Berlin. Der Iran habe genug Atom-Material für „mehrere Nuklearwaffen“, warnt der Chef der IAEA, Rafael Grossi. Droht der nächste große Krieg?

Erst kommt ein Knall, dann ein gelber Feuerball. Neben einem quaderförmigen Gebäude steigt weißer Rauch in den Nachthimmel auf. Menschen rennen weg. Zu der Explosion kam es am Samstag mitten in der Stadt Isfahan im Iran.

Die staatliche iranische Nachrichtenagentur Irna spricht von einem Anschlag auf eine Militäranlage. Es habe sich um „drei fortschrittliche, mit Bomben bestückte Quadrokopter“ gehandelt, also mit vier Rotoren ausgestattete Drohnen. Isfahan ist bekannt für seine Fabriken zur Entwicklung und Herstellung von Raketen. Dort werden auch viele der Shahab-Mittelstreckenraketen zusammengebaut, die Ziele in Israel und darüber hinaus erreichen können.

Iran: Steckt der Mossad hinter Attacke auf Militäranlage?

Die New York Times zitierte einen hochrangigen Geheimdienstbeamten, wonach der israelische Nachrichtendienst Mossad hinter der Attacke gestanden habe. Die Regierung in Jerusalem schweigt sich zwar über eine mögliche eigene Verwicklung aus – es gilt das Prinzip der „glaubhaften Abstreitbarkeit“ („plausible deniability“). Doch sie dementiert auch nicht.

Tatsache ist: Die Warnungen vor einem iranischen Nuklearwaffenprogramm werden lauter. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sagt klipp und klar: „Unsere Politik, meine Politik, besteht darin: Wir werden alles in der Macht Israels Stehende tun, um den Iran daran zu hindern, sich eine Atombombe zu beschaffen und die Mittel zu bekommen, sie zu liefern.“ Lesen Sie auch den Kommentar: Warum Deutschland die Diplomatie zum Iran beenden muss

Israelisch-amerikanisches Militärmanöver mit 140 Flugzeugen

US-Außenminister Antony Blinken antwortete im arabischen TV-Sender Al Arabiya auf die Frage, ob die Amerikaner auch mit militärischen Mitteln die Möglichkeit einer iranischen Kernwaffe ausschalten wollten: „Alle Optionen liegen auf dem Tisch.“

Ebrahim Raisi, der Präsident des Irans.
Ebrahim Raisi, der Präsident des Irans. © AFP | Atta Kenare

Dass derlei „Optionen“ zum politischen Kalkül gehören, unterstreicht ein großes israelisch-amerikanisches Manöver Ende Januar. An den Übungen in Israel und im östlichen Mittelmeer nahmen Tausende Soldaten, rund 140 Flugzeuge und ein Dutzend Kriegsschiffe teil. Neben Aktionen der Luftwaffe sei es auch um den Einsatz bunkerbrechender Raketen gegangen, heißt es aus Geheimdienstkreisen. Vor allem die Israelis befürchten, dass der Iran zunehmend Nuklearmaterial tief in der Erde versteckt. Lesen Sie hier: Deutscher Vater im Iran vor Gericht – Todesstrafe droht

Der Iran hat Israel nach der Islamischen Revolution 1979 als Erzfeind deklariert

Jerusalem verdächtigt das Mullah-Regime, unter dem Deckmantel eines zivilen Programms an der Atombombe zu arbeiten. Der Iran hat Israel nach der Islamischen Revolution im Jahr 1979 als Erzfeind deklariert. Führende Politiker und Geistliche kündigten immer wieder an, den jüdischen Staat auszulöschen. Auch interessant: Protestwelle wächst – Kippt jetzt das Mullah-Regime im Iran?

Israels Sorgen sind gewachsen, weil der Iran den Atombombenbaustoff Uran immer weiter angereichert hat. Teheran sieht sich dazu berechtigt, seit US-Präsident Donald Trump 2018 aus dem internationalen Atomabkommen von 2015 ausgestiegen ist. Mit dem Vertrag sollte das zivile Nuklearprogramm der Iraner auf der Zeitschiene von zunächst zehn Jahren drastisch eingeschränkt werden. Doch da die Amerikaner die Sanktionen gegen den Iran nicht aufgehoben haben, fühlen sich die Mullahs nicht mehr an das Abkommen gebunden.

