Berlin. Gesundheitsminister Lauterbach will die elektronische Patientenakte durchsetzen. Dabei sollte er auf sensiblen Umgang mit Daten achten.

Bei der Digitalisierung von Behördenleistungen kann man inzwischen nur noch eine fatalistische Grundhaltung annehmen. Heißt: Besser, es geht irgendetwas voran, als wenn Deutschland weiterhin im Zeitalter staubiger Aktenordner festhängt. Das gilt auch für Bundesgesundheitsminister Lauterbachs Vorstoß zur elektronischen Patientenakte (ePA). Seit zwei Jahrzehnten doktert der Bund an diesem Thema herum, doch bei den Bürgern hat sich die Anwendung kaum durchgesetzt: weniger als ein Prozent der 74 Millionen gesetzlichen Versicherten in Deutschland nutzten bisher die ePA.

Deshalb schlägt die Bundesregierung jetzt einen ähnlichen Weg ein wie bei der sogenannten Bund-ID: Weil dieses digitale Nutzerkonto für alle Online-Dienstleistungen des Bundes kaum Zuspruch fand, verschaffte man sich nun auf anderem Weg viele Nutzer. Einfach, indem Studierende in Deutschland nur mittels der Bund-ID an ihre Einmalzahlung von 200 Euro kommen.

Elektronische Patientenakte: Datenschützer haben Bedenken

Christiane Rebhan, Politik-Korrespondentin
Christiane Rebhan, Politik-Korrespondentin © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Ähnlich wird es bei der ePA laufen. Statt wie ursprünglich geplant die Nutzung der elektronischen Patientenakte freiwillig zu machen, soll sie nun jeder Versicherte erhalten – außer er widerspricht ausdrücklich. Nicht nur Datenschützer hegen Bedenken. Man kann sich leicht vorstellen, wer von der Widerspruchslösung Gebrauch machen wird: digitalaffine, junge Menschen, die eine gewisse Skepsis gegenüber staatlichen Eingriffen hegen. Ältere Herrschaften ohne Smartphone werden sich schwerer tun, der Nutzung ihrer Gesundheitsdaten durch die Forschung zu widersprechen.

Selbst eine umfangreiche Aufklärungskampagne über die digitale Akte ist zunächst nicht geplant. Lauterbach hält sie nicht für notwendig. Da in Österreich laut dem Minister nur drei Prozent der Patienten der ePA-Nutzung widersprochen hätten, rechne er nicht mit einer hitzigen öffentlichen Diskussion in Deutschland. Nur zum Vergleich: Für Werbekampagnen zum Thema Corona stehen Lauterbach in diesem Jahr 60 Millionen Euro zur Verfügung, dabei ist das Thema inzwischen ein alter Hut.

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Überwiegend Gesunde könnten sich überwacht fühlen

Anlass für Diskussionen gibt es genug. Zu viele Fragen sind ungeklärt. Zum Beispiel sollen die Gesundheitsdaten pseudonymisiert werden, doch wie weit man dann noch Rückschlüsse auf den einzelnen Kranken ziehen kann – also welche Daten vom Alter bis zum Wohnort herausgefiltert werden – das konnte der Minister bislang nicht sagen. Auch ob es Anreize für Ärzte gibt, die digitale Akte zu befüllen, wollte Lauterbach nicht versprechen. Dabei ist in jeder Praxis Zeit gleich Geld, und die Zeit wird besser für den Patienten aufgewandt als für das Bereitstellen von Gesundheitsdaten.

So vieles ist möglich mit diesen sensiblen Daten: Lauterbach schwärmt, in Zukunft könnten Kranke direkt zur Teilnahme an einer Studie aufgefordert werden. Das kann für Krebspatienten interessant sein, die jeden Strohhalm, der Heilung verspricht, dankend ergreifen. Überwiegend Gesunde könnten sich durch eine solche Aufforderung überwacht fühlen. Noch sensibler wird es, wenn irgendwann das menschliche Genom Teil der Akte wird. Dafür müsste – Stand heute – das Gesundheitsdatennutzungsgesetz angepasst werden.

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Immerhin: ein Ausschuss, der unter anderem mit Vertretern des Bundesdatenschutzbeauftragten und des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik besetzt werde, soll die Politik künftig bei allen Entscheidungen zu Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit, der Datennutzung und der Anwenderfreundlichkeit beraten, heißt es aus dem Ministerium. Kranke und Gesunde dürfen also hoffen, dass die Experten den komplett gläsernen Patienten nicht zulassen.