London. Die Streiks in Großbritannien dauern an. Nun erzürnt die Regierung die Gewerkschaften mit einem neuen Gesetz. Das steckt dahinter.

Da sind die Warnungen wieder. „Ich bitte die Öffentlichkeit, erneut hilfsbereit zu sein und uns nur anzurufen, wenn es um Leib und Leben geht“, sagt Daniel Elkeles, Chef der Londoner Ambulanz. Das heißt: Bitte nicht wegen jeder Bagatelle den Krankenwagen bestellen. Denn am Mittwoch (11. Januar) war der Rettungsdienst wieder stark reduziert: In fast allen Regionen von Großbritannien streikten die Angestellten – darunter Sanitäter und die Belegschaften der Anrufzentralen. Insgesamt sind 20.000 Mitarbeiter des Notfalldiensts im Ausstand – und das schon zum zweiten Mal innerhalb eines Monats.

Streikwelle in Großbritannien dauert an: Lehrer und Pflegekräfte planen Ausstand

Die britische Streikwelle, die im vergangenen Sommer begann und im Dezember ihren bisherigen Höhepunkt erreichte, scheint nicht abzubrechen. Seit Anfang Januar haben bereits die Bahnangestellten der Gewerkschaft RMT sowie die Mitglieder der Zugführer-Gewerkschaft ASLEF mehrere Streiktage absolviert und den Bahnverkehr lahmgelegt. Hinzu kamen Arbeitsniederlegungen der Fahrprüfer und der Londoner Busfahrer.

Kommende Woche werden in Schottland die Lehrer streiken. In England und Wales sind mehrere Zehntausende Pfleger im Ausstand – auch sie zum zweiten Mal seit Dezember. Unterdessen sind die Lehrer in England dabei, ihre Mitglieder über einen möglichen Streik zu konsultieren. Auch interessant: Schottland darf nicht erneut über seine Unabhängigkeit abstimmen

In den meisten Fällen geht es um Lohndispute: Die Angestellten fordern eine Lohnerhöhung, die der galoppierenden Inflation von rund 10 Prozent Rechnung trägt – aber die Regierung und die Arbeitgeber sagen: Können wir uns nicht leisten.

Großbritannien: Bringen die Streiks höhere Löhne?

Allerdings kam Anfang dieser Woche erstmals Bewegung in die Sache. Gesundheitsminister Steve Barclay deutete an, dass die Löhne für das vergangene Jahr nachträglich heraufgesetzt werden könnten – oder dass die Angestellten im Gesundheitssystem als Alternative eine einmalige Geldsumme erhalten könnten, um ihnen in der Krise der Lebenshaltungskosten unter die Arme zu greifen.

Zuvor hatten Barclay und Premierminister Rishi Sunak stets eine harte Haltung vertreten und Lohnverhandlungen kategorisch ausgeschlossen. Dass sie jetzt eine gewisse Kompromissbereitschaft signalisieren, liegt wohl auch daran, dass die Gesundheitsangestellten weiterhin auf die breite Unterstützung der Bevölkerung zählen können – eine deutliche Mehrheit der Briten steht laut Umfragen hinter den Pflegern und Rettungssanitätern. Lesen Sie auch: Premierminister Rishi Sunak – So wurde seine Frau zur Millionärin

Rettungsdienstmitarbeiter streiken vor der Soundwell Ambulance Station in Bristol.
Rettungsdienstmitarbeiter streiken vor der Soundwell Ambulance Station in Bristol. © Ben Birchall/PA Wire/dpa | Ben Birchall/PA Wire/dpa

Aber schon wenig später kam eine Ladung kaltes Wasser. Laut Presseberichten ist Finanzminister Jeremy Hunt offensichtlich gar nicht angetan von der Idee eines verbesserten Lohnpakets. Für Empörung sorgte auch die Aussage von Gesundheitsminister Barclay, dass jede Lohnerhöhung an „verbesserte Produktivität“ im Gesundheitssektor geknüpft sein müsse. Chefunterhändler Onay Kasab von der Gewerkschaft Unite bezeichnete dies als einen „lächerlichen“ Vorschlag. „Wir sprechen hier nicht von einer Fabrik. Wir sprechen von Leuten, die bereits jetzt weit mehr leisten als ihr Vertrag vorschreibt.“ 18-stündige Arbeitsschichten seien an der Tagesordnung, sagte Kasab.

Neues Gesetz könnte zu Konfrontationen mit den Gewerkschaften führen

Am Dienstag machte die Regierung zudem einen Vorstoß, der zu weiteren Konfrontationen mit den Gewerkschaften führen dürfte: Sie brachte eine Gesetzesvorlage ins Unterhaus ein, die die Wirksamkeit von Arbeitsniederlegungen stark beschränken würde. Das Streik-Gesetz soll vorschreiben, dass bei Streiks in kritischen Sektoren wie dem Transport- und Gesundheitswesen eine bestimmte Zahl von Angestellten weiterhin arbeiten müsse.

Betroffen wären die Eisenbahn, der Rettungsdienst und die Feuerwehr. Wenn ein Minimalbetrieb nicht beibehalten werden kann, droht den Angestellten die Entlassung. In anderen Bereichen, etwa dem Bildungswesen, hofft die Regierung, zu einer „vernünftigen und freiwilligen Einigung“ über einen solchen minimalen Grundbetrieb zu kommen. Sollte das jedoch nicht gelingen, könnte die Regierung eine Regelung per Zwang durchsetzen. Auch interessant: Warum sich in Großbritannien der große „Brexit-Kater“ breitmacht

Anti-Streik-Vorlage: Britische Regierung will für Sicherheit sorgen

Die Regierung argumentiert, dass die Vorlage den Zweck habe, für die Sicherheit der Öffentlichkeit zu sorgen. Doch die Gewerkschaften sind entrüstet. Mick Lynch, Generalsekretär der Transportgewerkschaft RMT, sprach am Dienstag von einem „drakonischen Gesetz“. „Dies ist ein Angriff auf unsere Menschen- und Bürgerrechte, und wir werden Widerstand leisten in den Gerichten, im Parlament und an unseren Arbeitsorten.“ Paul Nowak, der neue Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbands TUC, bezeichnete die Vorlage als „undemokratisch, undurchführbar und fast sicher illegal.“

Auch bei der Opposition stößt die Anti-Streik-Vorlage auf heftigen Widerstand. Alan Brown von der Schottischen Nationalpartei sagte, das geplante Gesetz sei Teil eines „rechten Kulturkampfs“. Angela Rayner, Vize-Chefin der Labour-Partei, bezeichnete die Vorlage als „beleidigend und dumm.“ Die Gewerkschaften sind unterdessen dabei, ihre Kampagne für bessere Löhne zu intensivieren. Sie erwägen einen gemeinsamen Streik- und Aktionstag, an dem mehrere Gewerkschaften in verschiedenen Sektoren gemeinsam die Arbeit niederlegen werden, um so eine größere Wirkung zu erzielen.