Washington. In Tennessee haben unter Rassismusverdacht stehende Republikaner nach Protesten gegen lasche Waffengesetze ein Eigentor geschossen.

Man sieht sich im Leben immer zwei Mal. Und manchmal ist die Zeitspanne dazwischen verdammt kurz. Für Cameron Sexton, Triebfeder einer der ungewöhnlichsten politischen Aktionen der jüngeren parlamentarischen US-Geschichte, ist diese Erkenntnis seit Mittwoch besonders bitter.

Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhaus im US-Bundesstaat Tennessee stand vor einer Woche an der Spitze einer jakobinerhaften Strafaktion, die an zwei jungen, schwarzen Abgeordneten der Demokraten ein Exempel statuieren sollte. Seit der Zeit von Rassentrennung und Bürgerrechts-Bewegung in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, so US-Medien, hatte man so etwas nicht mehr gesehen.

Proteste für schärferes Waffengesetz: Kein Denkzettel – Mandatsentzug

Weil sie im Lichte des jüngsten Massenmords in Nashville (sechs Tote) ihren Protest gegen als zu lax empfundene Waffengesetze unkonventionell in die heiligen Hallen des Parlaments trugen, choreografierten die mit bombenfester Zwei-Drittel-Mehrheit tonangebenden Konservativen den Rausschmiss der beiden Afro-Amerikaner.

Kein Denkzettel sollte erteilt werden – Justin Jones und Justin Pearson wurde wegen Verstoßes gegen die Geschäftsordnung radikal das Mandat entzogen. Eine dritte Demokratin, Gloria Johnson, entkam der Säuberungsaktion. Sie sagt, es habe daran gelegen, dass sie weiß ist.

Was hatten sich die jungen Schwarzen zu Schulden kommen lassen? Hunderte Schüler, Eltern und Bürger demonstrierten nach dem Amoklauf an einer Schule in Nashville mitten im State Capitol wütend, laut und aufgebracht für ein schärferes Waffenrecht.

Präsident Biden spricht von totalitären Allüren

Die Republikaner, gewöhnt an ihren Alleinherrscher-Status, empfanden das als Majestätsbeleidigung. Sie verglichen das Ganze mit dem Aufstandsversuch von Trump-Anhängern am 6. Januar 2021 am Kapitol in Washington. „Völlig geschichtsvergessen”, sagte der Historiker Michael Beschloss.

Der spektakuläre Akt zog umgehend landesweit Kreise. Präsident Joe Biden und andere Demokraten in Washington sprachen von totalitären Allüren. Das Justizministerium wurde beauftragt, zu untersuchen, ob die Bürgerrechte der Volksvertreter und die Verfassung verletzt wurden.

Unterdessen schafften die Gebietskörperschaften, die Pearson und Jones in den „Landtag” Tennessees entsandt hatten, umgehend Fakten. Von ihren Wahlkreisen – konkret: der Stadtrat von Nashville und das Commissioner Board von Shelby County – wurden die Geschassten kurzerhand erneut entsandt. Für eine Übergangszeit dürfen die Nachwuchs-Politiker aus der Altersklasse Ü-30 also wieder im Parlament wirken. Irgendwann im Sommer werden offizielle Neuwahlen nötig. Jones und Pearson, die quasi über Nacht landesweit zu Ruhm kamen und mit ihrer Politik vom „good trouble” (sinngemäß: konstruktiver Ärger) in die Fußstapfen der schwarzen Bürgerrechts-Legende John Lewis treten wollen, werden nach eigenen Angaben antreten. Ihr Motto: Jetzt erst recht.

Gouverneur Lee ordnet strengere Prüfung vor Waffenkäufen an

Die ihnen zuteil gewordene Sonderbehandlung wird selbst in konservativen Kreisen in Tennessee als „unangemessener Tabubruch” gewertet. Seit dem amerikanischen Bürgerkrieg 1865 griff das Parlament dort bis dato nur zwei Mal zu der Extrem-Maßnahme und setzte Abgeordneten den Stuhl vor die Tür. In einem Fall ging es um Betrug, im anderen um sexuelle Gewalttaten.

Nichts dergleichen ist Pearson und Jones vorzuwerfen. Sie wollten nach eigenen Worten „aufrütteln” und dem üblichen Ritual nach Amokläufen – Gebete für die Opfer und Hinterbliebenen – den Unwillen entgegensetzen, die x-te Tragödie dieser Art in diesem Jahr in Amerika wieder mit Beschwichtigungsformeln zu befrieden.

Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Bei Bill Lee ist die Botschaft angekommen. Obwohl Republikaner, hat der Gouverneur des Bundesstaates eine Anordnung unterzeichnet, wonach die Überprüfungen potenzieller Waffenkäufer verschärft und Informationen über psychische Erkrankungen und kriminelle Vorgeschichten schneller als bisher ausgewertet werden können.