IAEA: Der Iran hat 70 Kilogramm Uran, das zu 60 Prozent angereichert ist

Gespräche über eine Rückkehr der USA in die Übereinkunft sind im September versandet. Insbesondere nach den brutalen Polizeieinsätzen gegen Demonstrationen im Iran ist das Interesse des Westens abgeflaut. US-Präsident Joe Biden brachte es auf die lakonische Formel: „Das Abkommen ist tot, wir werden es aber nicht verkünden.“

Mittlerweile schlägt auch der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, Alarm. Der Iran habe genug nukleares Material für den Bau von „mehreren Atomwaffen“, warnte er. Das Land verfüge über 70 Kilogramm Uran, das zu 60 Prozent angereichert ist. Für den Bau einer Kernwaffe ist ein Anreicherungsgrad von etwa 90 Prozent nötig. Der Sprung von 60 Prozent auf 90 Prozent könne „innerhalb von Wochen“ erfolgen, heißt es in israelischen Militärkreisen.

Würde Russland dem Iran im Zweifelsfall Sprengköpfe und Raketen liefern?

In westlichen Hauptstädten nimmt die Nervosität zu. „Der Iran hat bereits eine Menge von 90 Prozent angereichertem Uran, die für den Bau der ersten Atombombe reicht“, unterstreicht ein hochrangiger EU-Diplomat. Teheran besitze aber noch nicht die Nuklearsprengköpfe und die notwendige Raketentechnologie – das könne „anderthalb bis zwei Jahre dauern“, fügte er hinzu.

Die Frage stellt sich allerdings: Würde Russland dem Iran im Zweifelsfall Sprengköpfe und Raketen liefern? Beide Länder verbindet eine Waffenbrüderschaft im Ukraine-Krieg. US-Regierungsangestellte erklärten, dass Teheran für Moskau der wichtigste Lieferant von Drohnen sei. Der Kreml versuche darüber hinaus, auch an iranische Raketen zu kommen.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Gezielte Drohnenangriffe gegen iranische Militäranlagen haben Tradition

Jerusalem ist auf der Hut. „Wenn du den Krieg verhindern willst, musst du deinen Gegner glauben machen, dass der Krieg kommt“, lautet eine alte israelische Militärweisheit.

Gezielte Drohnenangriffe gegen iranische Militäranlagen haben Tradition. Nach Informationen westlicher Geheimdienste besteht kein Zweifel, dass die Israelis dahinterstecken. Im Mai 2022 gab es eine Drohnenattacke gegen eine sensitive Militäranlage außerhalb von Teheran, wo der Iran Raketen-, Nuklear- und Drohnentechnologie entwickelt.

Im Juni 2021 explodierten Drohnen in einer der großen Fertigungsanlagen von Zentrifugen in den Außenbezirken von Teheran. Mit diesen Geräten wird das Schwermetall Uran an den zwei größten Anreicherungsfabriken in Fordo und Natanz bearbeitet.

Fachleute warnen: Der Atom-Streit mit Teheran könnte sich zu einem Krieg ausweiten

Im November 2020 wurde der Kernphysiker Mohsen Fachrisadeh bei einem Attentat nahe Teheran getötet. Er galt als „Vater des iranischen Atomprogramms“. Israels Botschaft: Die eigenen Geheimdienste wissen, wo sich die strategisch wichtigen Stätten des Irans befinden.

Einige Fachleute warnen bereits, dass sich der Atom-Streit mit Teheran zu einem Krieg ausweiten könnte. „Sollte der Iran sein militärisch nutzbares Nuklearprogramm weiter vorantreiben, besteht die große Gefahr, dass es zu Militärschlägen der Amerikaner und der Israelis gegen Ziele im Iran kommt. Iran würde dann sicher reagieren“, sagte der Nahost-Experte Daniel Gerlach unserer Redaktion.

Irans oberste Führer Ali Chamenei.
Irans oberste Führer Ali Chamenei. © AFP | -

„Russland würde eine iranisch-amerikanische Konfrontation gut ins Konzept passen“

Teheran habe nach der Tötung des Revolutionsgarden-Generals Qasem Soleimani durch einen US-Drohnenangriff am 3. Januar 2020 in Bagdad gezeigt, wozu es mit seinen Raketen in der Lage sei: Kurz danach wurde präzise die US-Militärbasis Ain al-Assad im Westirak attackiert. „Dahinter steckte die Botschaft, dass der Iran die amerikanischen Truppen in der Golfregion treffen kann.“ Derzeit haben die USA Stützpunkte in Katar, Bahrain und in Abu Dhabi.

Die große Frage ist: Wie würde sich Russland bei einer Eskalation des Konflikts verhalten? Gerlach hält einen Ausbau der militärischen Kooperation zwischen Moskau und Teheran für wahrscheinlich. „Es spricht einiges dafür, dass Russland eine iranisch-amerikanische Konfrontation gut ins Konzept passen würde. Es würde vom russischen Krieg in der Ukraine ablenken und das russische Narrativ stärken, wonach der Westen weltweit Krieg gegen andere Systeme führt“, so der Nahost-Experte.