Berlin. Die Gewalttaten unter Kindern in Freudenberg und Heide seien „unbegreiflich“, sagt Kurschus – und sieht die Ursache auch im Internet.

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus, sorgt sich über eine Verrohung und zunehmende Gewaltausübung durch Jugendliche. „Das Klima in unserer Gesellschaft verändert sich zunehmend“, sagte Kurschus dieser Redaktion „Kritik schlägt plötzlich in blanken Hass um, aus verächtlichen Worten wird im Nu eine gewaltsame Tat. Das ist erschreckend.“

Die Zahl der Menschen, die sich nicht genug gesehen, geschätzt und anerkannt fühlen, wachse – ebenso die Zahl derer, die aus diesem Mangel nach Aufmerksamkeit heraus „um sich schlagen und gegen andere hetzen“, so die Theologin. Streit und Konkurrenz würden auf immer perfidere Weise ausgetragen. Die Verrohung unter Jugendlichen sei „ein besorgniserregendes Phänomen“, sagte Kurschus im Hinblick auf Fälle von Gewalt unter Heranwachsenden in Heide und Freudenberg.

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Beide Taten hatten bundesweit Schlagzeilen gemacht. „Was mich an diesen Fällen besonders erschüttert, ist, dass es hier offenbar keinerlei natürliche Hemmschwellen gab“, so Kurschus. „Mir ist das unbegreiflich.“ Die Suche nach Erklärungen gleiche einem Stochern im Nebel, räumte die EKD-Vorsitzende ein. Sie vermute eine Verbindung zu sozialen Netzwerken. „Die zahllosen Bilder von Grausamkeiten und Gewalt, die immer selbstverständlicher von Jugendlichen konsumiert werden – gerade auch über die Social-Media-Kanäle – werden dabei wohl eine Rolle spielen.“ Gewalt werde alltäglicher. „Das lässt abstumpfen.“

Kurschus: Herabsetzung der Strafmündigkeit löst das Problem nicht

Soziale Medien seien „in vieler Hinsicht ein riesiger Gewinn, in mancher sogar ein echter Segen“, erklärte Kurschus. Aber sie hätten auch Tücken. Die Theologin appelliert an die Gesellschaft, auf diese Abstumpfung mit „Zuwendung und Aufmerksamkeit und Liebe“ zu reagieren. Für Kinder und Jugendliche gelte das in besonderem Maße.

Eine Herabsetzung der Strafmündigkeit hält sie dagegen nicht für ein geeignetes Mittel, um auf die jüngsten Gewalttaten zu reagieren. „Hier geht es nicht um das Strafmaß, damit würde man es sich zu einfach machen“, sagte Kurschus. „So wird sich das Problem nicht lösen lassen.“ Stattdessen sei „ein tieferes Forschen nach möglichen Ursachen nötig“. (gau)

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