Eriwan/Baku. Erst vor einer Woche ist eine Waffenruhe für die Konfliktregion im Südkaukasus ausgehandelt worden. Es kam dennoch immer wieder zu Kämpfen. Nun gibt es einen neuen Versuch. Wird die Feuerpause halten?

Im blutigen Konflikt in der Südkaukasus-Region Berg-Karabach haben Armenien und Aserbaidschan einen neuen Anlauf für eine Feuerpause genommen.

Sie trat in der Nacht zum Sonntag in Kraft, war aber offenbar bereits wenige Stunden danach brüchig. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig, die Waffenruhe verletzt zu haben. Armenien sprach nach neuen Angriffen der aserbaidschanischen Seite von Opfern auf beiden Seiten. Zuvor gab es international Appelle, die Kämpfe zu beenden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Bereits vor rund einer Woche hatten sich die verfeindeten Länder unter Vermittlung Russlands auf eine Feuerpause verständigt. Diese Vereinbarung war jedoch schon kurz nach Inkrafttreten gebrochen worden. Dafür gaben sich die Konfliktparteien gegenseitig die Schuld - ebenso wie für das Aufflammen der neuen Kämpfe Ende September.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow appellierte am Samstagabend in Telefonaten mit seinen Kollegen in Armenien und Aserbaidschan eindringlich, sich an die Vereinbarung zu halten. Kurz darauf kündigten die Außenministerien beider Länder wortgleich eine "humanitäre Waffenruhe" an, die zwei Stunden später in Kraft trat.

Doch bereits wenige Stunden später erklärte eine Sprecherin des armenischen Verteidigungsministeriums, es habe Raketen- und Artilleriefeuer von gegnerischer Seite gegeben. Aserbaidschan habe einen Angriff im Süden der Konfliktregion an der Grenze zum Iran begonnen. Dabei habe es Tote und Verletzte gegeben. Armenien werde "alle notwendigen Maßnahmen ergreifen", um Aserbaidschan zum Frieden zu zwingen, kündigte das Außenministerium an, ohne konkret zu werden.

Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium wiederum warf Armenien später vor, "grob" gegen die Vereinbarung verstoßen zu haben. Demnach sollen die Stadt Cebrayil sowie mehrere zuvor von Aserbaidschan unter Kontrolle gebrachte Dörfer von armenischer Seite aus beschossen worden sein. Aserbaidschan habe darauf "Vergeltungsmaßnahmen ergriffen", hieß es.

Lawrow erinnerte die Konfliktparteien seinem Ministerium zufolge daran, dass die Feuerpause auch humanitären Gründen diene. Dem armenischen Verteidigungsministeriums zufolge wurde jedoch ein Vorschlag zur Rettung von Verwundeten in der Nacht von der aserbaidschanischen Seite "strikt" zurückgewiesen.

Baku erklärte Medienberichten zufolge seine Bereitschaft, Leichen armenischer Soldaten außerhalb des Konfliktgebiets an der aserbaidschanisch-armenischen Grenze an Armenien zu übergeben. Eine ähnliche Zusicherung gaben die Behörden von Berg-Karabach.

Der Präsident der mit Aserbaidschan verbündeten Türkei, Recep Tayyip Erdogan, beschuldigte Armenien, die Waffenruhe einseitig gebrochen zu haben. Den USA, Russland und Frankreich warf er außerdem vor, Armenien militärisch zu unterstützen. "Sie leisten Armenien und den Armeniern jede Art von Waffenhilfe", sagte Erdogan am Sonntag in Sirnak im Südosten der Türkei. Die drei Länder vermitteln in dem Konflikt in der Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Aserbaidschan erhält Waffenhilfe aus der Türkei, Armenien dagegen sieht Russland als Schutzmacht.

Frankreich begrüßte die Waffenruhe, die auch nach französischer Vermittlung zustande gekommen sei. Frankreich werde die Lage sehr aufmerksam verfolgen" und "sich weiterhin für eine dauerhafte Einstellung der Feindseligkeiten und die baldige Aufnahme glaubwürdiger Gespräche einsetzen", hieß es aus dem Élyséepalast.

Bereits am Samstag hatte es neue Kämpfe mit Toten und Verletzten gegeben. Aserbaidschan meldete schwere Angriffe der armenischen Seite auf Ganja, die zweitgrößte Stadt des Landes. Bei dem Raketenbeschuss sind nach Darstellung der Behörden 13 Menschen getötet und 50 verletzt worden. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev nannte den Angriff im Fernsehen ein Kriegsverbrechen und drohte, dass die armenische Führung dafür zur Rechenschaft gezogen werde.

Armenien warf dem verfeindeten Nachbarn vor, selbst hinter dem Angriff zu stecken und dies als "Propaganda" gegen die Armenier zu verwenden. Die Behörden berichteten im Gegenzug von Raketenangriffen der aserbaidschanischen Seite.

Das Auswärtige Amt in Berlin rief beide Länder auf, sie müssten "unverzüglich auf den Pfad für eine friedliche und dauerhafte Konfliktlösung zurückkehren". Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell erklärte: "Alle Angriffe auf Zivilisten und zivile Einrichtungen müssen ein Ende haben."

Aus der mehrheitlich von christlichen Karabach-Armeniern bewohnten Bergregion sind inzwischen Tausende Menschen geflohen. Die Behörden in Berg-Karabach sprachen von 710 getöteten Soldaten seit Beginn der neuen Kämpfe am 27. September. Aserbaidschan machte bislang keine Angaben zu Verlusten bei seinen Streitkräften. Bei armenischen Angriffen seien etwa 60 Zivilisten getötet worden.

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