Warschau. Die EU-Grenzschutztruppe Frontex steht wegen möglicher Verwicklung in das illegale Zurückweisen von Migranten in der Kritik. Eine interne Arbeitsgruppe sollte die Vorwürfe untersuchen.

Die EU-Grenzschutztruppe Frontex ist nach einem internen Bericht nicht in der Lage, Vorwürfe wegen möglicher Verstöße gegen Grundrechte zweifelsfrei auszuräumen.

Wegen Unzulänglichkeiten im Berichts- und Überwachungssystem von Frontex habe eine Arbeitsgruppe fünf solcher Verdachtsfälle nicht komplett aufklären können, heißt es in dem Bericht, der am Freitag veröffentlicht wurde.

Der Frontex-Verwaltungsrat zeigte sich beunruhigt. "Mit Besorgnis" nehme man wahr, dass das derzeit gültige Meldesystem für Verstöße nicht systematisch angewendet werde, heißt es in den Schlussfolgerungen des Verwaltungsrats-Treffens.

Zudem ermögliche das System Frontex nicht, ein klares Bild von den Fakten solcher Vorfälle zu gewinnen und Grundrechte-Fragen systematisch zu analysieren. "Die Agentur muss hinsichtlich dieses Aspekts dringend Verbesserungen einführen."

Frontex steht heftig in der Kritik, weil griechische Grenzschützer nach Medienberichten mehrfach Boote mit Migranten illegal zurück in Richtung Türkei getrieben haben. Frontex-Beamte sollen dabei teils in der Nähe gewesen sein, ohne dies zu verhindern. Mehrere EU-Stellen untersuchen die Vorwürfe. Die interne Frontex-Arbeitsgruppe war vom Verwaltungsrat beauftragt worden, 13 solche Fälle zu untersuchen.

Nach einem im Januar vorgelegten Vorbericht wurde in acht Fällen kein Fehlverhalten entdeckt. Fünf weitere Fälle wurden weiter untersucht. Auch der Abschlussbericht kann jedoch keine vollständige Klärung bieten.

"Die Tatsache, dass vier von fünf Vorfällen weiterhin von Frontex untersucht werden, gibt Grund dazu, die internen Abläufe der Agentur in Fällen von möglichen Grundrechtsverstößen zu überprüfen", heißt es in dem Papier. Die interne Arbeitsgruppe ist mit Vertretern mehrerer EU-Staaten und der EU-Kommission besetzt.

In einem der untersuchten Vorfälle hatte am 18. April vergangenen Jahres ein Frontex-Aufklärungsflugzeug ein Schlauchboot in griechischen Hoheitsgewässern entdeckt. Dem Bericht nach wurde das leere Schlauchboot von einem Schiff der griechischen Küstenwache in Richtung türkische Gewässer gezogen, an Bord des Schiffes befanden sich 20 bis 30 Menschen. Bei Erreichen der griechisch-türkischen Grenze habe die Küstenwache diese Menschen zurück aufs Schlauchboot gesetzt. Dann sei das Schiff abgedreht.

"Auf dem Fotomaterial, das von dem Frontex-Aufklärungsflugzeug gemacht wurde, ist kein Motor an dem Schlauchboot zu sehen, während es von dem griechischen Küstenwachen-Schiff gezogen wird", heißt es in dem Bericht. Auch als Flüchtlinge aufs Boot zurückgesetzt wurden, sei an diesem kein Motor sichtbar gewesen. Die Küstenwache habe versichert, das Boot habe einen funktionierenden Motor gehabt und sei seetauglich gewesen. Die Arbeitsgruppe habe die Faktenlage jedoch nicht vollständig aufklären können.

In einem weiteren Fall, in dem ein Aufklärungsflugzeug eine ähnliche Szene beobachtete, sei nur eine begrenzte Sequenz aufgezeichnet worden. Ein Beamter der griechischen Küstenwache habe die Flugzeugbesatzung angewiesen, "das Ereignis nicht zu überwachen und die Patrouille in süd-östlicher Richtung fortzusetzen".

Dieses Vorgehen gehöre zwar zum festgelegten Verfahren, wonach die Behörden der Mitgliedsstaaten das taktische Kommando haben, hält die Arbeitsgruppe fest. Für die Zukunft empfiehlt sie aber, nach dem "Vier-Augen-Prinzip" vorzugehen. "Frontex-Überwachungsflugzeuge und andere Frontex-Kapazitäten sollten künftig am Ort des entdeckten Vorfalls bleiben, um die grenzpolizeilichen Maßnahmen zu dokumentieren, bis sie abgeschlossen sind", heißt es in dem Bericht.

Die Arbeitsgruppe mahnt Frontex auch, künftig in allen Verdachtsfällen von Grundrechtsverletzungen umgehend zu ermitteln und die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen. "Jede Art von rückgreifender Einmischung zur Anpassung operativer Daten sollte vermieden werden", betont das Gremium.

Die Grünen im Bundestag forderten, die Arbeit von Frontex und die Agentur als Ganzes auf den Prüfstand zu stellen, so lange menschenrechtliche Standards im Umgang mit Schutzsuchenden an den europäischen Außengrenzen nur eine untergeordnete Rolle spielten. "Es offenbart sich, was wir seit langem kritisieren: Die europäische Grenzschutzagentur hat keine Kontrolle über ihre eigenen Einsätze", sagte Luise Amtsberg, Sprecherin für Flüchtlingspolitik der Grünen im Bundestag. Frontex müsse sich im Zweifel auf die Aussagen der Einsatzländer verlassen und könne keine eigenen Ermittlungen durchführen.

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