Berlin. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hält den Atomausstieg für unumkehrbar – und fordert mehr Tempo bei der Endlagersuche.

Der Countdown läuft: Spätestens am 15. April sollen in Deutschland die letzten drei Atomkraftwerke - Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland - vom Netz gehen. Ist die Energieversorgung dann noch sicher? Steigen die Strompreise weiter? Im Interview mit unserer Redaktion legt sich Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) fest.

Deutschland schaltet seine letzten Atommeiler ab - und lässt dafür mehr Kohlekraftwerke laufen. Warum schaden Sie dem Klimaschutz?

Steffi Lemke: Das Bild ist ja schief. Wir haben wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wieder mehr Kohle genutzt, obwohl die AKW noch am Netz sind und haben sogar deren Laufzeit verlängert, um wirklich sicher über den Winter zu kommen. Aber mittelfristig sorgen wir ja durch den schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien gerade im Gegenteil für mehr Klimaschutz und beschleunigen den Kohleausstieg. Und auch in Zeiten einer Energieknappheit müssen wir im Blick behalten, dass Atomkraft eine Hochrisikotechnologie ist.

Die EU hat Atomstrom als klimafreundlich eingestuft, und in mehreren Mitgliedstaaten werden neue Atomkraftwerke gebaut. Wie erklären Sie sich das?

Lemke: Die Bundesregierung vertritt eine klare Haltung: Atomstrom ist nicht grün. Allerdings setzt sich Frankreich in Brüssel stark für Atom ein, das ist sicher kein Geheimnis und erklärt manche Entscheidung dort ein wenig besser. Davon abgesehen gilt, dass sich AKW-Neubauten schlicht nicht rechnen, darum wurde aus diversen Ankündigungen nichts. Bauvorhaben werden sehr viel teurer, verzögern sich oder werden sogar storniert. Aber jeder Staat entscheidet selbstverständlich selbst über seinen Energiemix.

Ist das Ausstiegsdatum 15. April in Stein gemeißelt? Die FDP scheint noch auf einen Ausweg zu hoffen …

Lemke: Es bleibt beim Atomausstieg Mitte April. Nach der Entscheidung des Bundeskanzlers haben die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag im vergangenen Herbst den Atomausstieg zum 15. April 2023 gemeinsam beschlossen. Die Risiken der Atomkraft sind letztlich unbeherrschbar. Der Atomausstieg macht unser Land sicherer und vermeidet Atommüll.

Aus Russland fließt kein Gas mehr, der Ausbau der Erneuerbaren lahmt. Wie wollen Sie eine sichere Energieversorgung garantieren?

Lemke: Die Bundesregierung hat eine sichere Energieversorgung mit einem Bündel an Maßnahmen gewährleistet. Trotz vieler düsterer Prognosen im vergangenen Herbst sind wir gut durch den Winter gekommen. So werden wir weiter vorgehen, mit Augenmaß, Vernunft und Pragmatismus. Wir haben im internationalen Vergleich eine sehr hohe Versorgungssicherheit, übrigens auch eine deutlich bessere als unsere Nachbarn mit dem höchsten Atomstrom-Anteil.

Schließen Sie aus, dass Deutschland mehr Atomstrom aus anderen Ländern importieren muss?

Lemke: Die Handelsflüsse zeigen klar, dass wir in den vergangenen Jahren deutlich mehr Strom in Länder wie Frankreich mit einem hohen Atomstrom-Anteil exportiert haben als von dort importiert wurde. Im letzten Jahr kam es zu einem Rekord-Stillstand der französischen AKW-Flotte, aktuell zeichnen sich neue Probleme ab. Aber wir haben einen Binnenmarkt. Der Stromaustausch in der EU ist gewollt und gut so.

Können Sie verhindern, dass der Ausstieg aus der Kernkraft die Energiepreise weiter in die Höhe treibt?

Lemke: Atomkraftwerke sorgen ja zunächst einmal für Gewinne der Betreiber. Als vor vielen Jahren hierzulande noch 17 AKW in Betrieb waren, gingen die Strompreise trotzdem in die Höhe. Damals dominierten wenige Stromkonzerne mit AKW den deutschen Markt noch viel stärker. Auf Dauer sind daher Wettbewerb und mehr Erneuerbare Energien das beste Mittel für stabile Preise. Ein Windrad oder eine Photovoltaik-Anlage produziert sehr günstig Strom – sauber und sicher. Darauf setzen wir. Kurzfristig haben wir zudem finanzielle Hilfen für die Energieverbraucher aufgelegt.

Wie lange wird der Rückbau der Atommeiler dauern?

Lemke: Das haben vor allem die Betreiber in der Hand. Sie veranschlagen hierfür meist eine Dauer von zehn bis 15 Jahren. Die Betreiber können für die letzten AKW von den Erfahrungen profitieren, die sie an den anderen Standorten beim Rückbau gesammelt haben. Die Aufgabe der Atomaufsichten in Bund und Ländern besteht darin, auch beim Rückbau für die gebotene Sicherheit zu sorgen.

Wann geht das deutsche Endlager in Betrieb?

Lemke: Die ursprünglich vorgegebene Zielmarke 2031 war von Beginn nicht belastbar. Damals ging es darum, die Endlagersuche möglichst schnell in Gang zu bringen. Nach Amtsantritt habe ich eine - mittlerweile mögliche - konkrete Terminplanung angefordert. Diese wird jetzt von den beteiligten Akteuren geprüft und öffentlich diskutiert. Klar ist, es dauert länger. Wichtig ist mir, dass wir gemeinsam Beschleunigungspotenziale identifizieren und nutzen.

Die Sanktionen gegen Russland sparen bisher die Atomindustrie aus. Wollen Sie, dass sich das ändert?

Lemke: Über die Sanktionen gegen Russland entscheidet die Europäische Union. Die Beratungen unter den EU-Mitgliedstaaten dazu dauern an. Unabhängig von der Frage einer Sanktionierung setzt sich Deutschland dafür ein, die europäische Abhängigkeit von Russland im zivil-nuklearen Bereich zu reduzieren.