Bangalore. Etwa 400.000 qualifizierte Zuwanderer braucht Deutschland jedes Jahr. Olaf Scholz versucht, einige davon aus Indien ins Land zu holen.

Olaf Scholz steht in der Mitte des Stadions auf dem raspelkurzen Rasen und guckt interessiert. Der Ball prallt mit einem lauten Knall vom Cricket-Schläger ab und saust über das Grün direkt auf den Gast zu. Bevor das runde Geschoss aber das Kanzlerschienbein treffen könnte, wird der Ball abgefangen. Olaf Scholz besucht die Frauenmannschaft der Royal Challengers Bangalore und bekommt sogar ein Trikot mit seinem Namen geschenkt.

Scholz ist in Indien auf der Suche nach Talenten und schwärmt von dem großen Potenzial des Landes. „Hier gibt es ein großes, großes Interesse sehr qualifizierter, sehr talentierter junger Frauen und Männer, in Deutschland zu arbeiten“, sagt der Kanzler. Daran habe auch Deutschland ein „unmittelbares Interesse“. Allerdings hat Scholz dabei weniger Cricket im Kopf. Ihm geht es um Experten aus dem Bereich IT, Software und Künstliche Intelligenz.

Kanzler Scholz besucht die indische IT- und Hightech-Hochburg

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M) bekommt von Offiziellen ein Trikot der Cricket-Spielerinnen der Royal Challengers Bangalore im Chinnaswamy-Stadion.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M) bekommt von Offiziellen ein Trikot der Cricket-Spielerinnen der Royal Challengers Bangalore im Chinnaswamy-Stadion. © dpa | Michael Kappeler

Bangalore ist nicht nur die Heimat der Royal Challengers, die Metropole mit seinen rund zehn Millionen Einwohnern ist auch die IT- und Hightech-Hochburg des Landes und gilt als das indische „Silicon Valley“. Hier gedeihen zahlreiche indische Start-ups. Deutsche Firmen wie Bosch, Siemens, Mercedes-Benz, Zeiss, Continental oder der Software-Riese SAP haben Niederlassungen in der südindischen Metropole angesiedelt. Auch sie suchen nach den besten Kräften des Landes.

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Der von einer Wirtschaftsdelegation begleitete Kanzler besucht zum Abschluss seiner Indien-Reise in Bangalore auch den hochmodernen SAP-Campus, 10.000 Menschen arbeiten hier. In Indien hat die baden-württembergische Firma ihren größten Entwicklungsstandort nach dem heimischen Firmensitz in Walldorf. Scholz ist beeindruckt. „Wir wollen und müssen die Potenziale, die hier existieren, nutzen“, sagt der Kanzler. Und zwar „in großem Umfang“, fügt er im Hinblick auf den Austausch von Fachkräften hinzu.

Etwa 400.000 Zuwanderer pro Jahr braucht Deutschland

In Deutschland schlägt die Wirtschaft Alarm: Gut ausgebildete Arbeitnehmer fehlen an allen Ecken und Enden. Die Bundesregierung will das Problem zumindest zum Teil durch Einwanderung lösen. Rund 400.000 Zuwanderer pro Jahr braucht Deutschland nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit unter dem Strich – im Jahr. Dem Riesenland Indien mit seinen mehr als 1,4 Milliarden Einwohnern kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

In Deutschland leben bereits etwa 200.000 indische Staatsangehörige legal, rund 5.000 Inder halten sich rechtswidrig in Deutschland auf. 34.000 Studentinnen und Studenten aus Indien stellen die zweitgrößte Gruppe ausländischer Studierender. Unter den Zuwanderern mit Jobs in den MINT-Berufen, also in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, machen Inder den größten Anteil aus. 25.000 Zuwanderer aus dem südasiatischen Staat arbeiteten 2022 in dem Bereich – dem Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge dreimal so viele wie fünf Jahre zuvor.

Baerbock unterschrieb in Indien ein Migrations- und Mobilitätsabkommen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besichtigt zusammen mit dem Gründer Chetan Maini (l. neben Scholz) das Unternehmen Sun Mobility im indischen Silicon Valley Bangalore und schaut sich die Batterie-Fertigung an.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besichtigt zusammen mit dem Gründer Chetan Maini (l. neben Scholz) das Unternehmen Sun Mobility im indischen Silicon Valley Bangalore und schaut sich die Batterie-Fertigung an. © dpa | Michael Kappeler

Nach den Plänen der Bundesregierung sollen in den kommenden Jahren noch mehr Menschen von dem Subkontinent den Weg zum Arbeiten nach Deutschland finden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) war im Dezember in Indien und unterschrieb ein Migrations- und Mobilitätsabkommen. Die erste Vereinbarung dieser Art soll einerseits dafür sorgen, dass mehr Inder nach Deutschland kommen, um hier zu studieren, eine Ausbildung zu beginnen oder einen Job anzutreten. Auf der anderen Seite soll damit klar die Rückkehr von indischen Staatsbürgern geregelt werden, wenn sie nicht in Deutschland bleiben können.

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lobte das Abkommen im Dezember als „Meilenstein“. Die Vereinbarung mit Indien gilt als Blaupause für Abkommen mit weiteren Herkunftsstaaten. Seit dem 1. Februar kümmert sich FDP-Politiker Joachim Stamp als Sonderbevollmächtigter für Migrationsabkommen im Auftrag der Bundesregierung eigens darum, konkrete Vereinbarungen mit weiteren Staaten zu schließen.

Viele IT-Kräfte fürchten Sprachbarrieren in Deutschland

Es gibt jedoch große Probleme in dem Bemühen, Spezialisten aus dem Ausland nach Deutschland zu locken. Das eine ist die komplizierte deutsche Sprache, für viele Ausländer sind englischsprachige Staaten wie die USA, Kanada oder Großbritannien attraktiver. Hinzu kommt die deutsche Bürokratie, die etwa die Visa-Vergabe langwierig und mühsam macht. Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, um es für Menschen aus Ländern außerhalb der Europäischen Union attraktiver zu machen, in Deutschland zu arbeiten.

Scholz verspricht in Bangalore, bürokratische Hürden abzubauen, um Fachkräften den Weg nach Deutschland zu erleichtern. Auch Familien sollen leichter mitkommen dürfen. Wer als IT-Fachkraft nach Deutschland komme, könne sich außerdem leicht mit seinen Kollegen auf Englisch unterhalten, bemüht der Kanzler sich, Sorgen ob der Sprachbarriere zu zerstreuen. Es sei kein Problem, sich das Deutsche erst allmählich anzueignen, „damit man sich mit anderen Freunden gut verständigen kann“, versichert Scholz.

Einen Erfolg kann der Kanzler vor seiner Rückkehr nach Deutschland vermelden, zumindest einen kleinen: Am Rande der Reise wurde ein Kooperationsabkommen zur Migration von Solarexperten geschlossen - zwischen dem deutschen Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) und dem indischen Nationalen Institut für Solarenergie (NISE). In einem Pilotprojekt sollen bis zu 30 in Indien ausgebildete Photovoltaik-Experten nach Deutschland kommen.