strategischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht schwächen werde. Die USA fühlten sich weiter Afghanistan und seinen Menschen verpflichtet.

Der afghanische Fernsehsender ToloNews zeigte Bilder eines Treffens Blinkens mit dem Vorsitzenden des Hohen Rats für Nationale Aussöhnung, Abdullah Abdullah. "Ich bin hier, um unser anhaltendes Engagement zu demonstrieren", sagte Blinken in dem Video zu Abdullah.

Die USA und Afghanistan hätten eine Partnerschaft, die sich verändere, aber dauerhaft sei, sagte Blinken weiter. "Wir haben ein neues Kapitel, aber es ist ein Kapitel, das wir zusammen schreiben."

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