Berlin. Die Ampel einigt sich auf ein Paket für mehr Tempo bei Bahn, Autobahn und Erneuerbaren. Das Klimaschutzgesetz soll geändert werden.

Da war es wieder, das „Deutschlandtempo“: Natürlich, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, als er am späten Nachmittag im Rahmen des Staatsbesuchs des kenianischen Präsidenten William Samoei Ruto vor die Kameras trat, natürlich gehe es bei den Gesprächen im Koalitionsausschuss auch um das „Deutschlandtempo“, um Beschleunigung nicht nur beim Energie-Ausbau, sondern auch bei Investitionen in der Industrie und in die Infrastruktur.

Seit dem rasanten Ausbau der LNG-Infrastruktur gehört das Deutschlandtempo fest zum Ampel-Vokabular. Dabei war von Tempo bei den Beratungen in diesem Koalitionsausschuss nicht zu spüren gewesen – selbst während Scholz‘ Statement wurde noch verhandelt. Über drei Tage hinweg hatten die Spitzen von SPD, Grünen und FDP zusammengesessen und über ihre vielen Streitpunkte beraten, bevor SPD-Chef Lars Klingbeil, Grünen-Chefin Ricarda Lang und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner am Dienstagabend vor die Kameras traten, um die Ergebnisse vorzustellen.

Ampel will Klimaschutzgesetz aufweichen

Unterm Strich steht nach diesen Marathon-Verhandlungen ein 16-seitiges Ergebnispapier, das den Titel „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ trägt. Darin buchstabieren die drei Koalitionspartner aus, in welchem Verhältnis Klimaschutz, Planungsbeschleunigung, Verkehr und Naturschutz künftig zueinander stehen sollen.

Das Klimaschutzgesetz – „auf das wir Sozialdemokratinnen und -demokraten sehr stolz sind“ (Klingbeil) – soll geändert werden. Darauf hatten sich die Parteien schon im Koalitionsvertrag verständigt, allerdings ohne Details. Jetzt ist klar: Künftig soll es zwar noch ein jährliches Monitoring geben, das zeigt, wie viel Treibhausgas jeder Sektor eingespart hat. Entscheidend sind aber die aggregierten, also zusammengezählten Ergebnisse aller Sektoren – erst wenn die Daten aus zwei aufeinanderfolgenden Jahren zeigen, dass die Klimaziele verfehlt, werden, wird die Bundesregierung „Maßnahmen beschließen, die sicherstellen, dass das Minderungsziel bis 2030 dennoch erreicht wird“. Vor allem die FDP hatte darauf gedrungen, die Sektorziele in ihrer aktuellen Form abzuschaffen. Ihr (FDP) Verkehrsminister Volker Wissing steht beim Klimaschutz besonders unter Druck, weil im Verkehrssektor nichts vorangeht.

Neue Autobahnen und Infrastruktur mit mehr Tempo ausbauen

Auf Straße und Schiene will die Koalition die Planung, Genehmigung und Umsetzung von Infrastrukturprojekten deutlich beschleunigen: So soll mehr Geld in den Ausbau der Bahn fließen. Grünen-Chefin Lang sprach von einem Investitionsbedarfs von rund 45 Milliarden Euro. Gedeckt werden soll der unter anderem über die LKW-Maut, die ab dem kommenden Jahr steigen soll.

Im Beschluss heißt es zudem, für eine „eng begrenzte Zahl“ von Autobahnprojekten soll das überragende öffentliche Interesse festgeschrieben werden. Das bedeutet zum Beispiel weniger Umweltschutzprüfungen. Christian Lindner sprach bei der Vorstellung der Ergebnisse von 144 solchen Projekten. Gerade um den schnelleren Bau auch von Autobahnen - eine Forderung der FDP - hatte es im Vorfeld ein hartes Ringen gegeben. Die Grünen hatten dies eigentlich vehement abgelehnt.

Grünen-Chefin Lang: "Hartes Ringen" geht zu Ende

Wo in Zukunft Autobahnen neugebaut werden, wird nach den Plänen der Koalition gleichzeitig erneuerbarer Strom produziert werden: „Es soll kein Kilometer Autobahn mehr geplant werden, ohne die Möglichkeiten der Erzeugung erneuerbarer Energien auszuschöpfen“, heißt es im Papier.

Grünen-Chefin Lang sprach von einem „harten Ringen“ innerhalb der Koalition in den vergangenen Tagen. „Stellvertretend für die Gesellschaft“ würden in der Ampel Konflikte, Fragen und Interessen miteinander ausverhandelt würden. „Das ist nicht einfach, das geht für jeden auch mal mit Zumutungen einher.“ Trotzdem präsentierten sich die drei Parteivorsitzenden mit dem Ergebnis „hochzufrieden“, wie Klingbeil sagte.

Wie heftig und vor allem wie lange die Konflikte innerhalb der Ampel ausgetragen wurden, hinterlässt trotzdem Spuren in der öffentlichen Wahrnehmung der Koalition.

Opposition: Kritik von Linken und der Union

Die Opposition zeichnete die Lage der Regierung und des Landes am Dienstag vor Bekanntwerden der Ergebnisse in düsteren Farben: „Man muss es mittlerweile so sagen“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag mit ernstem Gesichtsausdruck und staatstragendem Gestus, „wir haben ganz offensichtlich in Deutschland eine Regierungskrise“. Die Bundesregierung einige sich in den wesentlichen Fragen der dt. Politik nicht mehr, sie habe in den letzten Tagen und Wochen permanent gestritten. Und der Bundeskanzler? Der habe „streckenweise wie ein Unbeteiligter am Spielfeldrand gestanden und so getan als ob er mit der ganzen Sache nichts zu tun hat“. CSU-Landesgruppen Alexander Dobrindt sekundierte, der „XXL-Koalitionsausschuss der Ampel“ sei „zu groß, zu langsam, und schlicht zu müde“.

Links-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali sagte, es sei „schon ein erbärmliches Bild, das die Bundesregierung hier abgibt“, sagte Mohamed Ali. Dass sich die Koalitionspartner tagelang einschlössen, sei ein „verantwortungsloses Getue“.

Bundeskanzler zufrieden mit den Ergebnissen

Doch es ist nicht nur die Opposition, die sich zunehmend frustriert zeigt vom Verhandlungstempo innerhalb der Koalition: „Die Ampel könnte auch besser regieren, als sie es tut“, bilanzierter Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Dienstag trocken. Die Kritik des Grünen-Politikers konzentrierte sich dabei vor allem auf einen Mann: Bundeskanzler Olaf Scholz. „19-Stunden-Sitzungen zu machen, finde ich schon ein Zeichen von Führungsschwäche des Kanzlers.“ Von sowas sei die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg weit entfernt.

Der so kritisierte zeigte sich am Ende aber zufrieden: „Nach vielen Stunden intensiver Diskussionen kann ich sagen: Es hat sich gelohnt“, schrieb der Scholz am Abend auf Twitter.